Pariser Terroranschläge: Angst vor weiteren "Bataillons"
Welche Rolle der IS oder al-Qaida bei den Attentaten spielt, ist vage. Allerdings gibt es nicht nur Verbindungen zwischen den drei Attentätern, sondern zu einem ganzen Netzwerk von Dschihadisten - und einige alte, aber lebendige Gespenster
Amédy Coulibaly, der dritte Attentäter der Terror-Mordanschläge vom vergangenen Mittwoch, beruft sich in einem Video, auf den "Islamischen Staat". Dem US-Magazin "The Intercept" wurde ein Statement von al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (Aqap) zugespielt, wonach sich die Qaida-Filiale damit brüstet, die "Operation in Paris" geleitet zu haben. Bereits am Freitag kursierte ein Video, indem ein Aqab-Führungsmitglied den Anschlag verherrlicht und zu weiteren auffordert.
Das Coulibaly-Video wurde mittlerweile von youtube und dailymotion entfernt, auf Betreiben des französischen Staatsanwaltes, wie es heißt. Dass sich der Mann, der am Donnerstagmorgen in Paris nach den Ermittlungen eine Polizisten erschoss, auf den Islamischen Staat beruft, wurde auch schon bei einem Telefongespräch kenntlich.
Das hatte Coulibaly, wie auch Chérif Kouachi, der für das Charlie-Hebdo-Massaker verantwortlich gemacht wird, mit dem französischen Fernsehsender Bfmtv geführt (Auszüge in französischer Sprache hier). In diesem Gespräch teilte Chérif Kouachi der Öffentlichkeit mit, dass er im Auftrag der Aqab operiere. Dieses Bekenntnis des Gewalttäters hatten zuvor schon Zeugen, die ihn nach dem Attentat begegnet sind, zu Protokoll gegeben
Viel Reklame für IS und al-Qaida
Bislang gibt aber - worauf im Falle des IS Romain Caillet und andere Spezialisten der Dschihadterrorszene und im Falle der Aqip der Intercept-Autor Scahill hinweisen - keine offiziellen Reklamationen der beiden Organisationen für die Anschläge in Paris. Die Reklame werden sie allerdings begrüßen. Für die al-Qaida-Organisation, die im medialen Schatten des IS stand, ist sie umso wichtiger.
Die französischen Sicherheitsbehörden lesen aus den Bekenntnissen, die den Mördern dazu dienten, ihre Angriffe auf Wehrlose mit einer Mission zu glorifizieren, hauptsächlich zweierlei Signale: Dass weitere Terrorangriffe drohen und dass es sich bei den französischen Terroristen nicht um lonely-wolves handelte, sondern um Täter, die mit einem größeren Dschhihadisten-Netzwerk verbunden sind.
Wie viele davon sich in Frankreich aufhalten, ist offen. Gesucht wird derzeit nach der Lebensgefährtin Coulibalys, Hayat Boumeddiene, sich nach Medienberichten seit Anfang Januar in Syrien aufhalten soll. Das Coulibaly-Video deute auf einen Helfer hin, heißt es. Ausschnitte des Videos belegen zudem, dass es nach dem tödlichen Schuss auf die Polizistin am Donnerstagmorgen gedreht wurde, als Coulibaly auf der Flucht war.
"Synchronisiert"
Coulibaly, der nach Betreten des jüdischen Hyper-Cacher-Supermarkts, den er nach eigenen Angaben gezielt ausgesucht habe, sofort losschoss und vier Personen tötete, behauptete gegenüber dem Fernsehsender Bfmtv, dass er sich mit den Brüdern Kouachi "synchronisiert" habe. Sie würden die Journalisten übernehmen, er die Polizei. (Die Morde im jüdischen Geschäft tauchen bei dieser Darstellung der Mission nicht auf. Erst später gibt Coulibaly, indem er seine Mission in Zusammenhang mit dem Islamischen Staat stellt, den üblichen antisemitischen Rechtfertigungsqualm ab.)
Noch ist offen, wie die Kouachis mit Coulibaly am 07. Januar zusammenarbeiteten. Bekannt ist, dass sie sich seit längerem gut kannten und ihre Bekanntschaft von einer Hinwendung zum militanten Islamismus getragen war. Chérif Kouachi und Amédy Coulibaly kannten sich von einem Aufenthalt im Gefängnis 2008. Dort bildete sich auch die Beziehung zu Djamel Beghal heraus, einem militanten Islamisten, der wegen eines versuchten Terroranschlages auf die amerikanische Botschaft in Fleury-Mérogis zu zehn jahren Haft verurteilt war.
Der ideologische/private Zusammenhalt war so groß, dass Beghal Kouachi und Coulibaly dazu überreden konnte, bei einem Befreiungsversuch des Terroristen algerischer Herkunft, Smaïn Ait Ali Belkacem, verantwortlich für Anschläge in Paris in den neunziger Jahren (Saint-Michel,1995), mitzuwirken. Ab 2010, als Beghal vorzeitig entlassen wurde, trafen sich Chérif Kouachi und Amédy Coulibaly öfter bei Beghal, Treffen, bei denen laut Medienberichten "Waffenspiele" und ideologischer Austausch eine Rolle spielten.
Zur Vorgeschichte der Kouachis gehört zudem die Mitgliedschaft der Dschihadistenschleusergruppe Buttes Chaumont (siehe Nach dem Charlie-Hebdo-Attentat: Ein hauptverdächtiger Dschihadist und viele Fragen), womit auch die Bekanntschaft mit Boubaker el-Hakim verbunden ist, der sich mit den beiden politischen Morden in Tunesien, die das Land in eine schwere Krise stürzte, brüstet und mittlerweile in Syrien beim IS mitmischt.
Darüberhinaus wurde in den letzten Tagen bekannt, dass sich die Brüder Kouachi längere Zeit im jemen aufgehalten haben, wo sie angeblich unter der Leitung von al-Qaida für militante Einsätze ausgebildet wurden. Chérif Kouachi sagte gegenüber dem Fernsehsender, dass er Geld und seinen Auftrag von Anwar al-Awlaki bekommen habe.
"Alte Gespenster"
Awlaki wurde 2011 im Jemen bei einem US-Drohnenangriff getötet. Es sind "alte Gespenster" neu zum Leben erweckt, von der berüchtigten Jemenfiliale der Qaida, über den Irakkrieg im letzten Jahrzehnt - Abu Ghraib wurde von der Pariser Dschihadistengruppe in Buttes Chaumont, im 19. Arrondissement als Initiationserlebnis herausgestellt - bis hin zum unverarbeiteten Konflikt Frankreichs mit Algerien. Dazu kommt das ungelöste, von der Politik nur oberflächlich behandelte Problem der Jugendarbeitslosigkeit, die mehrseitige Abschottung in den "sensiblen urbanen Zonen".
Frankreich liefere mit seinem Antiterroreinsätzen in der Sahelzone, in Somalia, in Libyen und im Irak viele politische Gründe für Extremisten, wird in den letzten Tagen betont. Und bekannte Szenexperten wie Jean Pierre Filiu, der einen Blog bei rue89.com unterhält, ist nicht der einzige, der davor warnt, dass die Brüder Kouachi "nur das erste Bataillon gewesen" sein könnten.