Papa, bist du evangelisch, katholisch oder ethisch?

Bild: F.R.

Die dritte Religion zu Weihnachten

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Die drei Grüppchen, in denen sich die 21 ABC-Schützen der Carl-Orff-Grundschule auf dem Pausenhof formieren sollten, sind selbst für ausgebuffte Fachleute mit Promotion kaum zu unterscheiden: evangelische, katholische und "ethische" Kinder werden in diesen Gruppen getrennt. Dadurch soll die Vermittlung jenes Restes an Spiritualität erleichtert werden, der in den verödeten Curricula PISA-relevanten Wissens noch nicht eliminiert wurde.

Damit die Lehrer die schwere Entscheidung, welches Kind sich zu welcher Gruppe stellen soll, nicht selbst treffen müssen, wird diese den Eltern überlassen. "Cuius regio, eius religio", hieß es bereits im Augsburger Friedensschluss von 1555. Mein Sohn allerdings wollte mehr wissen: "Papa, bist du evangelisch, katholisch oder ethisch?" Hier meine Antwort in zwei Versionen.

Erste Version: Ich bin natürlich alle drei!

Wahrheitsgemäß antwortete ich meinem Sohn, dass ich allen drei Gruppen angehöre, denn diese seien gar keine Gegensätze. Das Ganze nennt man dann "ökumenisch", was "die ganze bewohnte Welt" (griech.: Oikumene) bedeutet. Religion wiederum bedeutet Rückbindung (lateinisch: religio), so dass der ökumenische Mensch sich an die gesamte bewohnbare spirituelle Welt in ihrer Vielfalt rückgebunden wähnt. Zusammengefasst: Ich bin sowohl evangelisch als auch katholisch, die aber beide inzwischen längst ethisch sind.

Was ich meinem Sohn vorerst noch verschweige: Dass die Evangelische und die Katholische Kirche inzwischen als halbwegs "ethisch" bezeichnet werden können, ist ein historisch neues Phänomen. Erst die Befreiung Deutschlands durch die atheistische Sowjetarmee und die damals noch atheistischen und hochgebildeten Freiwilligen der US-Armee mit ihren Religionen Liberty, Jazz und Chewing Gum zwang die Kirchen dazu, selbst ethisch zu werden, also ein Mindestmaß an humanen Werten zu respektieren.

So wurde etwa der katholische Religionsunterricht erst 1933 zum Pflichtlehrfach. Sinniges Zitat dazu:

Im Religionsunterricht wird die Erziehung zu vaterländischem, staatsbürgerlichem und sozialem Pflichtbewußtsein aus dem Geiste des christlichen Glaubens des Sittengesetzes mit besonderem Nachdruck gepflegt werden, ebenso wie es im gesamten übrigen Unterricht geschieht.

Artikel 21 Reichskonkordat

Grundlage war das Reichskonkordat, dessen Geltung 1957 auch für die Bundesrepublik bestätigt wurde. Die Lektüre des Reichskonkordates ist eigentlich hinreichend, um etwaige "ethische" Gehalte der Staatsreligionen vor 1945 aufzuspüren. Kostprobe Artikel 8: "Das Amtseinkommen der Geistlichen ist in gleichem Maße von der Zwangsvollstreckung befreit wie die Amtsbezüge der Reichs- und Staatsbeamten." So ging, so geht Ethik nicht nur in der Verwaltung.

Dass ich dennoch neben der neuen ethischen - auf die ich noch kommen werde - auch die evangelische und katholische Religion nicht missen mag, hat auch biographische Gründe. Meinem Sohn erkläre ich: Ich wurde evangelisch getauft. Deine beiden Brüder sind aber katholisch, weil deren Mutter eine tiefkatholische Franco-Italienerin ist. Als Vater muss ich natürlich alle Rituale beider Religionen berücksichtigen.

"Ach so", sagt mein Kleiner, "deshalb gehst du auch mit mir in beide Messen." In beide heißt auch: In die ethische Messe zu Nida-Rümelin, Lammert, Wickert und Precht gehen wir nicht.

Zweite Version: Natürlich bin ich keines von Dreien

Wenn einem im Handbuch Angewandte Ethik der Reihe Philosophische Ethik des Verlages C.H. Beck gleich drei Seiten gewidmet sind (367-369) kann mann sich bei der Frage, wie ethisch er ist, scheinbar entspannt zurücklehnen. Was ist verführerischer, was eleganter, als aus den enthobenen Sphären elysischer Gefilde Sloterdjikscher Wortkunst auf die literarischen Niederungen der sich gegenseitig kannibalisierenden Volkskulte herabzublicken?

  • Auf die Feigheit der Ethischen vor der radikalen Totalität und Tollheit Gottes.
  • Auf die wahnwitzige Vorstellung, eine grausame Kreuzigung in der Römerzeit könne als frohe Botschaft der Liebe und Hoffnung gedeutet werden.
  • Auf die Ikea-konforme Vermarktung von Bausätzen zu Maria, Heiligen und Papst als massentauglicher Ersatz für einen unverständlichen und fordernden Gott.
  • Auf die hohlen Gymnastiken des Guten, die von metaphysischen Grenzfragen so weit entfernt sind wie die SpVGG Greuther Fürth von einem Sieg gegen den FC Bayern.
  • Auf den Ethikunterricht, der in der Regel von Damen vollbracht wird, die solche Rezensionen zu Ethikkompendien schreiben.

Der Blick auf die über 400 Kommentare zum letzten Artikel von Thomas Pany auf Telepolis zum Thema erinnert an interessante Alternativen. Der Atheist, so schreibt User "Denkstimulus" (mit rotem Balken bestraft), beweise eigentlich die Existenz Gottes. Besser dran sei der Agnostiker.

Mit diesem aber stoßen wir vor zu weiteren Religionen, die sich inmitten des Ethischen tummeln, etwa dem Skeptizismus und dem Rationalismus. Ich zweifle, also bin ich - diese Devise des Agnostikers ist natürlich die attraktivste. Dumm nur: Es gibt keinen einzigen Professor, Redakteur, Politiker oder Wirtschaftsführer, der sie nicht auf seiner Stirn eintätowiert hat.

Unsereins darf da natürlich nicht mittun. Schade eigentlich, denn ich wäre auch gerne "skeptisch". Leider sind das alle.