Heimliche Aufrüstung in Berlin

Die Bundeswehr soll künftig auch Tränengas einsetzen können. Eine entsprechende Entscheidung wurde vom Bundeskabinett getroffen, die Öffentlichkeit blieb zunächst außen vor

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Was für eine Schmach für SPD-Verteidigungsminister Peter Struck und die Bundeswehr! "Völlig überrascht" worden seien seine Jungs, als albanische Extremisten in der kosovarischen Provinzhauptstadt Prizren Mitte März den Aufstand gegen die UNO-Truppen übten (Terror im Kosovo). Die Kfor-Aufklärung - und diverse nationale Geheimdienste - hätten versagt, hieß es wenige Wochen nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen Anfang Mai in einem Spiegel-Artikel. Um solch schlechte Presse künftig zu vermeiden, geht Struck nun in die - zunächst politische - Offensive: Nach Informationen des Greenpeace-Magazins und der deutsch-amerikanischen Wissenschaftlerinitiative Sunshine Project wurde vom Bundeskabinett auf Initiative des Verteidigungsministeriums bereits am vergangenen Mittwoch (9. Juni) die Aufrüstung der Bundeswehr mit Tränengas beschlossen. Einziges Problem: Nach dem internationalen Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) von 1993 ist der Einsatz von Tränengas als chemischer Kampfstoff durch eine Armee geächtet.

In dem von Deutschland ratifizierten Abkommen zur Rüstungskontrolle heißt dazu:

Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, Mittel zur Bekämpfung von Unruhen nicht als Mittel der Kriegführung einzusetzen.

Chemiewaffenübereinkommen, Paragraph 1, Absatz 5

Verteidigungsminister Struck will Tränengas einsetzen lassen, auch wenn das Chemiewaffenübereinkommen "jede Chemikalie" als Kampfstoff definiert, "die durch ihre chemische Wirkung (...) eine vorübergehende Handlungsunfähigkeit" bewirkt. Ohnehin scheint es im Verteidigungsministerium nicht viele Freunde klarer Definitionen zu geben. So ist bis jetzt in den Debatten um eine aufrüstungsgerechte Novellierung des "Chemiewaffenünereinkommen-Ausführungsgesetzes", kurz CWÜAG, nur von "Reizgasen" die Rede. Jan van Aken, Leiter des Hamburger Büros des Sunshine Projects sieht darin das eigentliche Problem. Es werde weder erklärt, welche Art von Gasen eingesetzt werden dürften, noch die entsprechenden Einsatzszenarien. Unter dem Begriff der Reizgase, sagt van Aken, könnten nach der jetzigen Formulierung sogar Betäubungsmittel und andere "nichttödlichen Chemikalien" fallen:

Weil die Einsatzszenarien nicht klar umrissen sind, könnten Gase dann künftig auch im Rahmen echter Kampfhandlung eingesetzt werden: Etwa in Höhlensystemen in Afghanistan.

Jan van Aken

Das aber wäre "ein klarer Verstoß gegen das Chemiewaffenübereinkommen".

Auch international ist die Wirkung der deutschen Initiative ein schwerer Schlag für diejenigen, die eine stärkere Kontrolle (Abrüstungspleite in Den Haag) der globalen Rüstungsindustrie durchsetzen wollen. Immerhin könnten die USA den deutschen Schritt als Legitimierung für den eigenen Einsatz von Tränengas, Betäubungsmitteln und anderen "nichttödlichen Chemiewaffen" (Tod durch die Hintertür) ansehen, meint das Sunshine Project.

Van Akens US-Kollegen wiesen erst Mitte April auf gleiche Tendenzen in den USA hin. Dort empfahl das U.S. Defense Science Board, ein beratendes Wissenschaftlergremium im US-Verteidigungsministerium, unlängst die standardisierte Verwendung von Betäubungsmitteln oder psychoaktiven Stoffen durch die Armee. Einige dieser Wirkstoffe waren im Oktober 2002 von russischen Spezialkräften verwendet worden, als tschetschenische Separatisten ein Musicaltheater in Moskau besetzt hatten (Das Gespenst aus der Flasche befreit?). Bei dem Befreiungsversuch wurden 129 der gut 800 Geiseln getötet, die meisten durch das eingeleitete Gemisch aus Narkosegasen. In den USA ist dessen ungeachtet von "nichttödlichen Chemiewaffen" die Rede, deren Einsatz von dem Chemiewaffenübereinkommen nicht berührt würden.

Auch in Berlin ist man sich der Brisanz des eigenen Vorhabens klar. Heimlich und ohne eine öffentliche Debatte wurde daher am vergangenen Mittwoch die Aufrüstung im Bundeskabinett beschlossen. Schon jetzt ist das nationale Ausführungsgesetz in den entsprechenden Ausschüssen in Bearbeitung, Nach Angaben des Sunshine-Project soll die Gesetzesnovelle noch vor der Sommerpause im Bundestag zur Debatte gestellt werden. Über das Vorhaben selber gibt es dann freilich keine Diskussion mehr, und so geht es den Beobachtern nun um Schadensbegrenzung. Der Bundestag, sagt van Aken, müsse nun die Art des einzusetzenden Gases und die Einsatzszenarien definieren, um den militärischen Missbrauch zu verhindern.