Tod durch die Hintertür
Auch "nichttödliche Waffen" töten: Wie Rüstungspolitiker die Gefahr einer profitablen Waffengattung herunterspielen
Die Schlacht ist vorbei, der Krieg hat gerade erst begonnen. Wenige Wochen nach der Einnahme des Irak durch US-Truppen werden nach und nach Details über die Waffen bekannt, die Washington erstmals zum Einsatz freigab. Schon nach der "militärischem Kampagne" in Afghanistan hatten Meldungen über die Benzinbombe Daisy Cutter oder ähnliche bislang experimentelle Waffen schockiert (USA werfen erste Thermo-Bomben auf Afghanistan). In der vergangenen Woche dann kam die Nachricht über eine im Irak eingesetzte Rakete (Pentagon will weiter aufrüsten), deren thermobarische Wirkung zwar Menschen, nicht aber das für anrückende Truppen nützliche Gerät des Gegners verbrennt. Sie soll unter anderem bei der Einnahme des internationalen Flughafens vor Bagdad angewandt worden sein. All das sind Einzelmeldungen, zusammengenommen aber erhärten sie das Bild von einer florierenden nordamerikanischen Waffenindustrie, die immer neue Produkte auf den tödlichen Markt bringt.
Ein weitgehend unerschlossenes und deswegen Profit versprechendes Feld sind die sogenannten nichttödlichen Waffen (NLW - non-lethal weapon). Doch es gibt Probleme für die Militärplaner in Washington. Die Biowaffenkonvention von 1972 und das vergleichbare Vertragswerk zum Verbot chemischer Waffen verbietet den militärischen Einsatz dieser Kampfstoffe grundsätzlich. Dessen ungeachtet halten Rüstungspolitiker der amtierenden US-Administration den Einsatz von NLWs für vereinbar mit internationalen Konventionen (Entwickelt das Pentagon chemische Waffen?).
Aber worüber wird gestritten? Nichttödliche Waffen decken ein breites Spektrum an, von dem sich der bislang größte Teil noch im Entwicklungsstadium befindet. Genutzt werden kann eine akustische Wirkung, Geruchsverbreitung, oder Mikrowellen. Im Kern dreht sich die international laufende Diskussion aber um chemische und biologische Kampfstoffe, weil sie am schnellsten eingesetzt werden können.
1996 veröffentlichte der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages einen Bericht zu nichttödlichen Waffen. Zu dieser Waffengattung fallen nach Ansicht der deutschen Experten Stoffe, mit deren Einsatz "politische und militärische Ziele auf taktischer und strategischer Ebene schnell durchgesetzt werden sollen, mit einem Minimum an Verlusten von Menschenleben und Zerstörung von Gegenständen".
Nichttödlich, wenn weniger als ein Viertel der Menschen stirbt
Als das "Fraunhofer-Institut für chemische Technologie" Mitte Mai im deutschen Ettlingen zu einer internationalen Konferenz über nichttödliche Waffen einlud, präsentierte der US-Wissenschaftler Nick Begich eine richtungsweisende Gegenposition. Eine Waffe gilt nach Begichs Ansicht schon dann als nicht mehr tödlich, "wenn weniger als 25 Prozent einer Gruppe von Menschen getötet wird".
Dieses Urteil ist bezeichnend, aber ehrlich. Mediziner und Rüstungskontrollexperten weisen immer wieder darauf hin, dass auch beim Einsatz von ihrer Anlage her nichttödlichen Chemiewaffen Todesopfer zu erwarten sind. Der humane Anschein, den die Bezeichnung erwecken sollen, ist eben nur Schein. Wenn einschläfernde und das Bewusstsein verändernde Stoffe in Bunkeranlagen geleitet werden, bilden sich im Inneren beispielsweise unterschiedliche Konzentrationen. Zudem ist die Sensibilität auf diese Stoffe bei jedem Menschen individuell ausgeprägt.
"Rüstungskontrolle kann sich nicht darauf beschränken, eine grauenhafte Waffe gegen die andere auszutauschen", sagt deswegen auch Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international. Schließlich habe auch der tödliche Ausgang des Geiseldramas in einem Moskauer Musicaltheater im vergangenen Jahr bewiesen, dass diese Kampfstoffe alles andere als harmlos sind (Das Gespenst aus der Flasche befreit?).
Biowaffenforschung auch in Deutschland?
Bewiesen hat dieser Einsatz auch, dass - Biowaffenkonvention hin oder her - die Forschung nicht nur in den USA auf Hochtouren läuft. Als der russische Präsident Wladimir Putin sich in der vergangenen Woche in einer Ansprache an die Nation wandte, kündigte er eine "umfassende Modernisierung der Armee" und die Entwicklung "strategischer Waffen einer neuen Generation" an. Beobachter gehen davon aus, dass die russische Armee schon länger über taktische Waffen mit chemischen Kampfstoffen verfügt. So sollen in Tschetschenien mit Tränengas bestückte Raketen eingesetzt worden sein.
Doch auch die Bundesrepublik setzt sich nicht gerade für den Erhalt der Internationalen Rüstungskontrollen ein. In ihrer jüngsten Stellungnahme beklagen die Experten vom Sunshine Projekt in Hamburg, dass die Bundeswehr 26 Forschungsvorhaben zu chemischen und biologischen Waffen unterhält. Darunter falle auch ein Projekt mit Krankheitserregern, die gentechnisch gegen Antibiotika resistent gemacht wurden. Der Erreger der Hasenpest (Francisella tularensis) befällt natürlicherweise Nagetiere. Weil er aber auch Menschen infizieren kann, wurde der Erreger als biologische Waffe weiterentwickelt. Die Forschung der Bundeswehr zielt auf eine "erhöhte offensive Fähigkeit des Hasenpest-Bazillums ab", schreibt die deutsch-amerikanische Wissenschaftlerorganisation. Daran ändere auch der defensive Charakter nicht.
Die Bundesregierung, die sich auf internationalem Parkett für starke Standards zur Kontrolle biologischer Waffen einsetzt, nimmt für die eigene Biowaffenforschung offensichtlich andere Standards in Anspruch. Jegliche militärische oder militärisch finanzierte Forschung an gentechnisch veränderten Organismen mit verbesserten offensiven Eigenschaften muss weltweit verboten werden - von Berlin bis Baltimore und Bagdad.
Jan van Aken vom Sunshine Project
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