Personenkult versus Staatskunst
- Personenkult versus Staatskunst
- Das Volk entmachtet sich als Souverän selbst
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Was vom demokratischen Gedanken der Souveränität des Volkes bei den Bundestagswahlen übrigbleibt (Teil 2 und Schluss)
Da die Erhaltung von Staaten und Völkern nächst Gott von guten Fürsten und klugen Statthaltern abhängt, ist es nur vernünftig, dass jeder sie unterstützt".
Jean Bodin, Staatsrechtler, 1583
"Neustart für Deutschland"
TV-Triell, ARD, 2021
Seinem ganzen politischen Inhalt nach besteht der in der demokratischen Wahl gepflegte Personenkult darin: Die im Personenkult gegeneinander konkurrierenden Persönlichkeiten der Menschengattung Berufspolitiker und Berufsnationalisten sprechen sich auf öffentlicher Bühne wechselseitig die Fähigkeit ab, charakterlich und persönlich das deutsche "Staatsschiff" (Jean Bodin) so zu führen und zu regieren, dass sein weiterer Erfolg nach innen wie nach außen zukunftssicher gewährleistet ist.
Vornehmlich nach außen, in den Fährnissen der globalen Konkurrenz von Staaten, Standorten und Nationen; und insbesondere in der ehrenwerten Gesellschaft von Weltmächten im New Great Game erweise sich wahre, will heißen erfolgreiche Staatskunst.
Einig darin, dass der Erfolg des deutschen Staatsschiffs das absolute Apriori, die conditio sine qua non allen politischen Handelns zu sein habe und nur wahre Staatskunst den Erfolg garantiere, wickeln die Aspiranten auf die wirkliche politische Macht in Staat und Gesellschaft vor dem Publikum als öffentliches Schauspiel ab.
Wer verfügt wahrhaftig und aufrichtig die charakterlichen und persönlichen Eigenschaften, den Willen und die, modern gesprochen, politische Kompetenz, das deutsche Staatsschiff richtig zu steuern und auf Erfolgskurs zu halten.
Selbstredend offensichtlich jeder, der sich um die demokratische Ermächtigung für die kommende Legislaturperiode bis 2025 bewirbt. So überbieten sich die Aspiranten um die politische Macht und der Handhabung des staatlichen Gewaltmonopols in den kommenden vier Jahren vor dem Publikum gegenseitig darin, wer mit seiner ganzen Persönlichkeit als personifiziertes Staatsinteresse, als versubjektivierte authentische Charaktermaske Deutschlands und seiner Notwendigkeiten am überzeugendsten für den zukunftsweisenden "Neustart für Deutschland" (TV-Triell, 20. September) zu beeindrucken vermag.
Wer als "kluger Statthalter" (Bodin) und Steuermann ans Ruder des deutschen Staatsschiffs gehört, da er für alle ersichtlich gegenüber den Konkurrenten die menschlichen und charakterlichen Eigenschaften verfügt, erfolgreich die Staatskunst zu praktizieren sowie den Willen dazu hat, es bestmöglich zu tun, der erscheint am glaubwürdigsten: Ihm neigt sich folglich die Sympathie und das Vertrauen des Publikums zu.
Er vermag am meisten "Sympathiewerte", wie das genannt wird, auf sich zu vereinigen. Und zwar, weil er auf die politische Empfindung im Publikum trifft, die sich der Sichtweise und gelebten Überzeugung verdankt, ihren Wünschen, Hoffnungen, Bedürfnissen und Zwecken sei am besten gedient, wenn Deutschland erfolgreich nach innen wie nach außen regiert wird.
Je erfolgreicher die eigene Nation, umso größer die Chance und Wahrscheinlichkeit, dass die eigenen Notlagen, Nöte und Interessen Beachtung und Berücksichtigung durch die demokratisch zum Regieren Ermächtigten finden. Insofern lebt, wählt und betätigt sich die staatsbürgerliche Seele ihrerseits gleichfalls als personifiziertes Staatsinteresse, als versubjektiviertes Deutschland.
Die Souveränität des Volkes im Rahmen der demokratischen Wahl
Darauf spekulieren und damit rechnen die vergangenen, die gegenwärtigen und die kommenden Inhaber oder Anwärter auf die politische Macht im Land in ihrer Eigenschaft als personifiziertes Staatsinteresse.
Denn das gilt schon: "Die Erhaltung von Staaten und Völkern" (Bodin) gebietet, "dass jeder die klugen Statthalter unterstützt." (Bodin) Und nicht zu Unrecht spekulieren und rechnen die modernen Statthalter des Ganzen auch in der Phase der demokratischen Wahl mit dieser Unterstützung.
Um aber die erfolgreiche Handhabung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen wie nach außen in aller Freiheit zu praktizieren, muss der Staat der zweifelsfreie Souverän im Lande sein. Weshalb er in der Wahl das Volk zum wahren Souverän erhebt.
Die Inhaber der Souveränität sind auf keine Weise den Befehlen eines anderen unterworfen, geben den Untertanen Gesetze, schaffen überholte Gesetze ab, um dafür neue zu erlassen. Niemand, der selbst den Gesetzen oder der Befehlsgewalt anderer untersteht, kann dies tun.1
Am Tag der Wahl findet der Wähler alles, wie bereits in den vergangenen vier Jahren und davor, längst eingerichtet: Eine seit Mai 1949 abgeschlossene Staatsgründung und damit ein staatliches Gewaltmonopol samt einem im Grunde fertigen, demokratischen Staatsaufbau mit Grundgesetz, Regierung und Regierenden; mit Parlament, mit staatlichen und administrativen Institutionen, Ministerien, Ämtern und Behörden; mit einer Rechtsordnung und Gewaltenteilung; mit einer spezifischen Eigentumsordnung und einer ihr entsprechenden politökonomisch nach Klassen sortierten Gesellschaft; mit einer auf die Marktwirtschaft verpflichteten Wirtschaftsordnung; und nicht zuletzt ein grundgesetzlich präzise bestimmtes Wahlrecht und mit einer zum deutschen Volk definierten Bevölkerung, bestimmt als die schon Regierten und zukünftig weiterhin zu Regierenden.
Insgesamt: also eine nach innen bereits vollendete staatliche Souveränität mit dem inzwischen vollendeten Anspruch nach außen, Deutschland sei erst dann wirklich Souverän, wenn die DDR in den westdeutschen Staat eingemeindet und darin auf- bzw. untergegangen sei.
Diese Konstituenten der demokratischen Wahl, gleichermaßen die staatliche Souveränität, sind der Wahlentscheidung des Wählers per definitionem entzogen. Sie bleiben für ihn unantastbar, vor, während und nach der Wahl. Sie sind für ihn unerreichbar, sie liegen außerhalb und jenseits seiner im Wahlrecht bestimmten und bestätigten Souveränität.
Diese Konstituenten der demokratischen Wahl sind sein treuer Begleiter, von der Wiege an bis zur Bahre. Der Begriff und die Wirklichkeit von Souveränität: "Inhaber der Souveränität sind auf keine Weise den Befehlen eines anderen unterworfen, geben den Untertanen Gesetze, schaffen überholte Gesetze ab, um dafür neue zu erlassen" (Bodin), trifft auf die sich in der Wahl betätigende Souveränität des Wählers, auf die berühmte Volkssouveränität keinesfalls zu.
Käme sie dem Wähler faktisch zu, bedeutete dies die Enttrohnung und Selbstentmachtung der staatlichen Souveränität im Widerspruch mit sich selbst.
Umgekehrt: Indem der Wähler mit seinem Kreuz in einem Kreis auf einem Zettel kundtut, von welchem Regierungspersonal er sich die nächsten vier Jahre lang regieren lassen will, hat er explizit erklärt, dass er seinen freien Willen, seine Souveränität dahingehend betätigt, es möge die staatliche Souveränität so, wie so nun mal ist, weiterhin geben - in der Hoffnung, sie möchte doch zukünftig ihm wirklich zu Diensten sein.