Personifizierter Anti-Hippie stürzt USA ins virtuelle Verderben
Homefront bietet zwar ein interessantes Szenario, bleibt aber technisch hinter den Möglichkeiten zurück
2027. Die Republik Großkorea hat die Vereinigten Staaten von Amerika erobert, nachdem sie sich bereits sämtliche Nachbarländer inklusive Japan einverleibt hatte. Die kommunistischen Heerscharen stehen also im Mutterland der modernen Demokratie und beginnen (wie uns die ersten, hart anzusehenden Minuten des Spiels vor Augen führen) mit den ersten Säuberungen.
Einige als bemerkenswert untermenschliche Schlitzaugen gezeichnete koreanische Soldaten prügeln den Spieler - der dieses Mal ein erfahrener Army-Pilot sein darf - in einen Gefangenenbus, um ihn in das nächste Lager bringen zu lassen. Während der Fahrt besteht Gelegenheit, das unterstellte Ausmaß koreanischer Bestialität zu bestaunen. Überall misshandeln und prügeln die Besatzer brave amerikanische Bürger durch die Straßen oder bringen sie noch an Ort und Stelle um.
Eine junge Mutter, die ihren vierjährigen Sohn noch bittet, sich ihre Exekution nicht zu Herzen zu nehmen, wird an die Wand gestellt und vor den Auges des verzweifelten Jungen über den Haufen geschossen. Während der Bus langsam weiterfährt, sieht man, wie die koreanischen Schergen das weinende Kind mit der Leiche zurücklassen. Eigentlich nur eine kleine Szene am Rande, die aber selbst manch eingefleischten FPS-Söldner schwer schlucken lässt.
Derart harte Kost war man vom Studio Kaos bislang nicht gewohnt. Die ursprünglich aus der Modding-Szene stammenden Entwickler haben 2008 mit Frontlines einen Überraschungshit produziert, der nicht nur problemlos mit Millionenproduktionen wie Modern Warfare mithalten konnte, sondern mit seiner offenen Level-Architektur sogar ein erfrischendes Gegengewicht zum übertrieben linearen Design der mächtigen Konkurrenten bot. Wie gut Frontlines wirklich war, beweist die Tatsache, dass einige hier eingeführte Innovationen wie der Einsatz von Drohnen und fernsteuerbaren Vehikeln mittlerweile Genre-Standards sind.
Auch Frontlines erzählte von kriegerischen Auseinandersetzungen der näheren Zukunft - wenn auch auf vergleichsweise rudimentäre Weise. Vor etwa zwei Jahren wurde von Publisher THQ bekannt gegeben, dass Kaos an einem weiteren First Person Shooter namens Homefront arbeitet, dessen erzählerischer Rahmen von niemand geringerem als John Milius gestaltet würde. Der beinahe sagenumwobene, von John Huston entdeckte Drehbuchautor (Der Weiße Hai, Apocalypse Now, Calahan, 1941) und Autorenfilmer (Der Wind und der Löwe, Conan der Barbar, Die rote Flut) gibt sich stets und seit jeher ultrakonservativ und betont wehrhaft. Gerne lässt er sich grinsend mit Miliz-Barret oder riesigen Schusswaffen aus seinem privaten Waffenlager ablichten. Als junger Mann war er Ende der 1960er anständig frisiert und ein ausgesprochener Befürworter des Vietnamkriegs. Und der personifizierte Anti-Hippie hatte nach eigenen Angaben beschlossen, sich persönlich in den Konflikt einzuschalten.
Zu seinem Leidwesen blieb ihm der Krieg ein ferner Traum, da er die Musterung aufgrund seines Asthmas nicht bestand. In dieser Zeit entwickelte er angeblich eine Phobie gegen die überall vorzufindende Friedensrune und ging dazu über, sie so "weiterzumalen", dass die stilisierten Umrisse eines B52-Bombers sichtbar wurden. Über und unter die so abgeänderten Symbole schrieb er den Slogan "Apocalypse Now" - ein erster Impuls zu dem Jahre später entstehenden monströsen Klassiker, dessen Einstufung als "Antikriegsfilm" unter diesen Gesichtspunkten noch einmal diskutiert werden sollte.
Milius ist auch Schöpfer von einigen der markigsten One-Linern der Filmgeschichte. Aus seiner Feder stammen Kurzdichtungen wie "I love the smell of napalm in the morning!" oder "Charlie don't surf!". Auch Clint Eastwoods legendäres "Go ahead... and make my day, punk!" wurde ihm von Milius auf den reaktionären Leib geschrieben. Nach einigen desaströsen Versuchen, eine angemessene Fortsetzung von Conan zu realisieren (mit dem Big-Budget-Trash Conan The Destroyer hatte Milius nichts zu schaffen, was man dem Ergebnis überdeutlich anmerkt), wurde es in den frühen 2000ern sehr ruhig um den passionierten Sammler von großkalibrigen Knarren. Nur die eng mit ihm befreundeten Gebrüder Coen setzten ihm in der von John Goodman kongenial verkörperten Figur des Walter Subchack ein ziemlich lustiges Denkmal in The Big Lebowski.
Im Jahr 2005 erschien er plötzlich wieder auf der Bildfläche, um mit HBO eine der beeindruckendsten Fernsehserien schlechthin aus dem Boden zu stampfen: Rom. Nachdem ein Feuer in Cinecitta die Kulissen der Serie nach der zweiten Staffel vernichtete, hatte Milius wieder Zeit, sich anderen Projekten zuzuwenden. Neben den geistigen Vorbereitungen zu zwei weiteren historisch angelegten Serien (Pharao und Aztec) sowie einem Monumentalfilm über Dschinghis Khan mit Mickey Rourke in der Titelrolle fand er auch noch Zeit für die Zusammenarbeit mit Kaos.
Ist Homefront also der Übershooter geworden, den man sich von der Kombination des begnadeten Gewaltmenschen mit einem begabten Entwicklerteam erwarten würde? Jein. Milius' Part funktioniert hervorragend, selten wurde ein Shooter mit einer derart eindrucksvollen Rahmenhandlung garniert. Wie Hanussen an einem schlechten Tag orakelt er den USA einen denkbar ungünstigen Verlauf des Konflikts, so dass außer Gruppen verzweifelt kämpfender Partisanen bald niemand mehr Widerstand leisten kann. Zu einer dieser als Resistance firmierenden Gruppierungen stößt unser Avatar bereits kurz nach Beginn der Geschichte, so dass er sich nun für einige Stunden damit befassen darf, mit einer kleinen Truppe gewisse strategische Vorgaben des Widerstands umzusetzen. Miltärbasen werden erobert, Ölvorräte gesichert und dergleichen mehr.
Der Ablauf dieser Missionen gestaltet sich jedoch nicht so, wie man das nach dem hervorragenden Frontlines erwartet hätte. Meist rast man nach dem Vorbild eines Modern Warfare durch die Level. Der einzige spürbare Unterschied liegt darin, dass man durch Gärten und Hinterhöfe hetzt, statt sich seinen Weg auf der Hauptstraße zu bahnen. Wie schon die aktuelle Medal Of Honor-Ausgabe geht auch Homefront auf Nummer Sicher und folgt dem Muster der immens erfolgreichen Call-of-Duty-Franchise. Lineares Gameplay oder offene Spielwelten - beide Modelle haben ihre Berechtigung im Genre. Dass man aber mittlerweile bei fast jedem neu erscheinenden Titel wie auf Gleisen durch eine Art virtueller Luxus-Schießbude fährt, ist langweilig genug; schade, dass sich nun auch erwiesene Open-World-Meister wie Kaos diesem Trend anschließen.
Hat man gerade Lust auf diese Art Gameplay, macht die Kampagne durchaus Spaß. Die rasanten Scharmützel sind stellenweise fordernd und gelegentlich nur mit den üblichen High-Tech-Gadgets zu bewältigen. Taktische Möglichkeiten gibt es da nur wenige. Ausgerechnet der offensichtlich als Abwechslung gedachte Abschnitt Farmlands ist letzten Endes der mit Abstand schwächste Moment der Single Player Missionen. Der Spieler muss sich hier im Stealth Modus an einigen Gegnern vorbeischleichen. Die sind so postiert, dass sie den kleinen Trupp Partisanen unter allen Umständen bemerken müssten. Sie sehen aber einfach woanders hin. Letzten Endes sind es die von Milius eingearbeiteten, so dramatischen wie drastischen Momente - etwa die Infiltrierung eines Gefangenenlagers oder das Entdecken gigantischer Massengräber - die das Interesse an der Kampagne wachhalten.
Eine auffällige Schwäche von Homefront ist die auf der Unreal-Technologie beruhende Grafik. Auf der Basis dieser Engine werden seit Jahren Spiele wie Bioshock, [indiziert] oder Bulletstorm mit hochwertiger Grafik versehen. Da Kaos mit dem immer noch blendend aussehenden Frontlines bereits sehr gute Ergebnisse mit der Technik aus dem Hause Epic erzielten, kann es also weder an der Engine noch an mangelndem Talent der Spieldesigner liegen, dass Homefront eigentlich nur in der PC-Version gut aussieht. Die immerhin noch mit 1080p ausgegebene X360-Variante sieht seltsam rau und unpoliert aus, während die Version für die PS3 durch eine "HDready"-Auflösung von 720p noch unattraktiver wirkt.
Das riecht nach knappen Deadline-Terminen. Hier wurde einmal mehr ein nicht ganz fertiggestelltes Spiel auf den Markt geworfen. Eigentlich unverständlich, angesichts einer sehr knapp gehaltenen Kampagne, die der durchschnittlich motivierte Gamer in sechs bis acht Stunden absolvieren dürfte. Auch das wird mehr und mehr zum Standard, obwohl die Quantität des Gebotenen nicht nur hier, sondern auch bei vielen Mitbewerbern, längst nicht mehr in Relation zu den immens hohen Preisen steht, die heutzutage für ein neu erschienenes Spiel verlangt werden.
Doppelt ungünstig wirkt da, dass Homefront als Serie konzipiert und Teil zwei bereits in Arbeit ist. Ein zweiter Teil bietet freilich eine Gelegenheit, die Schwächen des ersten zu beseitigen. Sollten allerdings irgendwann einmal fünf Teile von Homefront im Regal stehen, die bei einem Gesamtpreis von 300 Euro immer noch nicht an die Spieldauer von einem GTA4 herankommen, werden mehr und mehr Spieler dazu übergehen, einen Titel erst zu erwerben, wenn er für 15 oder 20 Euro erhältlich ist. Das kann weder im Sinn der Designer noch der Publisher sein.
Personifizierter Anti-Hippie stürzt USA ins virtuelle Verderben (11 Bilder)
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