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Seite 3: Arabischer Frühling
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Im arabischen Frühling von 2011 organisierte sich der bereits seit Jahren gärende Protest ebenfalls über das Internet. Die Aktivitäten von Anonymous in der arabischen Welt begannen im Jemen, wo der seit drei Jahrzehnten regierende Präsident Ali Abdullah Salih per Verfassungsänderung seine Amtszeit auf Lebenszeit ausdehnen wollte. Da sich das Land gerade in einer Krise befand, bestand an lebenslänglich Salih kein Interesse. Die westlich geprägten Anons versuchten in diesem von Religion und Stammeswesen geprägten Land ihr Verständnis von Demokratie zu vermitteln. Diese Versuche erwiesen sich eher als kontraproduktiv.
In diesen Tagen stiegen die Spannungen in Tunesien, wo sich im Dezember 2010 der Gemüsehändler Mohamed Bouazizi aus Protest gegen die korrupte Regierung selbst verbrannte. Die Regierung hatte eine Ausgangssperre verhängt und setzte diese mit einem rigorosen Schießbefehl durch.
Statt Agitation sandte Anonymous den Menschen im Jemen und in Tunesien nun medizinische Informationen - etwa über Erste Hilfe und die Versorgung von Schusswunden. Im Anonymous-Schwarm fanden sich Dolmetscher ein, die bei Anleitungen halfen, wie man Wasser sterilisiert, Geschosse aus Wunden entfernt und sich mit Podcasts oder viralen Bildern in Sozialen Medien Gehör verschafft. Die Anonymous-Zelle Hamburg stellte schließlich den Survival Guide for Citizens in a Revolution zusammen, der seine Leser auf kritische Situationen vorbereitete.
Anonymous versuchte zudem, die Weltöffentlichkeit für die Situation zu interessieren und verbreitete Videos der Anons aus den Regionen. Nach blutigen Unruhen gab Tunesiens Präsident Ben Ali am 14. Januar 2011 auf. Der tunesische Blogger Slim Amamou, der zwischenzeitlich inhaftiert war, wurde Staatssekretär für Sport- und Jugend. Anonymous‘ wohl erster Minister "slim404" trat allerdings schon im Mai aus Protest gegen die restriktive Internetpolitik Tunesiens wieder zurück.
Jemens Präsident Salih konnte sich noch ein Jahr halten.
Op Egypt
Zur gleichen Zeit eskalierte die Lage in Ägypten, wo man die Aktivitäten von Anonymous mit Argwohn beobachtete. Die Regierung Mubarak hatte sich seit fast drei Jahrzehnten auf Notstandsgesetze berufen und Ägypten autoritär geführt, womit sich die Großmächte und die ähnlich geführten Nachbarstaaten gut arrangiert hatten. Nachdem es bereits seit Jahren gegen das korrupte wie gewaltsame Regime gärte, kristallisierte der Protest nach dem Mord am Blogger Khaled Mohammed Said.
Die Geheimpolizei hatte dem 28jährigen im Januar 2010 vor einem Internetcafé aufgelauert und ihn getötet. Die von seinem Bruder mit einer Handykamera gemachten Bilder der entstellten Leiche wurden im Metz viral und hatten seit Mitte 2010 Proteste ausgelöst. Vor allem die Facebookseite We are all Khaled Said wurde zu einen wichtigen Ventil gegen das Regime.
In Ägypten kam es Anfang 2011 zu Versorgungsengpässen bei Lebensmitteln, sodass auch der Hunger die von den Ereignissen in Tunesien ermutigten Ägypter auf die Straße trieb. Der Staat reagierte schließlich auf die "Facebook-Revolution", indem er das Internet einfach weitgehend abschaltete. Sämtliche ägyptischen Anons, mit denen die anderen Anonymous-Aktivisten über das Internet in Kontakt standen, waren von einem Tag auf den anderen verschwunden.
Der Hacker-Community stieß insbesondere übel auf, dass die Zensur der ägyptischen Kommunikationsinfrastruktur nicht zuletzt auch von westlichen Firmen beliefert wurde. Überraschend wurden auf einmal auch die von der Regierung belassenen staatlichen Websites abgeschaltet - von Anonymous. Nichts hassen Anons mehr als Unterdrückung, insbesondere in Form von Zensur. Anonymous sandte deshalb einen offenen Brief an Präsident Husni Mubarak und erklärte ihm, sein Abgang sei nur eine Frage der Zeit. Der US-Regierung stellte die Bewegung damals die Frage, wie sie denn zum bislang so partnerschaftlichen ägyptischen Regime stehe.
Im Dunstkreis von Anonymous formierten sich Aktionen wie Telecomix, die anonym die Nutzung von uralten Modems organisierten, um die Zensur des Netzes über Telefonleitungen zu umgehen. Anonymous propagierte in etlichen Ländern elektronische Anonymität und erklärte Internetnutzern etwa das TOR-Netzwerk, um Geheimdiensten bei Tracking und Verkehrsdatenanalyse zu blockieren. Die Behörden waren auf die "Steinzeit-Technologie" der Modems offenbar nicht vorbereitet.
Via Internet nahmen Anons in aller Welt am Schicksal ihrer Mitmenschen unmittelbar teil. Besonders bewegte sie die Anfrage eines Mannes, der wissen wollte, wie er das Bein seiner Tochter zu amputieren könne, die von einem berittenen Polizisten verletzt worden war.
Aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran nahm Anonymous auch dort staatliche Seiten unter Beschuss und griff im Außenministerium angeblich 10.000 E-Mails ab. In der Islamischen Republik war mit Omid Mearian 2004 der erste Blogger überhaupt verhaftet worden. Hoffnungen auf einen Regimewechsel auch im Iran erfüllten sich jedoch nicht.
Über die tatsächliche Bedeutung des Internets als Medium der Ägyptischen Revolution streiten die Historiker. Die Bilder der Massenproteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die um die Welt gingen, ähnelten jedenfalls frappierend denen aus dem Finale des Films V for Vendetta. Unabhängig vom Anteil, den die Freedom Ops der Hackergemeinde letztlich tatsächlich am Arabischen Frühling hatten, sorgte das Potential der Bewegung, bei Revolutionen mitmischen zu können, jedenfalls nicht nur für Aufmerksamkeit bei den Geheimdiensten in der arabischen Welt, sondern auch bei denen der USA.
Nächste Folge: ACTA for the Lulz! Weitere Teile finden sie im neuen
Weitere Teile finden sie im neuen Telepolis-eBook Anonymous - Sieben Jahre Hacktivismus, das im September erscheint.
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