Parallel Processing - dem Menschen bleibt's erspart
Die Akademie zum Dritten Jahrtausend ist dem Wissen und dem Bewußtsein auf der Spur
Eine schwierige Aufgabe hatte sich die Burda-Akademie gestellt: Sie wollte im Rahmen eines zweitägigen Treffens von Wissenschaftlern, Unternehmen und "Wissensarbeitern" dem dunklen Kontinent des Wissens auf die Spur kommen und die bessere Repräsentation der wichtigen Ressource für Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur auch bildhaft erreichen.
"Normalerweise reden Wirtschaft und Wissenschaft nicht miteinander", weiß Christa Maar, Präsidentin der Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend. "Wir führen sie zusammen." (Siehe auch die Berichte zur Akademie-Tagung Internet und Politik)
Tatsächlich teilten sich auf dem Münchner Kongreß der Akademie über die Wissensgesellschaft Manager, Forscher aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und Neurophysiologie, Politiker und Kognitionswissenschaftler das Podium. Doch auch die Begegnung allein führt nicht unbedingt zu einem gemeinsamen Verständnis, und Fronten lassen sich kaum schönreden. Aber Maar hatte bereits im Vorfeld des ambitionierten Projektes - "Envisioning Knowledge", das Bild der entstehenden Wissensgesellschaft zu zeichnen und visuelle Repräsentationsmöglichkeiten für Wissen zu schaffen, war das Motto - allzu große Hoffnungen im Keim zu ersticken versucht: Es gehe nicht darum, Antworten zu finden, sondern Fragen aufzuwerfen.
Wenig gemeinsames Verständnis innerhalb ihrer "Disziplinen" entwickelten vor allem die Wirtschaftspraktiker und die Hirnforscher. Wichtigstes Ziel eines Unternehmens, das in der Knowledge Economy eine Rolle spielen wolle, ist für Volker Jung, Mitglied des Zentralvorstands bei Siemens, "den Wissensfluß aufrechtzuerhalten". Wissen müsse zunächst zugänglich gemacht, die Wissensträger identifiziert werden. In weiteren Schritten gehe es darum, das entdeckte Wissen "in Tools einzubinden", um die auf dem Kongreß so oft erwähnten "Wissensdienstleistungen" anbieten zu können. Wissen sei letztlich auch wirtschaftlich als "Intellectual Capital" zu bewerten und zu vermehren.
Wissen werde "immens wichtig" für die Wirtschaft, weiß auch Hubert Österle, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität Sankt Gallen. Die Grundlagen des Wirtschaftens würden durch die neuen Qualitäten des Wissens, das sich beispielsweise durch Gebrauch oder Verkauf nicht abnutze oder abgegeben, sondern vermehrt werde, in Frage gestellt. Alle Marktleistungen seien neu zu überdenken, viele Produkte und Dienstleisungen von heute könnten obsolet werden. Die Unternehmen sollten deshalb endlich erkennen, daß ihr Wert nicht in Gebäuden, abgeschriebenen Computern oder Firmenwagen liege, sondern in den Köpfen der Mitarbeiter. Einsichten, die Peter Drucker allerdings bereits vor vielen Jahren während der Prägung des Begriffs der Knowledge Society publizierte.
Auch wenn sich in der Wirtschaft das von Drucker bis Österle beschriebene Paradigma langsam durchsetzt - für Jung ist das "Knowledge Business" selbstverständlich ein "People Business" -, greift das Verständnis der Vertreter des Marktes für die Kognitionsforscher zu kurz. "Hier wird Wissen nur als eine Menge verstanden, die nützlich ist", kritisiert Ernst Pöppel, Leiter des Instituts für Medizinische Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Man müsse unter Wissen allerdings mehr verstehen als managebares Verfügungswissen, das explizierbar und in Datenbanken zu organisieren sei. Diesem rein begrifflichen Wissen stellte der Hirnforscher das intuitive Handlungswissen gegenüber, das persönliche Können eines Menschen, sowie das bildliche Wissen, das gedanklich strukturiert und kategorisiert werde. Alle drei Wissensformen müßten verbunden werden, um dem komplexen Phänomen des Wissens auf die Spur zu kommen und sich die Ressource Wissen zu erschließen. Von der in der Wirtschaftsinformatik blühenden Idee des Knowledge Management wird man sich also vorerst verabschieden müssen, wenn man nicht freiwillig wichtige Aspekte des Wissens außen vor lassen will.
Der Screen als (H)Ort des Wissens?
Manche Medien- bzw. Literaturwissenschaftler kamen ebenfalls in die Schußlinie der Hirnforscher. Derrick de Kerckhove, Leiter des McLuhan Program in Culture and Technology an der University of Toronto, schwärmte auf dem Wissenskongreß von den sich durch das World Wide Web bietenden Möglichkeiten: "Die mentalen Fähigkeiten wandern in Datenbanken", ist sich der Nachfolger Marshall McLuhans sicher, den vor allem das in der kongreßbegleitenden Ausstellung vorgestellte räumliche Repräsentationssystem für Vernetzungen im Web von Inxight und das "Komplexitätsmanagement-System" von Think Tools faszinierte. Alles Wissen wird für Kerckhkove in Zukunft "auf dem Screen" externalisiert. "Wir bewegen uns weg vom Kopf, hin zum Bildschirm." Die "Screenager" würden in Zukunft die Kontrolle über die Mattscheiben übernehmen und den Bildschirm als den "privilegierten Ort" nutzen, um Wissen auszutauschen. Dadurch ändere sich auch die Qualität der menschlichen Informationsverarbeitung: "Die Webtechnologie ist immer da, man kann sofort auf sie zugreifen. De facto ist sie sogar schneller, als das Gehirn arbeiten kann." Es sei aber zu erwarten, daß sich die Gehirnstrukturen anpassen und die "Emergenz neuer Wissensarten" unterstützen würden. Bob Greenberg, Geschäftsführer der R/GA Digital Studios in New York, sieht die Evolution des menschlichen Gehirns sogar bereits in vollem Gange: "Immer mehr Jugendliche sind bereits ‚multitasking-fähig'. Sie genießen es, gleichzeitig am Computer zu programmieren, am Telefon mit Freunden zu quatschen und auch noch Fernsehen zu schauen und Chips zu essen."
Pöppel warnte allerdings vor der "Hoffnung" auf den Cyborg, der - im ständigen Umgang mit den neuen Technologien - selbst zur Maschine werde oder immer mehr Informationen immer schneller aufnehmen und wie eine Maschine verarbeiten könne: "Das Gehirn ist nicht beliebig plastisch", weiß der Forscher. In den ersten zehn Jahren erhielte die Matrix der potentiellen Nervenverknüpfungen ihre endgültige Struktur, in der auch die Wertesysteme und kulturellen Ansichten eingeprägt würden. Die Hardware des Hirns sei danach tatsächlich "fest", gewisse Arbeitsprinzipien und Laufzeiten des Informationsaustauschs zwischen den Neuronen und Hirnzellen könnten nicht mehr verändert werden. Selbst in einer Million Jahre werde sich die formale Struktur des Gehirns nicht großartig neu ausbilden, die Evolution arbeite sehr langsam. Der Mensch könnte durch die immer schneller werdenden multimedialen Medien zwar durchaus "affiziert" werden: "Das hat ja einen gewissen Reiz und macht Spaß." Haften bleibe vom Medien- und Informationsbombardment aber nichts, da die semantische Vernetzung des Gesehenen nicht möglich sei, die Einbettung in ein persönliches Referenzsystem nicht stattfinde.
Bei Kindern sei es zwar tatsächlich möglich, daß die Gehirnstruktur durch Medienkonsum anders ausgeprägt werde. "Mein Enkel, der mir mit seinen vier Jahren zeigt, wie man am Computer spielt, ist das beste Beispiel", meint Pöppel. Aber auch Kinder könnten deswegen nicht mehreres gleichzeitig konzentriert tun. Die Grundkonstanten des menschlichen Denkens bleiben auch bei ihnen erhalten: "Parallel Processing im eigentlichen Sinne ist für den Menschen nicht möglich."
Ohne Körper kein Bewußtsein
Mehr Gemeinsamkeiten fanden wider Erwarten Forscher aus den Bereichen Künstliche Intelligenz und Kognitionswissenschaften, die der jahrelang vorherrschenden und bereits von John von Neumann geprägten Metapher vom Gehirn als Computer den Todesstoß versetzten. Diesem Begriffsverständnis zufolge sind die Neuronen die Hardware und das Bewußtsein die Software.
Nimmt man die Metapher ernst, könnte man sich das Bewußtsein wie in der "Lehre" von Marvin Minsky oder Hans Moravec als extrahierbares Gut vorstellen, das beliebig reproduziert und auch in Maschinen "eingepflanzt" werden kann. "Das Gehirn existiert nur im größeren Medium des Körpers in einer bestimmten Situation und niemals abstrakt ", setzt Francisco Varela, Erkenntnistheoretiker am Centre National de la Recherche Scientifique der Ecole Polytechnique in Paris, dagegen. Bewußtsein entstehe also in Aktion, in Relations- und Netzbeziehungen und sei nie als reine Logik vorstellbar. Letzlich emergiere das Bewußtsein im nonlinearen Zusammenspiel aller Komponenten des Gehirn. "Das Bewußtsein existiert nicht und existiert doch auch nicht nicht", formulierte der Kognitionswissenschafter etwas kryptisch. Zu erklären sei dieses Paradox ähnlich wie die Unschärferelation der Lichtmaterie, die entweder als Welle oder als Teilchen isolierbar sei. "Das Selbstbewußtsein ist mehr als eine Form des simplen Feedbacks", bestätigt Israel Rosenfield von der City University New York. "Man kann nicht über Wissen reden ohne den Körper und seine Motorik zu erwähnen."
Ähnlich sieht Luc Steels, Leiter des Artificial Intelligence Laboratory an der Vrije Universiteit, die "Emergenz" künstlicher Intelligenz in den von ihm aufgebauten Roboterpools, in denen die Maschinen als Trucks, Fische oder als Sprachinterpreten auf die Suche nach Sinn geschickt werden. "Die ‚Intelligenz' kommt allein aus der Interaktion der Roboter", machte der Forscher klar, der gleichzeitig das Sony Computer Science Laboratory leitet. Es sei wichtig, eine kollektive Dynamik herbeizuführen und die Agenten ihr eigenes Wissen kreieren zu lassen.