Perfektion der digitalen Warenwelt

Jedes Objekt der analogen Welt im Handel soll mit elektronischem Zahlenkode, Funkchip und "Product Markup Language" aufgerüstet werden

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"Von Atomen zu Bits" lautete der Schlachtruf, mit dem Nicolas Negroponte, Direktor des MIT in seinem Bestseller "Total digital" 1995 die Digitalisierung und Totalvernetzung der Welt zum Programm erhob. An einem relativ neuen Institut an Negropontes MIT, dem Auto-ID Centre, läuft derzeit Forschungsarbeit, welche die Welt diesem Ziel in konkreten Schritten näher bringen soll. Dabei steht die - nur vordergründig triviale - Aufgabe im Zentrum, die seit ca. 25 Jahren gängigen Strichkodes durch neue Warenetiketten abzulösen.

Das Auto-ID Centre versucht nichts Geringeres, als, mit eigenen Worten, "das Netzwerk der Atome" mit dem "Netzwerk der Bits" in Verbindung zu setzen. Gelingen soll das durch eine Kombination aus Funketiketten, die mit einem komplexen, auf Internettechnologie aufbauenden System interagieren sollen. Die Etiketten enthalten einen Chip, auf dem der sogenannte "Electronic Product Code" (EPC) gespeichert ist. Auf dem Weg eines Objekts durch die Warenkette, vom Lagerhaus über die Verkaufsstelle bis zum Konsumenten, wird dieser EPC an ein Netzwerk übertragen, dessen Server den EPC mittel "Product Naming Service" (PNS) erkennen und mittels "Product Markup Language" (PML) in den jeweils richtigen Zusammenhang setzen und digital weiterverarbeiten können.

Vom Erfolg des Internet als Kommunikationsnetz für Menschen begeistert, entschieden sich die MIT-Technologen auf dieser Technologie aufzubauen und von vorneherein auf die Etablierung neuer Standards hinzuarbeiten. D.h. der Electronic Product Code soll ebenso wie der heute verwendete Strichkode weltweit einheitlichen Regeln folgen, genauso wie auch Product Naming Service und die Product Markup Language. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass ein derartig universeller Standard etabliert werden kann, denn an den Entwicklungsarbeiten beteiligen sich führende Elektronik- und IT-Unternehmen wie Motorola, Sun Microsystems und Philips Semiconductors, zu den Sponsoren des Projekts zählen Wal Mart, Gillette, Procter & Gamble, und ebenfalls mit im Boot sind die entscheidenden Standardisierungsinstanzen der westlichen Welt wie z.B. das US-amerikanische Uniform Code Council.

Die Grundzüge des EPC sind bereits festgelegt. Man geht davon aus, dass 96 Bits zur Speicherung der wesentlichen Information in Zahlenform genügen. 8 Bits sind für den Header reserviert, 24 Bits für den Hersteller, 24 Bits für die Produktklasse und 40 Bits für die einzigartige Seriennummer des jeweiligen Artikels. Das bedeutet, der große Vorteil des EPC gegenüber dem Strichkode soll der sein, dass nicht nur Produktklassen elektronisch identifiziert werden können, sondern jedes einzelne Objekt. Man verspricht sich davon zahlreiche Vorteile in der Vertriebskette: in Fragen des Nachschubs von Lieferanten, bei der Kontrolle des Inventars, zur Verhinderung von "Verlusten" auf Transportwegen durch unehrliche Spediteure, und zur "Entwicklungen neuer Schnittstellen in der Mensch-Computer- und der Mensch-Objekt-Interaktion" (Website-Selbstdarstellung).

Doch die "Vision" des Auto-ID Centre hört hier nicht auf. Auch jedes einzelne elektronische Haushaltsgerät, ob Kühlschrank oder Mikrowellenherd, soll vernetzt sein. In einem Artikel in der Technologyreview äußern sich Hersteller darüber begeistert, wie nahe sie das ihren Kunden bringt. Ein "Füllhorn an Informationen" für Markenartikelhersteller und Handelsketten würde die Technologie ausschütten. Dass der Kühlschrank ja automatisch anrufen kann, wenn der Vorrat an Tiefkühlpizzen zur Neige geht, mag Pizza Hut erfreuen, nicht aber die Datenschützer. Diese fürchten eine Informationsallmacht ungekannten Ausmaßes, einen Albtraum von Komplettüberwachung.

Allerdings kann es noch einige Zeit dauern, bis die Auto-ID-Technologie marktreif sein wird - derzeit schätzt man bis in 10 Jahren. Neben dem EPC sind auch der Product Naming Service und die Product Markup Language trotz vieler noch offenen Fragen in ihren Grundzügen bereits festgelegt. Der Engpass besteht aber noch bei den Funk-Etiketten. Das Ziel der Forscher besteht darin, die Kosten pro Etikett auf einen Penny (1 US Cent) zu drücken oder jedenfalls auf den einstelligen Cents-Bereich. Die bisher kleinsten und billigsten Etiketten arbeiten nach dem Induktionsprinzip. Eine kleine Metallspirale lädt sich auf, indem sie die elektromagnetischen Funkwellen von den Sende- und Empfangsstationen aufnimmt und mit dem so gewonnenem Strom den Chip zum Leben erweckt. Doch vor allem der Preis für die Metallspiralen macht diesen Typ mit ca. einem Dollar pro Einheit zu teuer für die meisten Massenartikel.

Nun experimentiert man mit einer anderen Methode, bei der elektrostatische Aufladung verwendet wird. Dafür benötigt man kein Metall mehr, sondern kann eine elektrisch leitende Kohlenstofftinktur verwenden, die auf Papier aufgebracht wird. Damit gelang es jetzt schon, den Preis auf einen halben Dollar zu reduzieren. Weitere Vorteile sind, dass das Etikett auch noch funktioniert, wenn der Papierträger geknickt oder teilweise eingerissen ist. Doch der Nachteil liegt in der äußerst geringen Reichweite dieser Art von Antennen. Bei einem Etikett in Briefmarkengröße beträgt sie nur etwa einen Zentimeter. Die Reichweite lässt sich vergrößern, wenn das Etikett in Form eines Strichs um die gesamte Verpackung rundherum aufgetragen wird. Aber auch dann ist die Reichweite noch zu gering für den Einsatz im Endverkauf und lohnte höchstens in der Lagerhauslogistik.

Doch die Ansprüche der Entwickler des MIT sind hoch. Sie wollen, dass jedes Objekt, ob physisch oder elektronisch, vernetzt werden und in eine kontaktlose Verhandlung mit ihrer Umwelt treten kann. Nichts soll zu klein oder zu billig sein, als dass es nicht eines solchen Chip-Etiketts für Wert befunden würde - sei es Banane oder Hühnerkeule. Sollte das System einmal bestehen, dann wäre es das größte jemals von Menschen gemachte System. Es wird erwartet, dass es mehr als eine Trillion (1012 ) einzigartiger neuer Objekte jährlich verarbeiten können müsste. Auch wenn Negropontes Buch im englischen Original "Being Digital" heißt und nicht "Total Digital", totalitär sind solche Visionen jedenfalls. Da möchte man doch Clifford Stoll's Beispiel folgen und für den LogOut plädieren.