Parlament und Regierungsgebäude angegriffen

Interne palästinensische Kämpfe auch im Westjordanland

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Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen der ehemaligen (Fatah) und der neuen palästinensischen Regierung (Hamas) haben sich vom Gazastreifen auf das Westjordanland ausgeweitet. Die palästinensische Polizei erhält die innere Ordnung nicht aufrecht. Sie ist eng mit der Fatah-Bewegung verknüpft und weigert sich offensichtlich, die Bürger und Regierungseinrichtungen effektiv zu schützen.

Als sich ein palästinensischer Autofahrer am Dienstagabend weigerte, an einem palästinensischen Kontrollpunkt an der Stadtgrenze Ramallahs anzuhalten, eröffneten die Beamten das Feuer. Der Mann starb. Er war in einem gestohlenen Auto unterwegs und wollte einer Kontrolle entgehen. Die Polizisten rechneten allerdings mit einem „Musta´arab“, wörtlich: einer, der sich als Araber ausgibt. Die „Musta´aribin“ sind gefürchtete Einheiten des israelischen Geheimdiensts, die verkleidet operieren. Vor drei Wochen erst erschoss eine dieser Einheiten drei Menschen mitten im belebten Stadtzentrum.

Um den Tod des Autofahrers aus einem Flüchtlingslager in Ramallah zu rächen, überfielen Bewohner von der Fatah-Führung frequentierte Edelrestaurants in Ramallah. Sie warfen Fenster ein und zerschossen die Einrichtung. Die palästinensische Polizei wird mit der Fatah gleichgesetzt, die Beamten sind großteils Fatah-Mitglieder und schützen die Interessen ihrer Bewegung. Der Innenminister der Hamas erhält nicht die Kontrolle über sie, obwohl gesetzlich vorgesehen.

Die Polizei schützte allerdings diese Restaurants und andere Einrichten nicht und rückte auch nach Bekanntwerden der Angriffe nur schleppend aus. Der Grund könnte darin liegen, dass die Angreifer selbst der Fatah-Basis angehören. Ihr Flüchtlingslager ist als Fatah-Hochburg bekannt. Auch als Militante der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden am Montagabend das Büro von Ministerpräsident Ismail Haniya (Hamas) und das Parlamentsgebäude in Ramallah angriffen, marschierte die Polizei zu spät auf. Die Aqsa-Brigaden sind der bewaffnete Arm der Fatah. Sie warfen die Einrichtung aus den Fenstern und legten Feuer.

„Die Identitäten der Angreifer sind uns bekannt“, erklärte Haniya, „und das Innenministerium wird sie vor Gericht stellen.“ Er legte allerdings nicht dar, wie der Innenminister ohne Polizeihoheit vorgehen soll. Auch in Jenin und Salfit griffen Fatah-Anhänger Regierungsgebäude an. Die Ausschreitungen kamen als Reaktion auf den Überfall der Hamas auf eine Polizeikaserne im südlichen Gazastreifen. Diese und darauf folgende Schießereien forderten mehrere Tote.

Am Mittwoch zog ein Protestzug ziviler Beamter zum palästinensischen Parlament in Ramallah. „Wir haben Hunger“, riefen sie. Alle Beamten erhalten seit März kein Gehalt mehr, da die internationale Gebergemeinschaft Zahlungen an die Hamas-Regierung aussetzte.

„Wir haben jetzt ein klareres Bild von der ausgeheckten Verschwörung gegen uns“, sagte Ismail Haniya nach den Angriffen auf Regierungseinrichtungen in Ramallah. „Die derzeitigen Auseinandersetzungen bei uns sind kein Konflikt zwischen Hamas und Fatah“, erklärte Hamas-Sprecher Sami Abu Suhri, „sondern das Ergebnis von Versuchen bestimmter ehemaliger Regierungsangehöriger, Palästina in einem Blutbad zu ertränken.“ Diese Äußerungen gingen Haniya aber offenbar zu weit. In Gaza trat er gemeinsam mit Muhammad Dahlan, dem „starken Mann“ der Fatah im Gazastreifen, vor die Presse. „Wir müssen unsere Einheit wieder herstellen“, so Haniya, „palästinensisches Blut darf nicht mehr vergossen werden.“ Zudem habe er sich mit Präsident Mahmud Abbas (Fatah) über eine Eingliederung der Hamas-Sondereinheit in die Polizei geeinigt. Ob damit auch eine Neuaufteilung der Befehlsgewalt über die Polizei einhergeh, ist noch nicht bekannt.

Unterdessen tötete das israelische Militär am Dienstag drei Angehörige des Islamischen Dschihad im Gazastreifen in ihrem Auto mit einer Rakete. Ein zweites Geschoss schlug ein, nachdem bereits Helfer eingetroffen waren. Insgesamt starben 11 Menschen, einschließlich drei Kinder und einem Krankenwagenfahrer. Israels Ministerpräsident Ehud Olmert kündigte an, auch Hamas-Minister ins Visier zu nehmen. „Wer Terroranschläge unterstützt“, so Olmert, „wird nicht geschont.“ Die Hamas kündigte ihren einseitigen, seit November 2004 währenden Waffenstillstand am Freitag auf, nachdem eine israelische Granate eine palästinensische Familie beim Picknick tötete. Das israelische Militär trage am Tod der Familie keine Schuld, so das eigene Ermittlungsergebnis. Allerdings habe man noch nicht herausgefunden, wo eines von sieben Projektilen eingeschlagen sei.

Eine hochrangige israelische Geheimdienstbeamtin erklärte gegenüber der israelischen Zeitung Ma´ariv, dass Israel eine Mitschuld am Ende des Waffenstillstands der Hamas trage. „Israel arbeitete unermüdlich daran, jegliche Anstrengung der Hamas-Regierung zu torpedieren“, so die Beamtin. Der palästinensischen Bevölkerung sollte gezeigt werden, dass die Hamas ihre Probleme nicht lösen kann.

Äußerungen eines Beraters von Ministerpräsident Ismail Haniya gaben indessen Anlass zur Hoffnung auf ausbleibende Anschläge der Hamas innerhalb Israels. „Eine Neuauflage der Märtyreroperationen dient nicht den Interessen der palästinensischen Regierung“, so Ahmad Jusef in Bezug auf Selbstmordanschläge in Israel. Man plane einen beiderseitigen, langfristigen Waffenstillstand, allerdings nicht die Anerkennung Israels. „Israel hält sich sowieso nicht an die Abkommen, die es unterschreibt“, so Jusef.