Amtszeit beendet - Scherbenhaufen bleibt
Harri Holkeri tritt als Chef der UN-Verwaltung im Kosovo zurück, Foltervorwürfe wurden gegen die Bundeswehr laut, die Lage der Menschenrechte ist desolat
Unvorteilhafte Informationen zurückhalten, Fakten beschönigen und nur nichts Falsches zugeben, so hält man sich heutzutage üblicherweise in Politik und Wirtschaft über Wasser. "Der Ehrliche ist der Dumme", wusste auch Ulrich Wickert in seinem gleichnamigen Buch über den modernen und damit so verlogenen Alltag zu berichten. Doch dieser Grundsatz gilt nicht nur im "freien Westen", sondern auch da, wohin seine Vorstellungen von Demokratie, freier Marktwirtschaft und Menschenrechten exportiert werden. Das Kosovo ist so ein Beispiel.
Aus dem Kosovo wurde seit Jahren stets Gutes berichtet, bis schließlich im März des Jahres das Lügengebäude in sich zusammengebrochen ist. Die Gewaltwelle gegen die nichtalbanische Bevölkerung und internationale Sicherheitskräfte (Terror im Kosovo) offenbarte bisher am deutlichsten, wie unfähig Verantwortliche von UN und NATO in der Unruhe-Provinz regieren. Seitdem schien man nun eine Strategie des "Aussitzens" zu verfolgen. Seit mehr als immerhin zwei Monaten. Denn sowohl UNMIK als auch KFOR haben bisher jegliche Verantwortung für die Gewaltwelle abgelehnt und sich stattdessen die Schuld daran gegenseitig vorgeworfen. Personelle Konsequenzen wurden bisher neben einigen "Bauernopfern" nicht gezogen.
Doch zahlreiche Medienberichte, neue Studien international angesehener Organisationen und politischer Druck vor allem serbischer Politiker und Organisationen auf UN und NATO haben das Bild vom internationalen "Vorzeige-Friedensbringer" merklich verschlechtert. Vor allem die Berichterstattung über den Irak - eine Folgeerscheinung der Kosovo-Intervention - dürfte medial verhindert haben, den Fokus auf das Kosovo zu lenken. Doch man wacht langsam auf.
Das Nachrichtenmagazin Spiegel legt dabei derzeit auffällig direkt den Finger in die Wunde. Nach den Recherchen über das Versagen der Bundeswehr: Die Hasen im Amselfeld legte man nun mit Rassismus in Europa - Gnadenlose Jagd auf Minderheiten im Kosovo nach. Die Frage bleibt jedoch, warum man so lange brauchte, um die Situation so zu beschreiben.
Mittlerweile hat am Dienstag also nun der mächtigste Mann im Kosovo und der gleichzeitig ebenso erfolglose UNMIK-Chef Harri Holkeri seinen Rücktritt erklärt. Später als von Serben als auch Albanern gefordert, sind es offiziell Krankheitsgründe, wegen denen er zurücktritt.
Suche nach einem Nachfolger
Somit kann der erst jüngst - als "Hoffnungskandidat und Profi", mit Erfahrungen bei Friedensverhandlungen in Nordirland und als finnischer Ministerpräsident - ins Amt gewählte Holkeri, sich nun glimpflich aus der Affäre ziehen. Als Nachfolger des einstigen Kanzlerberaters Michael Steiner, der selbst mit 18 Monaten am längsten im Amt war (Deutscher Provokateur mit UNO-Mandat), hat Holkeri bereits nach neun Monaten Amtszeit seinen Rückzug angekündigt. Drei Monate vor dem eigentlichen Termin. Die Suche nach dem mittlerweile fünften UNMIK-Chef über das Kosovo, seit Errichtung des internationalen Protektorats 1999, hat begonnen.
Verschiedenen Medienberichten zufolge soll mit einem neuen UNMIK-Chef auch gleichzeitig die UN-Behörde reformiert werden. Zusätzlich will sich derzeit die FDP mit dem Vorstoß profilieren, die UN-Mission der EU zu übergeben (siehe: Von der Sanftmütigkeit der deutschen Truppen). Zusätzliche Änderungen über einen Strategiewechsel waren aber auch erstmals von der UNMIK zu hören, die sich aber mit dem Rücktritt Holkeris zunächst erledigt haben dürften. Noch am Tag vor Holkeris Rücktritt ließ Ulrich Boner, Mitglied des Direktorats der Lokal- und Regionalregierungen beim Europarat verlauten, dass Holkeri bereit sei, die von Belgrad vorgeschlagene Dezentralisierung (Aufteilung in ethnische Kantone) zu überprüfen. Boner gegenüber der Nachrichtenagantur SRNA: "Wie auch immer, niemand sollte der Illusion unterliegen, dass das die Lösung aller Probleme in der Region sein werde."
OSZE mahnt Verantwortung an
Doch unbeantwortet bleibt weiterhin die Frage nach der Verantwortung für die Gewalt im März und die dramatische Lage der Menschenrechte im Kosovo (Kosovo: "Die Menschenrechte sind auf dem Nullpunkt"). In einer am Tag der Rücktrittsverkündung von Harri Holkeri veröffentlichten Studie der OSZE wurden UNMIK und KFOR aufgefordert, Verantwortung für die Vorfälle zu übernehmen und sie zu untersuchen. Denn die UNMIK sei, so die OSZE-Abteilung für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, rechtlich verantwortlich für die bisherige "Nichtdurchsetzung von Gesetzen". Zudem sei eine schnelle und detaillierte Untersuchung nötig, um die Täter zu verurteilen.
Angemahnt wurde in dem Bericht das dringende Bedürfnis nach einer effektiven, verantwortlichen und nach Menschenrechtsbestimmungen arbeitenden Polizei, sowie die Möglichkeit - besonders für Minderheiten -, den Zutritt zu Gerichten zu erhalten, um dort zu arbeiten oder Rechte einzufordern. Ebenso sei es der Justiz zu ermöglichen, Kriminalfälle juristisch effektiv und glaubwürdig zu ahnden.
Weiterhin sei es notwendig, das Verantwortliche die Rechte von Flüchtlingen respektieren und fördern müssten, einschließlich des Rechts auf Rückkehr. Zudem sei eingeschränkt lebenden Minderheiten eine Grundversorgung zu gewährleisten. Alles in allem sind das also Forderungen der OSZE, die nur vage beschreiben, wie es fünf Jahre nach Errichtung des internationalen Protektorats real im Kosovo aussieht.
Deutsche Soldaten im Einsatz
Die jüngst von Amnesty International erhobenen Vorwürfe (Die "Ware" Mensch) gegen UN und NATO und auch speziell gegen deutsche Soldaten - als Auslöser und Nutznießer von Zwangsprostitution - gehen in eine ähnliche Richtung und blieben bisher ebenso folgenlos. Bei der Präsentation des ai-Jahresberichtes 2004 am Mittwoch in Berlin, kritisierte Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen ai-Sektion, dass das deutsche Verteidigungsministerium bisher dazu keine Untersuchung eingeleitet habe.
Genau am Tag der Entscheidung des deutschen Bundestages über die Verlängerung des Einsatzes der Bundeswehr im Kosovo hat zudem die BILD-Zeitung Gerüchte über Folterfotos aus dem Kosovo veröffentlicht. Darauf sollen deutsche Soldaten zu sehen sein. Die Bilder hatte die Zeitung allerdings nicht. 1999 hatten deutsche Soldaten für drei Monate im Kosovo ein Gefängnis bewacht, in dem normale Straftäter eingesperrt gewesen seien. Der ehemalige Stabsunteroffizier, von dem der Hinweis über die Bilder stammt, hat diese angeblich versehentlich von seinem Computer gelöscht. Erklärt hatte er überdies, dass sie seiner Meinung nach Fälschungen seien.
Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat eine Untersuchung dazu eingeleitet. Während der drei Monate ist es zu zwei Vorfällen gekommen, die mit Disziplinarstrafen geahndet wurden. Das Verteidigungsministerium gibt sich aber überzeugt davon, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Helmut Willman, früherer Heeresinspekteur sagte gegenüber der "Welt", die Soldaten würden auf dem Grundsatz von "Menschenwürde und Menschenrechten" ausgebildet. Hans-Heinrich Dieter, stellvertretender Generalinspekteur, ist der Überzeugung, dass die Bundeswehr deswegen Erfolg im Ausland habe, weil ihre Soldaten gut ausgebildet und vorbereitet seien. "Sie kommen nicht als Besatzer, sondern als Gäste".
Reaktionen auf Holkeris Rücktritt
Auf Harri Holkeris Nachfolger lastet demnach vieles, was bisher selbst verursacht, nicht beachtet, nicht erledigt, beschönigt oder schlicht nicht bekannt war. Dabei dürfte das "müde Beamtentum und die Betriebsblindheit", wie es ein ehemaliger ziviler Aufbauhelfer im Kosovo gegenüber Telepolis ausdrückte, eine der vielen Ursachen für diese Entwicklung sein. Dabei scheint sich aber lediglich offen zu legen, dass nicht neues Personal (das im Schnitt alle halbe Jahre ausgewechselt wird), sondern das ganze System nicht annäherungsweise das umsetzt, was die UN-Resolution 1244 vor fünf Jahren vorgeschrieben hat.
Die Reaktion auf den Rücktritt Holkeris war deshalb recht unterschiedlich. Kaum jemand der in- und ausländische Politiker war mehr von Holkeris Ankündigung überrascht. Seine Begründung wurde durchweg relativiert, man schwankte je nach Zugehörigkeit zwischen Bedauern und Zufriedenheit. Bei der nicht-albanischen Bevölkerung kamen Befürchtungen über eine weiterhin negative Politik seines künftigen Nachfolgers auf. Als Beleidigung dürften die Opfer der Gewalt vom März aber wohl die Reaktion aus Washington aufgenommen haben.
So sagte US-Außenamtssprecher Richard Boucher, dass Holkeris Einsatz im Kosovo dazu beigetragen habe "wirklichen Fortschritt bei den Bemühungen zur Realisierung einer multiethnischen Demokratie zu verwirklichen". Zu dem habe Holkeri geholfen, einen "wahren Dialog" zwischen Belgrad und Pristina ins Leben zu rufen. Eine schöngeredete Wunschvorstellung, angesichts des Scherbenhaufens, den Harri Holkeris Amtszeit im Kosovo hinterlassen hat.