Patriotismus, Wissenschaft und die atomare Gefahr
Nolans "Oppenheimer" dürfte Debatte über Nuklearwaffen befeuern. Den USA hält er einen Spiegel vor. Was es bedeutet, ein Patriot, ein Wissenschaftler und ein Abweichler zu sein.
Nach dem allerersten Test einer Atombombe beschrieb General Thomas Farrell das Licht der Explosion als "jene Schönheit, von der die großen Dichter träumen, die sie aber nur schlecht und unzureichend beschreiben". Achtundsiebzig Jahre später versucht einer der prominentesten Regisseure Hollywoods, nicht nur diesen Moment, sondern auch die Tragweite seiner Konsequenten filmisch einzufangen.
"Oppenheimer" – Christopher Nolans aktueller Film über den Mann, der diesen Test verantwortete – scheint eines jener biografische Filmdramen zu sein, das alle Chancen hat, ein Blockbuster zu werden.
Die Vorlage für den Film lieferten Kai Birds und Martin Sherwins mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Biografie American Prometheus. Bird sagte dazu, er hoffe, dass die Verfilmung
… eine nationale, ja sogar globale Debatte über die Themen anregen wird, die Oppenheimer unbedingt ansprechen wollte - darüber, wie man im Atomzeitalter lebt, wie man mit der Bombe lebt und über den McCarthyismus - was es bedeutet, ein Patriot zu sein, und welche Rolle ein Wissenschaftler in einer von Technologie und Wissenschaft durchdrungenen Gesellschaft spielt, wenn er sich zu öffentlichen Themen äußert.
Dieser Film ist mehr als nur unterhaltsam, er könnte den öffentlichen Diskurs und sogar politische Entscheidungen beeinflussen. Und das sollte er auch. Denn in seinen letzten Lebensjahren hat J. Robert Oppenheimer diese Diskussion selbst befördert.
Von Kindesalter an war Oppenheimer beigebracht worden, die Demokratie nicht als selbstverständlich anzusehen. Wie Bird und Sherwin ausführlich berichten, war er der Sohn eines Einwanderers und wurde an einer Eliteschule ausgebildet, in der fortschrittliche Werte und der Dienst an der Gesellschaft im Vordergrund standen.
Außerdem war er ein wissenschaftliches Talent. Kein Wunder, dass diese berauschende Mischung aus Brillanz und Aktivismus dazu führte, dass er der erste Berkeley-Hippie wurde. Während er dort in den 1930ern Physik unterrichtete, war er ein früher und entschiedener Gegner des Faschismus.
Dieser patriotische Dissens kennzeichnete Oppenheimers erstarkendes Gefühl bürgerlicher Verantwortung – selbst, als er später die Entwicklung der zerstörerischsten Schöpfung der Menschheit anführen sollte. Tatsächlich ist dieses Gefühl von Patriotismus und Antifaschismus – beflügelt von der Befürchtung, dass Nazi-Deutschland die Fähigkeit zur Massenvernichtung zuerst erlangen könnte – als eine entscheidende Motivation für seine Teilnahme am Manhattan-Projekt gut dokumentiert.
Nach den Bombenangriffen auf Hiroshima und Nagasaki nahm Oppenheimers Patriotismus eine andere Wendung. Eine Gefühle bezüglich der Atombombe, an deren Entwicklung er mitgewirkt hatte, waren tief gespalten. Er befürchtete, dass das eskalierende Wettrüsten die internationale Zusammenarbeit auf Dauer unmöglich machen könnte.
Oppenheimer wurde kaltgestellt
Deswegen wandte er sich gegen den expandierenden Imperialismus der USA und gegen die Entwicklung der exponentiell leistungsfähigeren Wasserstoffbombe.
Diese Verweigerung aus Gewissensgründen sollte Oppenheimers letzter politischer Akt sein. Auf dem Höhepunkt der "Red Scare", der hysterischen Kampagne gegen Linke, starteten die Befürworter der Wasserstoffbombe eine Verleumdungskampagne gegen ihn und behaupteten, er sei ein Agent der Sowjetunion.
Obwohl es keine konkreten Beweise für eine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei gab, wurde ihm die Sicherheitsgenehmigung entzogen. Und obwohl diese Entscheidung im letzten Jahr posthum von der Regierung Biden rückgängig gemacht wurde, haderte er den Rest seines Lebens mit seinem Schicksal, gerade so wie der griechische Titelheld in Birds und Sherwins Biografie. Er hatte seinen Ruf geopfert, um der Menschheit eine schreckliche Warnung auf den Weg mitzugeben.
Mit der "Oppenheimer" in den Kinos könnten die Lehren von "American Prometheus" nun ein neues, jüngeres und breiteres Publikum erreichen – und das zu einer Zeit, in der diese Lehren so relevant sind wie nie zuvor.
Heute können sich die Vereinigten Staaten erneut nicht mehr mit Wissenschaftlern anfreunden, die die Wahrheit zu sagen. Im vergangenen Jahr wurde ein Mann aus West Virginia in einem Bundesgefängnis inhaftiert, weil er gedroht hatte, den Chefimmunologen Anthony Fauci zu verprügeln und in Brand zu setzen, weil er an der Spitze der Covid-19-Impfkampagne stand.
Unterdessen lassen die Republikaner nicht davon ab, Wissenschaftler zu zensieren und ihr Umfeld anzugreifen. Jüngstes Beispiel ist das Republikaner-Kreuzverhör, John Kerrys im Repräsentantenhaus.
Die vorgeblichen Gründe für die Diskreditierung von Wissenschaftlern mögen sich seit den Zeiten des "Komitees für unamerikanische Umtriebe" geändert haben. Die grundlegenden Strategien sind dieselben geblieben.
Um die anhaltende reaktionäre Kampagne gegen die Wissenschaft zurückzudrängen, bedarf es robuster Institutionen wie der World Academy of Art and Science, die Oppenheimer gemeinsam mit Gegnern der Verbreitung von Kernwaffen wie Albert Einstein und Bertrand Russell gegründet hat.
Heute hat sich der Auftrag der WAAS trotz einiger Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung der Finanzierung über die nukleare Abrüstung hinaus ausgeweitet und umfasst nun auch unsere aktuelle Situation, in der sich der Klimawandel beschleunigt und die künstliche Intelligenz ausartet.
Diese Verlagerung des Auftrags zeigt, dass die unbeabsichtigten Folgen des Ehrgeizes wieder einmal die Existenz unserer Spezies bedrohen könnten. In der Werbekampagne für diesen Film hat Nolan selbst gesagt, dass die KI vor einem "Oppenheimer-Moment" steht.
Die Entwickler der Technologie haben die Wahl zwischen Vorsicht und Beschleunigung. Deshalb sind die "Oppies" von heute, die Stimmen, die zur Wachsamkeit mahnen, so unschätzbar geworden.
Es gibt Grund zu der Annahme, dass ein Film wie "Oppenheimer" sowohl die breite Öffentlichkeit als auch einflussreiche politische Entscheidungsträger zu dieser Vorsicht bewegen könnte.
Untersuchungen haben ergeben, dass Filme die Sichtweise der Menschen wirksam verändern können – so wie der zunächst unscheinbare Fernsehfilm The Day After eine Rolle dabei spielte, Ronald Reagan zur Unterzeichnung eines Atomwaffenabkommens mit der UdSSR zu bewegen.
Es bleibt also zu hoffen, dass das Publikum "Oppenheimer" nicht nur als Porträt eines Mannes, sondern einer ganzen Nation sieht. Denn Nolan hat – mit Hilfe von Bird und Sherwin – den US-Amerikanern die Gelegenheit gegeben, über Werte nachzudenken, dank derer die verheerendsten Folgen menschlichen Ehrgeizes kontrolliert werden könnten.
Diese Werte sind immer und jederzeit die Unterstützung der Wissenschaft, die Achtung von Wissenschaftlern und das Engagement für das Recht auf einen staatsbürgerlichen Dissens.
Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit der US-Wochenzeitung The Nation.
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