Parlamentswahl Russland

Seite 2: Jabloko - Liberale mit Altlasten und Doppelgängern

Das müsste eigentlich für eine zweifelsfrei oppositionelle Partei wie die Liberalen von Jabloko (deutsch: "Apfel") eine gute Gelegenheit sein, sich in Szene zu setzen. Bis 2003 saßen ihre Vertreter auch noch in der Staatsduma, hatten aber damals schwer damit zu kämpfen, dass die Russen dem Liberalismus und seiner marktradikalen Wirtschaftspolitik zu Recht vorwerfen, am Wirtschaftschaos der 90er-Jahre mit schuld zu sein.

Jabloko präsentiert sich inzwischen als eher sozialliberale Bürgerrechtspartei und versucht mit einem erneuerten Team zwischen den angepassten Systemparteien und der Radikalopposition der Nawalny-Anhänger in der Mitte zu lavieren.

Doch Jabloko hat bei seinem Wahlkampf schwer mit staatlichen Repressionen zu kämpfen. So wurden bereits zahlreiche Kandidaten auf der Parteiliste von den Behörden wieder entfernt. Jabloko-Vorstandsmitglied Grigori Grischin spricht gegenüber der Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta von einer Absicht des Kreml, die zur Wahl stehenden Demokraten zu minimieren, oft wegen Vorwürfen wie ausländischen Vermögenswerten - für Dumakandidaten verboten - oder der früheren Beteiligung an Aktionen der Nawalny-Bewegung - für Dumakandidaten ebenfalls tabu wegen deren zwischenzeitlicher offizieller Einstufung als "extremistisch".

Auch mit Spoilern hat Jabloko zu kämpfen, obwohl sie selbst zweifelsfrei keiner ist. Einen spektakulären Fall gibt es hier beim populären Jabloko-Kandidaten und Menschenrechtsaktivisten Boris Wischnewski in Sankt Petersburg.

Es nominierten sich zwei Gegenkandidaten, die zuvor ebenfalls ihren Namen in Boris Wischnewski änderten und sogar ihr Aussehen an das des Politikers anpassten - mutmaßlich, um ihm Stimmen zu kosten. Einer davon ist ein Assistent des bekannten örtlichen Politikers der Regierungspartei "Einiges Russland", Sergej Solowjow. Wischnewskis Anhänger protestierten gegen diesen Coup in Form einer Demo mit Wischnewski-Masken.

Der Politiker ist kein Einzelfall - die Zeitung Kommersant zählte im Juli landesweit 20 solcher Doppelgänger-Kandidaturen. Betroffen ist am häufigsten die Kommunistische Partei als stärkste parlamentarische Konkurrenz der Regierung.

Da auch andere Parteien von solchen "Säuberungen" ihrer Liste betroffen sind, hofft Jabloko, dass als Nebeneffekt die interne Konkurrenz zwischen den oppositionellen Kandidaten sinkt und die verbliebenen damit bessere Wahlchancen erhalten. Ob Jabloko eine großen Chance auf einen Einzug in die Duma hat - da sind die Meinungen gespalten.

WZIOM-Chef Fedotow sieht sie eher draußen, Jabloko-Vizechef Bolschakow bezweifelt in der Zeitung Kommersant die Unabhängigkeit der Aussagen des staatlichen Forschungsinstituts, das bereits bei allen zurückliegenden Wahlen für Jabloko zu niedrige Stimmenzahlen vorhergesagt hätte. Eine gewisse Panik scheint bei Jabloko jedoch zu herrschen - in einer aktuellen Presseerklärung versprachen sie den Russen, drei Viertel ihrer Abgeordnetenbezüge wohltätigen Projekten spenden zu wollen.

Ältere Wähler gehen zur Urne - Chance für eine Rentnerpartei

Am unauffälligsten unter den möglichen neuen Parlamentskräften ist die Rentnerpartei. Sie profitiert davon, dass in Russland - wie in Deutschland - die Wahlbeteiligung in der älteren Generation am größten ist und existiert mit unterschiedlichen Bezeichnungen, die aber immer das Wort "Rentner" enthielten, bereits seit 1997.

Auffällig war sie bisher kaum, gilt aber als regierungsnah und unterstützte etwa 2012 bei den Präsidentschaftswahlen offen Putin. Die Kommunisten sehen sie ebenfalls als Spoiler, doch anders als bei den "Neuen Leuten" gibt es für eine solche Eigenschaft wenig echte Belege, dafür aber für ihre relative Regierungsnähe.

Ob eine neue Partei in die Duma einziehen kann, hängt nicht zuletzt von der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahlauszählung ab. Der Politologe Pawel Salin glaubt in der Zeitung Kommersant, dass die russischen Behörden in jedem Fall darauf abzielen, neue Parteien aus der Staatsduma herauszuhalten.

Dass diese Absicht, für die es ja viele Indizien gibt, nicht mit Mogeleien bei der Auszählung erreicht wird, dafür ist die Zentrale Wahlkommission unter der recht angesehenen Politikerin Ella Pamfilowa zuständig. Diese war zuvor Mitglied von Putins Menschenrechtsrat und viele Beobachter bescheinigen ihr den Willen zu einer fairen Wahldurchführung.

Ob sie das bis in die tiefe Provinz garantieren kann, muss sich zeigen, denn die viel kritisierte Kandidatenauslese ist laut russischen Experten eine Angelegenheit unter bestimmendem Einfluss regionaler Behörden - oft Tausende Kilometer entfernt von Moskau.

Bei nachträglichen Zweifeln kann sich jedoch die westeuropäische Politikprominenz das übliche Protestgetöse sparen - denn die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat es laut einem Bericht der Moskauer Nesawisimaja Gaseta unterlassen, Wahlbeobachter zur Dumawahl zu schicken, obwohl die Möglichkeit bestanden hätte. 60 angebotene Beobachter waren dem Rat nicht genug gewesen - jetzt schickt er gar keine.