Patente auf Erzeugung menschlicher Körperteile oder tiefgekühltes Sperma
Neue Allianzen gegen Patente auf Leben und die Umsetzung der EU-Patentrichtlinie
Der Streit um die Ratifizierung der EU-Richtlinie 44, die 1998 "den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen" definieren sollte, geht offenbar in die entscheidende Runde. Nachdem der Termin bereits mehrfach verschoben wurde, will der Deutsche Bundestag nun voraussichtlich im April darüber befinden, ob die umstrittene Vorgabe in deutsches Recht umgesetzt werden soll.
Doch der Protest gegen die gefürchteten "Patente auf Leben" wird immer lauter und zwingt die Gegner der EU-Richtlinie zu seltenen Koalitionen. So taten sich dieser Tage die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die Bundesärztekammer und die katholische Entwicklungshilfeorganisation Misereor zusammen, um Bundesregierung und Bundestagsabgeordnete mit einer konzertierten Aktion vor dem "Ausverkauf der Natur" zu warnen.
Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei - wie nicht anders zu erwarten - wieder einmal das Europäische Patentamt (EPA), das sich bei der Vergabe von Patenten seit Jahren nicht mehr an der nationalen Rechtslage, sondern an der in vielen Ländern noch gar nicht ratifizierten EU-Richtlinie orientiert. Diese erlaubt mehr oder weniger ausdrücklich die Patentierung von Genen, ganzen Pflanzen und Tieren sowie Teilen des menschlichen Körpers, die im Gesetzestext und dann wohl auch in der wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Praxis wie industrielle Waren gehandelt werden. Der Genindustrie könnten also rosige Zeiten bevorstehen. Die Zahl der Anträge am EPA, die 2001 noch einmal um 4.600 auf mittlerweile fast 30.000 stieg, spricht jedenfalls nicht dafür, dass sich die Branche in neuer Bescheidenheit üben will.
Aussagekräftiger als die nackten Zahlen sind freilich die Anträge selbst, und diese erwecken nicht unbedingt den Eindruck, als ob noch irgendetwas vor dem Zugriff der Genforscher sicher sein könnte. So werden nach Greenpeace-Angaben in der Patentanmeldung WO 01/94554 beispielsweise Verfahren zur Erzeugung menschlicher Körperteile beansprucht. Mithilfe diverser Chromosomensätze wollen die Antragssteller, die sich möglicherweise ein wenig zu intensiv mit Mary Shelleys "Frankenstein" beschäftigt haben, einzelne menschliche Organe - die Rede ist von "linkes Bein", "rechtes Auge", "Mund" und "Nasenhälften" - züchten.
Unter dem Aktenzeichen WO 01/18193 wird ein ähnlich gespenstisches Szenario entworfen. Hier sollen durch Klonierung entwickelte Teile menschlicher Embryonen und sogar ganze Embryos unter die Haut von Mäusen und Rindern gepflanzt werden. Aus dem in tierischer Umgebung entstandenen Gewebe wollen die Forscher dann einzelne menschliche Organe züchten. Der Antrag auf "tiefgekühltes Sperma", der unter der Nummer EP 1064355 bearbeitet wird, klingt da vergleichsweise harmlos, könnte aber ebenfalls weitreichende, um nicht zu sagen: unüberschaubare Konsequenzen haben. Denn die Antragssteller wollen sich das tiefgefrorene Sperma von Meerestieren, Reptilien, Vögeln, Säugetieren und Menschen nebst diversen Verfahren zur künstlichen Befruchtung patentieren lassen. Sperma wäre dann plötzlich eine durch das Industriemonopol geschützte Erfindung, ebenso wie die nach Farbe und Geschlecht sortierten Küken, denen unter WO 01/30136 nachgestellt wird. Für die Züchtung von Hennen und Hähnen, die ihr Geschlecht per Federfärbung verraten, ist die Gentechnik zwar überflüssig, doch auch hier schlägt der Patentwahn zu und erstreckt sich auf das Züchtungsverfahren als solches und die einen Tag alten Küken.
Den Antragsstellern geht es laut Greenpeace fast immer um handfeste wirtschaftliche Interessen, die bisweilen wie eine "verfeinerte Form des Kolonialismus" anmuten. So hat der Nahrungsmittel-Gigant Nestlé Gene aus Kakaopflanzen extrahiert und sie unter der für den gemeinen Schokoladenfreund wenig aussagekräftigen Bezeichnung WO 01/36648 zum Patent angemeldet. Wird der Antrag bewilligt, darf Nestlé das entnommene Erbgut via Genmanipulation wieder zurückführen und die entsprechenden Kakaopflanzen als Erfindung der Firma behandeln. Und wenn alles richtig gut läuft, müssen die südamerikanischen Bauern ihr Saatgut dann irgendwann bei Nestlé kaufen, um im Ursprungsland des Kakaos überhaupt Kakao anbauen zu dürfen ...
Den Parlamentariern in Frankreich und Luxemburg ging die zu erwartende Kommerzialisierung des natürlichen Erbguts und die absehbare Unterstützung solch halblegaler Bio-Piraterie nun eindeutig zu weit. Beide Länder lehnten die Umsetzung der EU-Patentrichtlinie ab und nährten damit die Hoffnung der deutschen Protestgruppen, dass auch der Bundestag eine Ratifizierung verweigern könnte.
In einer gemeinsamen Presseerklärung mit der Bundesärztekammer und der Entwicklungshilfeorganisation Misereor wies Christoph Then, Patent-Experte bei Greenpeace, auf die Notwenigkeit einer richtungsweisenden Entscheidung hin:
"Man könnte die Patent-Richtlinie einfach als handwerkliche Stümperei abtun, wenn sie nicht solch dramatische Auswirkungen auf Natur, Ärzte und Patienten, Landwirte und Menschen in Entwicklungsländern hätte. Dieses Patentgesetz darf es nicht geben, egal ob man seiner Vernunft oder seinem Gewissen folgt. Wir erwarten, dass die Abgeordneten des Bundestages das erkennen."
Ähnlich sieht es Otmar Kloiber, seines Zeichens Referent der Bundesärztekammer:
"Das Wissen um die menschliche Anatomie und das Genom des Menschen sind Allgemeingut und keine Handelsware. Es muss Klarheit darüber bestehen, dass lediglich für Verfahren und einzelne Verfahrensschritte zur Herstellung gentechnisch veränderter Medikamente Verwertungsrechte geltend gemacht werden können. Menschliche Gene oder Gensequenzen dagegen sind keine Erfindungen, sondern Erkenntnisse über natürliche Gegebenheiten, die sich einer Patentierung entziehen sollten."
Kloiber befürchtet bei einer Umsetzung der EU-Patentrichtlinie aber auch erhebliche Gefahren für die Transparenz der medizinischen Forschung. Langfristig könnte eine solche Praxis dazu führen, dass nur noch bestimmte Länder und in diesen Ländern nur noch bestimmte soziale Gruppen vom weltweiten Fortschritt der medizinischen Entwicklung profitieren können:
"Es ist zu befürchten, dass Forschungsergebnisse - in Erwartung einer Patenterteilung - nicht schnell und offen genug kommuniziert werden und in der Folge dadurch Experimente am Menschen und an Tieren unnötig wiederholt werden oder gar Warnungen vor gefährlichen Praktiken aus kommerziellen Gründen unterbleiben. Statt einer Patentierung sollten Gensequenzen deshalb grundsätzlich in Datenbanken frei verfügbar gehalten werden und durch Erhebung einer Benutzungs- bzw. Lesegebühr finanziellen Anreiz für eine weitere Erforschung bieten."
Für die Bundesärztekammer geht es allerdings nicht nur ums Prinzip, sondern auch ganz konkret um die rechtliche Stellung des Europäischen Patentamtes, das bislang keinerlei Rücksicht auf politische Rahmenbedingungen oder gar moralische Einsprüche legen muss:
"Anders als das deutsche Patentamt wird das Europäische Patentamt nicht durch ein unabhängiges Patentgericht kontrolliert. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg wacht nicht über die Entscheidungen des Europäischen Patentamtes. Das Europäische Patentamt ist sich selbst erste und letzte Instanz. Es fehlt also die äußere Kontrolle und auch die innere scheint nicht verlässlich zu sein."
Eben deshalb stellt sich allerdings die Frage, was eine Ablehnung der Patentrichtlinie durch den deutschen Bundestag überhaupt bewirken könnte. "Einiges", sagt Christoph Then auf Nachfrage von Telepolis. "Das Patentamt wird zunächst wohl nichts an seiner Vergabepraxis ändern, aber wenn die Richtlinie in mehreren Ländern abgelehnt wird, dürfte sich die Europäische Union gezwungen sehen, einen veränderten Gesetzestext auszuarbeiten, der die berechtigten Einwände stärker berücksichtigt."
Ob die engagierten Proteste gegen die "Patente auf Leben" tatsächlich über das Prinzip Hoffnung hinauskommen, werden die nächsten Monate zeigen.