Patriotic Millionaires fordern in Davos: Besteuert uns endlich!
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Reiche Eliten drängen auf höhere Steuern für Superreiche. In Davos fordern "Patriotic Millionaires" Spitzenpolitiker zum Handeln auf. Warum zögern die Entscheider?
Der Medientheoretiker Douglas Rushkoff hatte einst ein derart aufwühlendes Erlebnis, dass er nur Stunden später beschloss, darüber ein Buch zu schreiben, das den Titel "Survival of the Richest" tragen sollte. Er wurde für ein ungewöhnliches hohes Honorar in einen abgelegenen Ort gebeten, um einen Vortrag zu halten.
Zu seinem großen Erstaunen warteten dort aber nicht ein paar Hundert Zuhörer, sondern ausschließlich fünf Milliardäre und Multimillionäre. Nach einigen Testfragen kamen sie zu ihrem eigentlichen Thema: Die Frage, wo sie ihren Bunker für das "Ereignis" aufstellen sollten?
Das "Ereignis"
Unter "Ereignis" verstanden sie die nukleare Katastrophe oder die Klimakatastrophe oder die sozialen Unruhen, die die Welt unbewohnbar machen und sie zwingen würden, sich zurückzuziehen, um dem Rest der Menschheit zu entkommen.
Sie hatten dieses Thema offenbar schon sehr tief durchdacht, denn Navy Seals und Hubschrauber waren bereits in ausreichender Menge organisiert, ebenso wie Nahrung und Luxus für ihren längeren Aufenthalt im Bunker mit Schwimmbad und Saunen.
Eine Frage machte ihnen aber Sorgen, sodass sie sich Hilfe suchend an Douglas Rushkoff wandten: Wie konnten sie die Loyalität ihres Sicherheitsdienstes im Bunker garantieren?
Ihr Geld hätte angesichts des "Ereignis", das sie offenbar erwarteten, keine Bedeutung mehr. Auch als Einziger die Kombination zum Safe mit den Nahrungsmitteln zu haben, schien angesichts von Navy Seals keine gute Idee zu sein, die sicherlich die ein oder andere Technik kannten, um geheime Informationen aus Menschen herauszubekommen.
Die Sorge der Superreichen: So machtlos
Im Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags beschrieb Rushkoff diesen Moment:
Wie kann diese Gruppe von Menschen, die mächtigste Gruppe von Menschen, mit der ich je in einem Raum war, mit Sicherheit die reichste Gruppe, sich so machtlos fühlen, wenn es darum geht, die Zukunft zu beeinflussen; dass das Beste, was sie glauben tun zu können, die Vorbereitung auf den unvermeidlichen Zusammenbruch der Zivilisation ist?
Und da wurde mir klar, dass sie wirklich nur versuchen, genug Geld zu verdienen, um sich von der Wirklichkeit abzuschotten, die sie selbst kreieren, indem sie auf diese Weise Geld verdienen. Als ob sie ihrem eigenen Karma entkommen könnten.
Douglas Rushkoff im Gespräch
Fluchtphantasien der Superreichen
Elon Musk will den Planeten Mars besiedeln. Peter Thiel will schwimmende Inseln als Alternative zu bestehenden Staaten bauen, während Sam Altman und Ray Kurzweil darauf setzen, den menschlichen Verstand in einen Supercomputer hochzuladen. Für Rushkoff haben alle diese Pläne eins gemeinsam:
Ihr extremer Reichtum und ihre Privilegien haben nur dazu geführt, dass sie davon besessen sind, sich vor der sehr realen und gegenwärtigen Gefahr des Klimawandels, des Anstiegs des Meeresspiegels, der Völkerwanderungen, der globalen Pandemien, der Panik der Einheimischen und der Erschöpfung der Ressourcen zu schützen.
Für sie geht es bei der Zukunft der Technologie nur um eines: die Flucht vor dem Rest von uns.
Und Rushkoffs Ratschlag, sie sollten möglichst freundlich und großzügig gegenüber ihrem Sicherheitsdienst sein, damit diese auch nicht angesichts der Apokalypse die Seite wechseln und sich dem Mob jenseits der Bunkermauern anschließen, stieß auf wenig Gegenliebe.
Vermutlich besteht die Sorge der Superreichen weiterhin, wie sie in ihren Luxusbunkern ein etwaiges "Ereignis" unbeschadet überleben. Eine Lösung, die man mit Geld kaufen kann, für sie nicht in Sicht.
Rat eines Multimillionärs
Wenn die fünf Superreichen Bücher lesen, könnte ihnen aber ein überraschender Rat begegnet sein. Morris Pearl, seines Zeichens ebenfalls Multimillionär und Mitbegründer der "Patriotic Millionaires", warnt in seinem Buch "Tax the Rich!", das er gemeinsam mit der Multimillionärin Erica Payne verfasst hat:
Sie denken vielleicht, dass Ihr schicker kleiner Bunker Sie schützen wird. (…) Ich habe dieses Buch zum Teil geschrieben, um meine Mitmillionäre aufzufordern, den Kopf aus dem Sand zu ziehen. Sie zerstören das Land, unser Land, mein Land. Wir alle, auch wir Reichen, werden am Ende den Preis dafür zahlen, wenn wir unseren Kurs nicht ändern.
Ich habe eine Botschaft – eigentlich eine Warnung – an meine reichen Mitbürger in den Vereinigten Staaten und in der ganzen Welt. Ihr könnt nicht weiter zusehen und euren Reichtum genießen, während der Rest der Welt weiter in Armut und Chaos versinkt.
Wir haben die Folgen der großen Ungleichheit immer wieder gesehen. Lesen Sie noch einmal Ihre Geschichtsbücher. Dysfunktionale Gesellschaften gehen auch für reiche Leute nicht gut aus.
Morris Pearl
Achtung: Revolution!
Im Jahr 2014 veröffentlichte Nick Hanauer (dessen Vermögen auf rund eine halbe Milliarde Dollar geschätzt wird) einen Artikel in Politico mit einem Titel, der nichts an Deutlichkeit vermissen ließ: "The Pitchforks Are Coming … for Us Plutocrats" (Deutsch: Die Mistgabeln kommen … für uns Plutokraten).
Hanauer rief seinen "Milliardärskollegen" dazu auf, die Augen vor den Gefahren der wachsenden Ungleichheit zu öffnen. Dabei argumentierte er bewusst nicht aus moralischen Gründen, sondern appellierte an das Eigeninteresse der Reichen.
Er argumentierte, dass die Superreichen zwei wichtige eigennützige Gründe haben, Strategien zu unterstützen, die die Ungleichheit verringern. Erstens:
Wenn wir nichts tun, um die eklatanten Ungleichheiten in dieser Wirtschaft zu beseitigen, werden die Mistgabeln auf uns zukommen. Keine Gesellschaft kann diese Art von wachsender Ungleichheit aufrechterhalten. In der Tat gibt es kein Beispiel in der Geschichte der Menschheit, in dem sich der Reichtum so angehäuft hat und die Mistgabeln nicht irgendwann zum Einsatz kamen.
Zeigen Sie mir eine sehr ungleiche Gesellschaft, und ich zeige Ihnen einen Polizeistaat.
Oder einen Aufstand. Es gibt keine Gegenbeispiele. Keine. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wann.
Nick Hanauer
Der zweite Grund, warum Hanauer überzeugt ist, dass die Superreichen die Ungleichheit bekämpfen sollten, ist das Wirtschaftswachstum:
Das Ironischste an der zunehmenden Ungleichheit ist, dass sie völlig unnötig und selbstzerstörerisch ist. Wenn wir etwas dagegen tun, wenn wir unsere Politik so anpassen, wie es beispielsweise Franklin D. Roosevelt während der Großen Depression getan hat – so dass wir den 99 Prozent helfen und den Revolutionären und Verrückten, denjenigen mit den Mistgabeln, zuvorkommen –, dann ist das auch für uns Reiche das Beste. Nicht nur, dass wir mit dem Leben davonkommen, sondern dass wir mit Sicherheit noch reicher werden. (…)
Wenn wir Maßnahmen zur Verringerung der Ungleichheit ergreifen, wird der Gesamtkuchen größer und alle werden besser dran sein. Die Reichen werden reicher, wenn die Mittelschicht prosperieren kann. Wie können Unternehmen florieren, wenn die Arbeitnehmer kein Geld haben, um Blumen oder neue Kleidung zu kaufen oder zum Essen auszugehen?
Eine starke Mittelschicht, die anständige Löhne verdient, läge im Interesse der Reichen, da die Nachfrage nach ihren Waren steigen würde und die Reichen mehr Gewinn machen könnten.
Nick Hanauer
Es gibt nichts Gutes, außer man tut es
Wie auf Telepolis bereits an einer anderen Stelle dargestellt, kann – neben der Erhöhung des Mindesteinkommens – eine Steuer auf das Vermögen von Superreichen ein Weg sein, um die grassierende Ungleichheit zu verringern und deutlich mehr Geld in die Steuerkassen zu spülen und öffentliche Güter und Leistungen für das Wohl aller zu finanzieren.
Es gibt vermehrt Anzeichen, dass einige Superreiche nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, sich entsprechend verhalten. Vielleicht das bekannteste Beispiel: Die Erbin Marlene Engholm hat ihren Forderungen nach einer gerechteren Steuerpolitik, die insbesondere solche hohen Vermögen wie ihr eigenes ins Visier nimmt, Taten folgen lassen und ihr Erbe in Höhe von 25 Millionen Euro verteilt.
Die bereits erwähnten "Patriotic Millionaires" agieren als Lobby-Organisation, die sich für Steuererhöhungen auf sehr hohe Einkommen und Vermögen starkmachen. Im Januar 2020 verfassten sie einen offenen Brief an die Teilnehmer des World Economic Forum in Davos. 121 Milliardäre und Millionäre hatten unterschrieben. Die Forderung war eindeutig:
Es gibt zwei Arten von Wohlhabenden: diejenigen, die Steuern bevorzugen, und diejenigen, die Mistgabeln bevorzugen.
Wir bevorzugen Steuern. Und wir glauben, dass Sie das nach reiflicher Überlegung auch tun werden. Aus diesem Grund bitten wir Sie dringend, jetzt - bevor es zu spät ist - höhere und gerechtere Steuern für Millionäre und Milliardäre in Ihren eigenen Ländern zu fordern und dazu beizutragen, die Steuervermeidung und -hinterziehung von Privatpersonen und Unternehmen durch internationale Steuerreformen zu verhindern.
Wir stellen diese Forderung als Mitglieder der privilegiertesten Klasse von Menschen, die je auf der Erde gelebt haben.
Patriotic Millionaires
Im Jahr 2023 verschärfen sie ihre Forderung an die politische Elite, die sich in Davos versammelt hatte:
Warum dulden Sie in dieser Zeit der vielen Krisen weiterhin extremen Reichtum?
Die Geschichte der letzten fünf Jahrzehnte ist eine Geschichte des Wohlstands, der nirgendwo hinfließt, sondern nach oben. In den letzten Jahren hat sich dieser Trend stark beschleunigt. In den ersten beiden Jahren der Pandemie haben die 10 reichsten Männer der Welt ihren Reichtum verdoppelt, während 99 Prozent der Menschen einen Rückgang ihres Einkommens hinnehmen mussten.
Milliardäre und Millionäre mussten zusehen, wie ihr Reichtum um Billionen von Dollar wuchs, während die Kosten für den einfachen Lebensunterhalt die einfachen Familien in der ganzen Welt lähmen. (...)
Besteuern Sie die Superreichen, und zwar sofort. Das ist einfache Wirtschaft mit gesundem Menschenverstand. Es ist eine Investition in unser Gemeinwohl und eine bessere Zukunft, die wir alle verdienen, und als Millionäre wollen wir diese Investition tätigen.
Patriotic Millionaires
Was - oder wer - hält Sie davon ab?
In diesem Jahr betonten sie die Dringlichkeit ihrer Forderung:
An die führenden Politiker der Welt, die in Davos versammelt sind:
(…) Unsere Bitte ist einfach: Wir bitten Sie, uns, die Allerreichsten der Gesellschaft, zu besteuern. Dies wird weder unseren Lebensstandard grundlegend verändern, noch unsere Kinder benachteiligen, noch dem Wirtschaftswachstum unserer Nationen schaden.
Aber es wird extremes und unproduktives Privatvermögen in eine Investition für unsere gemeinsame demokratische Zukunft verwandeln.
Patriotic Millionaires
Dabei untermauerten sie ihren offenen Brief mit einer aktuellen Umfrage. 2.385 Personen mit einem investierbaren Vermögen von mehr als einer Million Dollar wurden in allen G20-Ländern befragt.
Sie gehörten somit zu den reichsten fünf Prozent ihrer jeweiligen Länder. Das Ergebnis ist eindeutig und sollte allen zu bedenken geben, die bei Forderungen nach einer gerechten Steuer abwinken, weil die reichsten der Gesellschaft diese torpedieren oder das Land verlassen würden:
- 75 Prozent befürworten die Einführung einer 2-Prozent-Vermögenssteuer für Milliardäre.
- 58 Prozent befürworten die Einführung einer 2-Prozent-Vermögenssteuer für Personen mit mehr als 10 Millionen Dollar.
- 54 Prozent glauben, dass extremer Reichtum eine Bedrohung für die Demokratie darstellt.
- 74 Prozent befürworten höhere Steuern auf Vermögen, um die Lebenshaltungskosten zu senken und die öffentlichen Dienstleistungen zu verbessern.
- 72 Prozent glauben, dass extremer Reichtum dazu beiträgt, politischen Einfluss zu kaufen.
- 70 Prozent glauben, dass die Wirtschaft stärker wäre, wenn wir die Steuern auf extreme Vermögen erhöhen würden, um in öffentliche Dienstleistungen und die nationale Infrastruktur zu investieren.
- 66 Prozent würden höhere Steuern auf sich selbst befürworten, wenn diese für Investitionen in öffentliche Dienstleistungen und eine bessere nationale Infrastruktur verwendet würden.
- 57 Prozent glauben, dass extremer Reichtum andere daran hindert, ihren Lebensstandard zu verbessern und die soziale Mobilität behindert.
- 53 Prozent glauben, dass extremer Reichtum den Klimawandel verschärft.
Großzügigkeit und Wohlbefinden
Die Organisation "The Good Ancestor Movement" berät vermögende Privatpersonen und Stiftungen bei der radikalen Vermögensverteilung. "The Good Ancestor Movement" arbeitet nicht mit Menschen zusammen, die mehr als 25 Millionen Pfund behalten wollen.
Ihre Arbeit beginnt mit der einfachen Frage: "Was bedeutet es für uns, gute Vorfahren zu sein? Wie wollen wir in Erinnerung bleiben, wenn wir nicht mehr am Leben sind?"
Angesprochen, ob jemals ein Superreicher, der auf einen Großteil seines Vermögens verzichtet hatte, dies später bereut hat, antwortet Jake Hayman, Mitbegründer von "The Good Ancestor Movement":
Ich habe noch nie jemanden getroffen, der auch nur einen Hauch von Reue empfindet. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, der extremen Reichtum aufgegeben hat, nannte es eine Befreiung.
Jake Hayman
Das menschliche Gehirn ist von Natur aus so eingerichtet, dass es Großzügigkeit belohnt, indem das sogenannte Belohnungszentrum aktiv wird und die Spender sich dementsprechend wohler fühlen. Ein bekanntes Experiment belegte dies.
Die Probanden erhielten ein unverhofftes Geldgeschenk, wobei die eine Hälfte die Auflage hatte, das Geld noch am selben Tag für eigene Wünsche auszugeben und die andere Hälfte das Geld am selben Tag für andere Menschen ausgeben musste.
Resultat: Menschen, die mit dem Geld anderen eine Freude gemacht hatten, waren in besserer Stimmung, als diejenigen, die mit dem Geld sich selbst etwas Gutes tun durften. Das dürfte auch zum Teil erklären, warum Superreiche, die auf einen Großteil ihres Vermögens verzichten, dem ehemaligen Kontostand nicht nachtrauern. Im Gegenteil.
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