Peak Oil? Warum die Tyrannei des Erdöls nicht enden will

Seite 2: Das Öl und der Krieg in der Ukraine

Die Hitzewellen sind auch nicht die einzige gefährliche Folge unserer immer noch wachsenden Abhängigkeit vom Erdöl. Aufgrund seiner lebenswichtigen Rolle im Transportwesen, in der Industrie und in der Landwirtschaft hat Öl schon immer eine immense geopolitische Bedeutung gehabt. In der Tat hat es zahlreiche Kriege und interne Konflikte um den Besitz von Erdöl gegeben – und um die kolossalen Einnahmen, die es einbringt.

Die Wurzeln der jüngsten Konflikte im Nahen Osten beispielsweise lassen sich auf solche Auseinandersetzungen zurückführen. Trotz der Spekulationen über Peak Oil und der nachlassenden Nachfrage bestimmt Erdöl nach wie vor das politische und militärische Weltgeschehen auf entscheidende Weise.

Um seinen anhaltenden Einfluss zu verstehen, muss man nur die vielfältigen Verbindungen zwischen Öl und dem laufenden Krieg in der Ukraine betrachten.

Zunächst einmal ist es unwahrscheinlich, dass Wladimir Putin jemals in der Lage gewesen wäre, die Invasion eines anderen gut bewaffneten Landes zu befehlen, wenn Russland nicht einer der größten Ölproduzenten der Welt wäre. Nach der Implosion der Sowjetunion im Jahr 1991 war das, was von der Roten Armee übrig geblieben war, nur noch ein Scherbenhaufen und kaum in der Lage, einen ethnischen Aufstand in Tschetschenien niederzuschlagen.

Nachdem Wladimir Putin im Jahr 2000 russischer Präsident wurde, übernahm er die staatliche Kontrolle über einen Großteil der Öl- und Gasindustrie des Landes und verwendete die Erlöse aus den Energieexporten zur Finanzierung der Rehabilitation und Modernisierung des Militärs. Nach Angaben der EIA machten die Einnahmen aus der Erdöl- und Erdgasproduktion zwischen 2011 und 2020 durchschnittlich 43 Prozent der jährlichen Gesamteinnahmen der russischen Regierung aus. Mit anderen Worten: Sie ermöglichten es Putins Streitkräften, die riesigen Bestände an Gewehren, Panzern und Raketen aufzubauen, die sie in der Ukraine so gnadenlos einsetzen.

Nicht minder wichtig ist, dass Putin nach dem Scheitern seines Militärs bei der Einnahme der ukrainischen Hauptstadt Kiew ohne das Geld, das er täglich aus ausländischen Ölverkäufen erhält, sicherlich nicht in der Lage gewesen wäre, den Kampf fortzusetzen. Obwohl die russischen Erdölexporte aufgrund der nach Kriegsbeginn verhängten westlichen Sanktionen etwas zurückgegangen sind, konnte Moskau Kunden in Asien – vor allem China und Indien – finden, die bereit waren, sein überschüssiges, einst für Europa bestimmtes Rohöl aufzukaufen.

Selbst wenn Russland dieses Öl zu vergünstigten Preisen verkauft, ist der Marktpreis seit Beginn des Krieges so stark gestiegen – der Standardpreis für Rohöl der Sorte Brent stieg von 80 Dollar pro Barrel Anfang Februar auf 128 Dollar pro Barrel im März –, dass Russland jetzt mehr Geld verdient als zu Beginn der Invasion. Tatsächlich haben Ökonomen des in Helsinki ansässigen Center for Research on Energy and Clean Air ermittelt, dass Russland in den ersten hundert Tagen des Krieges etwa 60 Milliarden Dollar mit seinen Ölexporten verdient hat – mehr als genug, um seine laufenden Militäroperationen in der Ukraine zu bezahlen.

Um Moskau weiter zu bestrafen, haben sich die 27 Mitglieder der Europäischen Union (EU) darauf geeinigt, alle russischen Öllieferungen per Tanker bis Ende 2022 zu verbieten und die Importe über Pipelines bis Ende 2023 einzustellen (ein Zugeständnis an den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der den Großteil seines Rohöls über eine russische Pipeline bezieht).

Dadurch werden die monatlichen Ausgaben der EU-Länder für diese Importe in Höhe von 23 Milliarden Dollar wegfallen, was jedoch die Weltmarktpreise noch weiter in die Höhe treiben könnte – ein offensichtlicher Segen für Moskau. Solange China, Indien und andere nicht-westliche Abnehmer nicht davon überzeugt (oder irgendwie gezwungen) werden können, auf russische Importe zu verzichten, wird das Öl weiterhin den Krieg gegen die Ukraine finanzieren.