Personalwechsel in Pristina
Das Kosovo erhält ein neues Gesicht: Søren Jessen-Petersen führt nun die UN-Mission an, die nun schon seit fünf Jahren erfolglos versucht den Kosovo-Konflikt zu lösen. Jeder weitere Fehler könnte einen neuen Flächenbrand auslösen
"Ich habe einen Plan", war stets sein berühmtester Satz. Und es klappte auch fast immer alles wie am Schnürchen, bis er kurz vor dem großen Coup doch plötzlich wieder alles verlor. Dänemarks berühmtester TV-Ganove Egon Olsen - der sich immer wieder mit dem Großkapital und EU-Bürokraten anlegte - dürften dem Dänen Søren Jessen-Petersen bekannt sein. Und trotz dessen Einfluss - als mächtigster Mann im internationalen Protektorat Kosovo - könnte ihn schon bald etwas mit dem tragik-komischen Helden der Olsenbande einen. Schon im nächsten Jahr soll der neue UNMIK-Chef den großen Coup vollziehen: die Klärung der Statusfrage. Jessen-Petersens Amtsantritt läutet eine entscheidende Phase der Lösung oder weiteren Entfachung des Kosovo-Konflikts ein.
Die bisherigen Lebensstationen des 59jährigen Juristen Søren Jessen-Petersen lassen darauf schließen, dass er wissen dürfte welche Schwierigkeiten demnächst ins Haus stehen. Denn stets hatte er beruflich mit Flüchtlingen zu tun. Vor 32 Jahren begann Jessen-Petersen seine Arbeit im UN-Flüchtlingswerk UNHCR. Zunächst von 1972 bis 1977 in Missionen in Afrika (Sambia, Ägypten, Äthopien) und 1981/82 als Generalsekretär im Vorstand des UNHCR. Später wechselte er auf verschiedene Chefposten innerhalb der Organisation und eröffnete 1986 das UNHCR-Büro für die skandinavischen Länder, dem er auch bis 1989 vorstand. Im selben Jahr war er an der Mission während der Unabhängigkeit Namibias maßgeblich beteiligt und stieg danach zum Kabinettschef im UNHCR-Hauptquartier in Genf auf. Gleichzeitig war er dort Direktor für Äußere Angelegenheiten.
Erfahrungen in Ex-Jugoslawien
In Jugoslawien wurde er erstmals bei der Umsetzung des Dayton-Vertrags 1995/96 in Bosnien-Herzegowina tätig. 1998 hatte er dann das dritthöchste Amt innerhalb des UNHCR inne und entwickelte Strategien für Rückführung und Ansiedlung von Flüchtlingen und befasste sich mit Migrations-, Asyl-, Grenz- und Visafragen in Bosnien und Kroatien. Seit Februar 2004 war er zudem Sondergesandter des EU-Ministerrates in Mazedonien.
Dort - im Nachbarland des Kosovo und damit nur wenige Kilometer von seinem neuen Arbeitsplatz entfernt - konnte er die "albanische Frage" unter umgekehrten Vorzeichen kennenlernen. In Mazedonien stellen ethnische Albaner die Minderheit und erhalten im Zuge des Ohrider Abkommens weitgehende Rechte. Dies führt jedoch bei Vertretern der mazedonischen Mehrheitsbevölkerung zu immer mehr Missmut, die sich von einer weiteren "Albanisierung" ihres Landes bedroht fühlen. Erst in der vergangenen Woche stieß dort die jüngste Gebietsreform auf teilweise gewaltsamen Widerstand.
Auch mit dem Kosovo hatte Jessen-Petersen bereits zu tun. 1999 musste er in seiner Position als stellvertretender UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge auf die riesigen Flüchtlingsströme von Kosovo-Albanern während der NATO-Intervention reagieren. Er verkündete die Position von über 50 beteiligten Staaten, die ihre Abscheu über die Vorgänge in Kosovo ausdrückten und sich der Darstellung von Sadaka Ogata, der UNO-Hochkommissarin für Flüchtlinge angeschlossen hatten.
Darin wurde die Vertreibung und Deportation von Kosovo-Albanern als einen Versuch der Vernichtung der kollektiven Identität einer ganzen Volksgruppe gewertet. Demnach war diese Kritik faktisch nur auf die Symptome und nicht auf den NATO-Luftkrieg gerichtet, der wie sich später herausstellte erst die humanitäre Katastrophe in diesen Dimensionen forciert hatte.
Personalwechsel
Somit übernimmt Jessen-Petersen nun das Amt seines vor allem an den März-Unruhen gescheiterten Vorgängers Harri Holkeri (Amtszeit beendet - Scherbenhaufen bleibt). Die Ereignisse am 17. und 18. März diesen Jahres (Terror im Kosovo) stellten das bislang offensichtlichste Scheitern der "internationalen Friedensbringer" in der weltweit größten UN-Mission (ca. 14.000 Bürokraten und Polizisten) und für die NATO-Truppe KFOR (ca. 20.000 Soldaten) dar.
Die Verwaltung und Verantwortung für zwei Millionen Einwohner - mehrheitlich ethnische Albaner - mit einer ungeklärten Frage des staatsrechtlichen Rahmens und damit sämtlicher damit zusammenhängender Probleme in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft hat bislang vier Amtsvorgänger innerhalb von fünf Jahren verschlissen. Ab 1. September muss auch der deutsche KFOR-Kommandant Holger Kammerhof vorzeitig seinen Posten räumen, um dem Franzosen Yves de Kermabon Platz zu machen.
Bereits jetzt arbeiten deshalb die UNMIK und Frankreich eng zusammen. So besuchte Jessen-Petersen Frankreichs Außen- und Verteidigungsministerium und sprach sich ebenso mit dem neuen KFOR-Kommandanten ab. Frankreich und die EU haben Jessen-Petersen deren volle Unterstützung zugesichert. Und die wird er brauchen, muss die UNMIK doch nun ein geeignetes Konzept durchsetzen. Schon der Anfang dürfte heikel sein. Fällt doch der Amtsantritt in den Beginn des Wahlkampfes für das Kosovo-Parlament, welches am 23. Oktober gewählt wird.
Bislang ist jedoch nicht klar, ob Vertreter der serbischen Minderheit - die neben Roma und Aschkali vorrangigen Opfer der März-Unruhen und der Vertreibungen seit dem Ende des NATO-Krieges 1999 - überhaupt an den Wahlen teilnehmen werden. Hauptfrage wird sein, in welcher Form das Konstrukt einer multikulturellen Gemeinschaft im Kosovo durchgesetzt werden soll. Denn ein Zusammenleben ist derzeit undenkbar. In den vielen serbischen Häusern - vor allem in den serbischen Enklaven - steht seit den Unruhen ein stets gepackter Koffer mit dem Nötigsten bereit. Nicht nur die Betroffenen, sondern ebenso viele internationale Beobachter rechnen inzwischen damit, dass eine Gewaltwelle jederzeit wieder ausbrechen kann, die jedoch die Ereignisse vom 17. und 18. März nur "wie ein laues Lüftchen" erscheinen lassen wird.
Die Politik der "Internationalen"
Somit glauben nicht wenige Serben an ein Schicksal, wie es vor neun Jahren in Kroatien der Fall war, als die serbische Minderheit aus der Krajna vertrieben wurde. Denn dieses Ereignis scheint sich bislang kaum auf die Unterstützung durch den Westen auszuwirken. Kroatien hat inzwischen die Einladung zu Verhandlungen für einen EU-Kandidatur erhalten, obwohl Tausende ehemaliger Einwohner bisher nicht zurückkehren konnten.
Im Kosovo schweigen die "Internationalen" ebenso und verbitten sich jegliche Schuldeingeständnisse. Selbst nach einem ausführlichen und ebenso kritischen Bericht, den die Organisation Human Rights Watch im Juli vorgelegt hatte. Zudem ist der Anschlag auf eine Schulklasse vor einem Jahr bislang nicht aufgeklärt worden. Dabei wurden zwei serbischen Jungen beim Baden von Unbekannten erschossen. Somit ist das Vertrauen nicht nur in die unmittelbare Nachbarschaft sondern auch in jegliche Instanzen tief erschüttert.
Demnach wird schon allein die Wahrnehmung von Verantwortung davon abhängen, ob Jessen-Petersen Erfolg haben wird. So soll Anfang nächsten Jahres in den ersten Regionen eine Stärkung der Selbstverwaltung ausprobiert werden, um die Erfahrungen später auf das gesamte Kosovo auszuweiten. In den insgesamt 30 Gemeinden im Kosovo, deren Anzahl wohlmöglich noch erhöht wird, wäre es dann den lokalen Verwaltungen überlassen grundsätzliche Entscheidungen über Straßen, Kindergärten oder einige Steuersätze selbst zu bestimmen.
Doch diese Vorschläge dürften Belgrad im Sinne der Sicherheit und der Gewährung von Grundrechten nicht weit genug gehen. Erst eine vollständige Autonomie, weitestgehende Entscheidungsmöglichkeiten durch die Institutionen der Selbstverwaltung und die Organisation der eigenen Sicherheit und somit eine eigene Polizei, würde demnach Sicherheit gewährleisten. Dies wäre auch im Sinne der gesamten nichtalbanischen Bevölkerung, die der bisherigen lokalen Polizei KPS keinerlei Vertrauen mehr schenke, nachdem deren Mitglieder selbst an den März-Ausschreitungen beteiligt waren.
Um dies zu ändern, haben die "Internationalen" bislang keine neue Strategie auf den Tisch gelegt. Als Gegenmaßnahme für ein erneutes Aufflammen einer Gewaltwelle hat die KFOR inzwischen ein neues Schutzsystem angekündigt. Auch das deutsche Verteidigungsministerium treibt eine Aufrüstung voran (Heimliche Aufrüstung in Berlin) Somit soll die Armee im Notfall Polizeiaufgaben wahrnehmen können, sprich Demonstrationen mit Tränengas zerschlagen, Gebiete zu Schutzzonen erklären und im Falle der Nichtbeachtung scharf schießen können.
Um in diesem Klima nicht den Anschein eines multikulturellen Kosovos aufrechtzuerhalten, rief Belgrad deshalb alle serbischen Parteien zum Boykott der Parlamentswahlen auf. Allein Vuk Draskovic, der stets gegen den Regierungskurs "schwimmende" Außenminister von Serbien und Montenegro, dessen Partei Regierungspartner in Belgrad ist, hielt in diesem Punkt ein Umdenken nur für möglich, wenn Jessen-Petersen sofort seine Arbeit aufnehmen und für die Sicherheit und das Leben von Serben und anderen Nicht-Albanern garantieren könne.
Dazu gehöre die Bewegungsfreiheit, Schutz von Eigentum, die Wiederinstandsetzung von zerstörten Häusern und Konditionen in denen ein normales Leben und ein Rückkehr möglich seien. Jessen-Petersen hat inzwischen eine Verlängerung des Zeitpunkts für die Teilnahme von Parteien an den Wahlen angekündigt. Allein die Bürgeriniative Serbien hat bereits erklärt, in jedem Fall an den Wahlen teilnehmen zu wollen.
Zwischen den Interessenblöcken
Einem ganz anderen Interessengegensatz ist Jessen-Petersen aller Wahrscheinlichkeit zudem auch nach außen hin ausgesetzt. Denn in der Frage der Balkanpolitik könnten USA und EU unterschiedliche Ziele verfolgen. So mehren sich innerhalb der EU die Stimmen, ähnlich wie in Bosnien auch die Mission im Kosovo durch die EU zu übernehmen.
In den USA könnte im Wahlkampf ums Präsidentenamt zudem der Balkan bald wieder zum Topthema werden, berichtete der Belgrader Sender B92. Seien doch die Berater von Oppositionskandidat John Kerry keine geringeren als Madeline Albright, Richard Holbrook oder James Rubin, die unter Präsident William Clinton die amerikanische Politik auf dem Balkan bestimmten.
Ein knapper Wahlausgang könnte die Kandidaten zu Versprechen bewegen, die auch den Kosovo-Status betreffen, berichte Obrad Kesic, US-Außenpolitikexperte für die Beziehungen zwischen Washington und Belgrad, gegenüber B92. Beide US-Präsidentenkandidaten stehen jedoch für ein unabhängiges Kosovo. Bushs Regierung steht zum großen Teil für die Lösung mit der bisherigen Strategie "Standards vor Status", während Kerry eine schnellere Lösung anstrebe, so Kesic.
Somit sind die Erwartungen und der Erfolgsdruck, die in den kommenden Monaten auf Søren Jessen-Petersen zukommen, größer als je zuvor bei dieser Mission. Vor einem erneuten Versagen warnt man bereits, wären die Folgen doch unabsehbar:
Das Wichtigste wird es für den neuen Boss in Pristina sein, eine Bombe zu entschärfen, die laut und beharrlich tickt. Sollte er versagen, gibt es nur wenig, dass einen blutigen sozialen Ausbruch im Kosovo stoppen könnte, der sich in eine große Sicherheitskrise im südlichen Balkan verwandeln wird. [...] Zusätzlich zu den Sicherheitsaspekten, wären die politischen Auswirkungen auf das Scheitern im Kosovo ebenso besorgniserregend. Wenn die vereinte Internationale Gemeinschaft nicht in der Lage ist, die Situation an einem ziemlich ruhigen Ort zu verbessern, welche Chancen bestehen dann für einen Erfolg mit einer in sich gespaltenen Internationalen Gemeinschaft an einem feindlichen Ort wie dem Irak?
Guardian vom 23. Juni 2004
Trotz aller politischen Forderungen sind Wirtschaftsaufschwung, die Entschärfung der sozialen Probleme und die gleichzeitige Rückkehr von Flüchtlingen möglichst gleichzeitig zu erledigen. Andere geben aber diesem weiterhin waghalsigen Unternehmen schon lange keine Chance mehr und plädieren für eine Teilung des Kosovos in einen serbischen Nord- und einen albanischen Südteil. Genau wie eine Unabhängigkeit würde das aber wiederum Auswirkungen auf Mazedonien und Bosnien-Herzegowina haben.
Eine Entschärfung verspricht man sich deshalb von einem genauen EU-Fahrplan, um weitere Sezessionen zu verhindern. Zudem steht im nächsten Jahr die Auflösung des Staatenbundes Serbien-Montenegro zur Debatte, die nach bisherigen Konstellationen in eine Auflösung münden wird. Somit wird 2005 zu einem Jahr, in der über Ex-Jugoslawien wieder neu verhandelt wird. Dann wird sich zeigen, wer von den Beteiligten am meisten verlieren wird. Søren Jessen-Petersen dürfte in diesem Prozess eine der wichtigsten Schlüsselfiguren sein.