Parteienlandschaft: alter Wein in neuen Schläuchen

Auf Etikettenschwindel folgt Katerstimmung. Foto: Alexandra A./Pixabay (Public Domain)

Die Grünen als bessere CDU und das Zielgruppendesaster der AfD

Die AfD kann ihre Stimmenverluste am "Superwahlsonntag" wenigstens teilweise auf den Verfassungsschutz schieben, der Anfang März beschlossen hatte, sie bundesweit als "Verdachtsfall" in Sachen Rechtsextremismus einzustufen und trotz Stillhaltezusage nicht verhindert hatte, dass dies an die Presse durchgestochen worden war. Die AfD hatte zwar in Umfragen schon vorher an Zustimmung eingebüßt, aber dazu später.

Die CDU hat nämlich weniger Ausreden parat. Auch wenn sie sich bei den Kommunalwahlen in Hessen laut Trendergebnis landesweit als stärkste Kraft behaupten konnte und dort mit einem Stimmenanteil von 28,2 Prozent nur 0,7 Prozentpunkte im Vergleich zu 2016 verlor, ist der "Superwahlsonntag" für sie schlecht gelaufen. Zu groß waren ihre Stimmenverluste in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) und Malu Dreyer (SPD) jeweils im Amt bestätigt wurden. Außerdem wurde die CDU in der mit Abstand größten hessischen Stadt Frankfurt am Main von den Grünen überholt, ebenso in Hessens drittgrößter Stadt Kassel. In der Landeshauptstadt Wiesbaden liegt die C-Partei mit 23,2 Prozent nur noch 1,5 Prozentpunkte vor den Grünen - 2016 waren es noch mehr als zehn Prozentpunkte gewesen.

Neuer "Player", altes Spiel

"Die Zerstörung der CDU" hatte sich der Youtuber Rezo vielleicht trotzdem ein bisschen anders vorgestellt, als er 2019 ein Video mit diesem Titel veröffentlichte, das millionenfach geklickt und geteilt wurde. Denn ausgerechnet in Baden-Württemberg und Hessen, wo die Grünen gerade Wahlerfolge feiern, regieren sie auf Landesebene seit Jahren gemeinsam mit der CDU und werden ihr immer ähnlicher. Sei es als Senior- oder als Juniorpartner. Das zeigte im letzten Jahr die Zustimmung der hessischen Grünen zum Weiterbau der Autobahn A49 und zur Abholzung im Dannenröder Wald ebenso wie Kretschmanns Einsatz für Kaufprämien für Autos auch mit Verbrennungsmotor.

Auf den ersten Blick ist die Parteienlandschaft nun gründlich durcheinander gewirbelt worden: Die einstigen "großen Volksparteien" CDU/CSU und SPD müssen sich mit einem neuen "Player" in ihrer Liga abfinden, der sie vielerorts überholt hat. In Baden-Württemberg hatten die Grünen das schon 2016 geschafft, allerdings zeigt gerade dieses Beispiel, dass sie nicht für einen Politikwechsel stehen, sondern für Anpassungsfähigkeit an das bestehende System.

In Baden-Württemberg beweisen sie seit zehn Jahren in Regierungsverantwortung, dass weder die überzeugten Spießbürger im Ländle noch die Bosse der Automobilindustrie vor ihnen Angst haben müssen. Im Gegenteil: Die Grünen konnten es dort riskieren, junge Wahlberechtigte aus Umweltbewegungen wie Fridays for Future oder Extinction Rebellion zu verprellen - Kretschmann hatte wegen der Schulstreiks sogar mit Sanktionen gedroht - weil die ehemalige Friedens- und Ökopartei längst zur besseren CDU geworden ist. Das zeigen auch erste Analysen zur Wählerwanderung.

Das Motiv für die Wanderungsbewegung von der CDU zu den Grünen ließe sich so erklären, dass eine stylische neue Verpackung für alte Inhalte gewünscht wird - einen Tick ökologischer und moderner eben, aber bitte nicht zu anders.

Wer seine Stimme für eine andere Politik abgeben wollte, ohne sich für die "Alternative" von rechts zu begeistern, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit die Partei Die Linke gewählt, die in Hessens Kommunen zahlreiche Mandate erringen und vielerorts Fraktionsstärke erreichen oder halten konnte, die aber bei den Landtagswahlen im Südwesten an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte.

Bei diversen Kleinparteien war dies von vornherein klar gewesen. Sie anzukreuzen lohnte sich eher bei den Kommunalwahlen, wo diese undemokratische Hürde nicht angewandt wird. So gesehen sind die Stadt- und Gemeindeparlamente "bunter", allerdings müssen sich einzelne Vertreter von Parteien wie Volt, den Piraten oder Die Partei zusammentun und Fraktions- oder Ausschussgemeinschaften bilden, um nicht von wesentlichen Teilen der Parlamentsarbeit ausgeschlossen zu bleiben.

Als neue Ein-Punkt-Partei stand am Sonntag bei beiden Landtagswahlen sowie in hessischen Städten und Gemeinden die Klimaliste zur Wahl, wegen der Kretschmann im Nachhinein betrachtet völlig grundlos nervös geworden war: sie erreichte in Baden-Württemberg nur 0,9 Prozent, in Rheinland-Pfalz sogar nur 0,7 Prozent. Allerdings konnte auch sie in Hessen punktuell Erfolge erzielen: In der Universitätsstadt Marburg kam sie sogar auf 5,3 Prozent.

Und dann wäre da noch die wachsende Gruppe der Nichtwählerinnen und Nichtwähler, die in Baden-Württemberg 36,2 Prozent und in Rheinland-Pfalz 35,6 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachte - bei den hessischen Kommunalwahlen waren es sogar 49,6 Prozent. Viele glauben demnach, dass landes- oder bundespoltische Entscheidungen mehr Einfluss auf ihre konkrete Lebensqualität haben, während auf kommunaler Ebene mehr Parteien "mitspielen" dürfen.

Denkfehler der AfD

Die AfD hat es bei diesen Wahlen offensichtlich nicht geschafft, sich erfolgreich als "einzig wahre Oppositionspartei" zu inszenieren und in größerem Umfang Protestwähler gegen die Corona-Maßnahmen abzugreifen. Die damit verbundenen Abstiegsängste konnte sie aus mehreren Gründen schlecht für sich instrumentalisieren: Zu weit hergeholt wäre in diesem Fall die übliche Schuldzuweisung an Migranten oder Geflüchtete aus muslimischen Ländern gewesen. Weder die Covid-19-Infektionswelle noch die harten Maßnahmen zu deren Eindämmung ließen sich den "üblichen Verdächtigen" in die Schuhe schieben, denn wie Anfang 2020 bekannt wurde, war das Virus durch Geschäftskontakte des deutschen Automobilzulieferers Webasto nach China in die Bundesrepublik gekommen.

Als sich abzeichnete, dass die Pandemie nicht durch zusätzliche Dämonisierung des üblichen Feindbildes als Krankheitsüberträger auszuschlachten war, setzte die AfD darauf, dass sich ihre Zielgruppe vom "Merkel-Regime", dem sie die Schuld an der "unkontrollierten Masseneinwanderung" gab, nicht auch noch über Hygieneregeln belehren lassen wollte.

Die Denkfehler dieses Ansatzes könnten mit Alter, Geschlecht und Soziologie zu tun haben: Zu selbstverständlich ging die AfD davon aus, dass ihre Zielgruppe keine Angst vor dem Virus haben würde, obwohl die zu großen Teilen aus älteren Männern besteht, die im Fall einer Infektion statistisch besonders gefährdet sind.

Mit ihrer Forderung nach einem sofortigen Ende der Lockdown-Maßnahmen wollte die AfD unter anderem bei Inhabern und Beschäftigten der hart getroffenen Kleinbetriebe punkten, hatte aber offenbar nicht bemerkt, wie migrantisch diese Gruppe in Deutschland seit Jahren geprägt ist.

"Kopf-ab-Fraktion" überzeugt nicht mit Grundgesetz unterm Arm

Auch die Selbstdarstellung der AfD als Verteidigerin der Grundrechte wollte nicht so recht überzeugen, nachdem AfD-Politiker immer wieder durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufgefallen waren und manche von ihnen beispielsweise auch das Verbot der Todesstrafe in Frage gestellt hatten.

Das Agenda-Setting der AfD war bereits durch die Massenproteste gegen die Energie- und Klimapolitik der Bundesregierung Anfang 2019 gebrochen worden. Unterm Strich machte sich die ultrarechte Partei daraufhin wohl einfach zu wenig Gedanken darüber, wen sie eigentlich ansprechen wollte. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz und in mehreren hessischen Kommunen ist sie am Sonntag von zweistelligen auf einstellige Prozentergebnisse abgerutscht.

Der Bedeutungsverlust dieser Partei, die in den letzten Jahren von vielen Demokraten als größte Gefahr für die Zukunft der Republik empfunden wurde, löst aber noch lange nicht die existenziellen Probleme, vor denen Menschen und Ökosysteme auch ohne die AfD stehen. Sie lenkt jetzt nur weniger davon ab. Und eines ist sicher: Die Grünen lösen diese Probleme auch nicht.

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