Petersburger Dialog: Auf Eis verstorben

St. Petersburg. Auch um den Dialog mit Russland ist es einsam und kalt geworden. Bild: Alexey Komarov, CC BY-SA 4.0

Der Petersburger Dialog ist das wichtigste deutsch-russische Gesprächsforum. Nun soll das Gremium im ersten Quartal 2023 aufgelöst werden. Was bedeutet das langfristig?

Als der Petersburger Dialog im Jahr 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aus der Taufe gehoben wurde, war die Welt zwischen Deutschland und Russland eine komplett andere. Man hatte das Gefühl einer Aufbruchstimmung. Der damals neue russische Präsident wirkte bei seinen ersten öffentlichen Auftritten Deutschland gegenüber aufgeschlossen.

Kurz danach brachen die USA den Irak-Krieg vom Zaun und die gemeinsame Gegnerschaft zu diesem Feldzug einigte zumindest oberflächlich deutsche und russische Regierungsvertreter.

Goldene Zeit des Dialogs ging in den 2010er-Jahren zu Ende

Der Dialog traf sich als Expertenforum danach jährlich abwechselnd in Deutschland und Russland. In acht auch eigenständig tagenden Fachgruppen fanden zahlreiche Diskussionen und Vorträge statt. Diplomaten, Journalisten, Wissenschaftler, Künstler oder Wirtschaftsvertreter aus der ersten Reihe beider Staaten nahmen sowohl am jährlichen Großevent als auch an den kleineren Treffen teil.

Begleitet und aufgewertet wurden die Dialogveranstaltungen von bilateralen Regierungsgipfeln beider Staaten, seine Aufgabe war vor allem der Austausch der Zivilgesellschaften in beiden Ländern.

Mit Michail Gorbatschow und dem CDU-Politiker Lothar de Maizière hatte der Dialog in den Nullerjahren engagierte Vorsitzende, die die deutsch-russische Verständigung ehrlich voranbringen wollten.

Dennoch blieb der Dialog auch immer ein Spiegelbild des deutsch-russischen Verhältnisses im Großen. Vor allem, als sich dieses in den 2010er-Jahren massiv verschlechterte. Diskussionen gab es zunächst auf deutscher Seite über eine zu geringe Beteiligung der außerparlamentarischen Opposition aus Russland, die im eigenen Land zunehmend unter repressiven Druck geriet.

Kritik gab es hinter vorgehaltener Hand jedoch auch an der Besetzung deutscher Leitungsposten, bei der man das Gefühl hatte, weniger erfolgreiche Politiker, die sich beim Thema Russland zuvor nicht sichtbar hervorgetan hatten, sollen im Forum eine Versorgung bekommen. Diese Personalpolitik stellte die Bedeutung des Dialogs bereits in Frage.

Wunderlicher Personalwechsel

So übernahm 2015 das Amt des deutschen Vorsitzenden des Dialogs der frühere Bundesminister Ronald Pofalla, den das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zuvor als "Merkels Problemfall" bezeichnet hatte und der vor allem für übertriebene Gefühlsausbrüche bekannt war.

Der Wechsel in den Vorstand, den er von deutscher Seite bis zum Schluss leitete, erfolgte nahezu parallel zu seinem heftig kritisierten, fliegenden Wechsel von der Politik zur Deutschen Bahn. Dort schied er 2022 – ebenfalls gescheitert – aus.

Auch das Amt der Russland-Beauftragten der deutschen Bundesregierung wurde in dieser Zeit, anders als zuvor, nicht mehr mit Politikern besetzt, die über ein gutes Netzwerk in Russland selbst verfügten. Die Beauftragten nahmen stets am Petersburger Dialog teil und spielten allgemein eine wichtige Rolle beim gegenseitigen Kontakt.

Dem sehr russlandkundigen Sozialdemokraten Gernot Erler folgte 2018 Dirk Wiese als weitgehend unbekannter Akteur der Ostpolitik. Wiese war nie in Russland gewesen und erklärte einer russischen Gesprächspartnerin nach seinem Amtsantritt, er habe derzeit nicht vor, es für sich privat zu entdecken. 2020 folgte ihm der ebenfalls völlig unerfahrene Johann Saathof nach.

Auf der russischen Seite wurde als Vorsitzender des Petersburger Dialogs Gorbatschow 2009 durch Wiktor Subkow ersetzt, der Deutschland vor allem durch den Energiehandel als Aufsichtsratsvorsitzender von Gazprom kannte, aber ebenfalls keine im anderen Land breit anerkannte Persönlichkeit war.

Der Dialog überlebt nur die erste Krise

Pofallas Amtsantritt fiel in einer Zeit, die man als erste tiefe Krise des Dialogs bezeichnen muss. 2014 kam es im Zuge der Krimkrise zu einer ersten Absage der großen Dialogkonferenz, nur die Facharbeitsgruppen tagten noch. Dort gab es heftige, auch kontroverse Diskussionen, etwa in der Medien-Arbeitsgruppe.

Doch genau dafür war der Dialog in Zeiten gebeutelter bilateraler Beziehungen da und füllte diese Diskussion damals aus. Der Dialog überstand die Krise und 2019 traf man sich auch wieder in der großen Runde unter Beteiligung der beiden damaligen Außenminister Sergej Lawrow und Heiko Maas (SPD) bei Bonn.

Keiner ahnte auf diesem Treffen, dass es das letzte seiner Art werden sollte. Obwohl auf der Dialogveranstaltung Risse sichtbar waren, auch innerhalb der beiden Seiten. Russische Offizielle ignorierten weitgehend ihre oppositionellen Landsleute, betont russlandkritische deutsche Vertreter erweckten wiederum den Eindruck, nur mit russischer Opposition, aber nicht mit Anhängern der Regierung in Dialog treten zu wollen. Allgemein stellten einige von ihnen die Sinnhaftigkeit der Dialogveranstaltungen in Frage.

Die Risse versuchten bemühte Leute auf beiden Seiten zu kitten, denen der gegenseitige Austausch am Herzen lag. Etwa das Deutsch-russische Forum, ein Verein, der den Dialog mit Aktivität füllte und der so etwas wie die Organisation der tiefer interessierten "Russlandversteher" in Deutschland ist.

Der Pause folgt der Schock

2020 begann dann für den Event eine pandemiebedingte Pause, in der es nur ein Jahr später zu einem entscheidenden Bruch kam. 2021 erklärte die russische Regierung drei Organisationen aus Deutschland, die auch an den Dialogen von deutscher Seite beteiligt waren, zu in Russland unerwünschten Organisationen.

Basis dieser Erklärung war ein russisches Gesetz von 2015, das sich offiziell gegen transnationale Netzwerke richtete, die gemäß der russischen Regierung das eigene Land "unterwanderten". Dieses wandelte sich jedoch nach Ansicht der exilrussischen Zeitung Meduza im Laufe der Jahre zu einem "Werkzeug für Repressalien" gegen Personen und Institutionen, an denen Russlands Offizielle Anstoß nahmen.

Die Arbeit der drei Organisationen, bei denen auch Russen beschäftigt waren, wurde damit in der Russischen Föderation verunmöglicht, unter ihnen war sowohl mit dem grünennahen "Zentrum Liberale Moderne" ein Thinktank mit einer betont russlandkritischen Agenda als auch mit dem Deutsch-russischen Austausch ein Verband, der karitative Arbeit in Russland leistete.

Die deutsche Seite des Petersburger Dialogs reagierte auf diesen russischen Schritt mit einer Aussetzung aller Dialogveranstaltungen.

Hoffnungen, dass damit nicht das Ende des deutsch-russischen Austauschs in Form des Petersburger Dialogs gekommen war, zerfielen endgültig mit der russischen Invasion der Ukraine ab Februar 2022. Diese machte vor allem deutsche Vertreter der dialogbereiten Seite wie das Deutsch-russische Forum fassungslos, ebenso wie viele der Russen, denen an einem guten Verhältnis zu Deutschland gelegen war.

Vertreter der deutschen Seite, die den Dialog mit regierungsnahen Russen schon länger weitgehend ablehnten, fühlten sich in ihrer Haltung bestärkt, in beiden Staaten gewannen die Hardliner endgültig die Oberhand.

So war es am Ende nicht überraschend, dass die deutsche Seite am 22. November die Auflösung des Petersburger Dialogs Anfang 2023 verkündete, der nur noch auf dem Papier bestand und dessen Wiederbelebung in eine unbekannte Ferne gerückt war.

Als Begründung diente in der offiziellen Erklärung auch der "verbrecherische Angriffskrieg" Russlands, der "einen Dialog in diesem Format" unmöglich gemacht würde. Tatsächlich wären Dialogveranstaltungen in einer Zeit, wo in der russischen Regierung zusätzlich eine zunehmend totalitäre Ideologie vertreten wird, nur schwer vorstellbar.

Reaktionen von Bedauern bis Häme

In Russland war dieser Auflösungsbeschluss in der Presse nur noch mehr oder weniger eine Randnotiz in der Presse. Betont russlandkritische deutsche Osteuropaexperten wie Franziska Davies von der Uni München, die sich aktuell in einem gerichtlich ausgetragenen Privatkrieg mit der beim "Dialog" aktiven Journalistin Gabriele Krone-Schmalz befindet, zeigen mit ihrer Reaktion deutlich, für wie überflüssig sie den Dialog halten.

"Wie so viele vermeintliche deutsch-russische Austauschforen hat sich der Petersburger Dialog schon längst zu einem prorussischen Trojanischen Pferd entwickelt", kritisierte sie scharf diejenigen, die sich auf dem Dialog wie ihre Intimfeindin aktiv einbrachten. Viele andere User in sozialen Netzwerken, die sich mit Russland verbunden fühlen, erklärten jedoch auch ihr Bedauern über das Ende des Forums.

Es ist die Frage, ob es diese Zeichensetzung einer formalen Auflösung zum aktuellen Zeitpunkt bedurft hätte. Hoffen aktuell doch gerade einige russlandkritische Akteure in Deutschland auf einen politischen Wechsel in Russland und prophezeien regelmäßig den Zusammenbruch des Systems Putin. Würden sie an ihre Vorhersagen glauben, müssten sie von einer bald "angenehmeren" Regierung in Moskau ausgehen.

Tatsächlich war der Petersburger Dialog am Ende eine schwer beschädigte und renovierungsbedürftige Brücke zwischen Deutschland und Russland, die in der Zeit des von Russland gegen die Ukraine losgetretenen Krieges auch nicht benutzbar war.

Sie wurde von der russischen Seite zweifach schwer beschädigt und von der deutschen erst gesperrt und nun eingerissen. Oder um es mit den Worten eines sehr aktiven Teilnehmers des Petersburger Dialogs, dem russischen Deutschlandexperten Wladislaw Below, auszudrücken: "Am Ende des Tunnels ist kein Licht und der Tunnel auch nicht mehr zu sehen."

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