Pippi im Ficki-Kacka-Land

Seite 2: Was ist eigentlich so schlecht an Sauberkeit und Rasieren?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Vor Jahrzehnten haben Frauen öffentlich ihre Büstenhalter verbrannt, um die Emanzipation voranzutreiben. Das muss man leider immer mal wiederholen.

Charlotte Roche

Kommen wir zum zweiten Punkt, dem Feminismus. Hartnäckig hält sich die Behauptung, von der jetzt auch der Film massiv profitiert, "Feuchtgebiete" sei ein Manifest der Frauenbewegung, wo mal gehörig gegen den Männerterror namens Sauberkeit, Parfüm und Make-up Widerstand geleistet werde. Lassen wir mal die Frage weg, ob Männer wirklich das saubere Geschlecht sind, wer sich mehr über müffelnde Körper und minimale Intimhygiene beschwert und ob es - um mal in den Jargon des Buches zu verfallen - wirklich mehr Männer gibt, die sich über den Geruch beim Muschilecken geekelt haben als Frauen über den grindigen Hüttenkäse zwischen Vorhaut und Eichel.

Nur: Was ist eigentlich so schlecht an Sauberkeit und Rasieren, ob nun Kinn- oder Achselbehaarung? Was ist so gut an der neuen Tyrannei der Intimität?

Bereits zum Erscheinen des Buches wies Tobias Kniebe im SZ-Magazin vom 18. 4. 2008 über "Das Prinzip Achselhaare" auf die Tatsache hin, dass bereits bei den Griechen und Römern "und auch schon davor" Menschen (nicht nur Frauen) mit bewussten Kulturtechniken ihre Körperbehaarung und überhaupt ihren Geist und Körper veränderten und manipulierten, "mit Muschelzangen, mit Pech und Harz, mit Schlangenpulver und Ziegengalle. Als äußeres Zeichen der Emanzipation ihrer Lust, als Unabhängigkeitserklärung von der Natur." Weil auch Sex eine Kulturtechnik ist, folgert Kniebe korrekt, dass weibliches Achselhaar, unschuldig getragen, nichts anderes transportiert, als die eine "subtile, aber erschreckende Botschaft: schlechter Sex, gefolgt von sofortiger Schwangerschaft". Zurück in die Höhle.

Natürlich ist es eine berechtigte Frage, warum 12-Jährige plötzlich wie Pornodarstellerinnen aussehen müssen, aber sie durchs andere Extrem - Haare wachsen, wo sie wollen, alles soll schleimen und stinken, wie die Natur es will - zu kontern, ist vor allem denkfaul, und zu einer Kritik der hygienischen Vernunft wird Roches Buch dadurch auch nicht. Auch sollte man, wenn man so fragt, nicht von der allgemeinen Pornofizierung unserer Gesellschaft schweigen - und mit der hat Charlotte Roches Buch viel mehr zu tun, als es vorgibt. Denn ein Porno ist "Feuchtgebiete" selbstverständlich, wie seine Verfasserin auch zugibt ("Wichsvorlage"): So kalkuliert, wie durchkomponiert werden die Tabuzonen abgeklappert: Analverkehr, Menstruationssex, Spermabrockenlecken.

Nur wird es von Roche pseudofeministisch verbrämt: Wie eine Pippi Langstrumpf unserer Tage sitzt sie mit langen Stiefeln und kurzem Röckchen in den Talkshows und gibt das Kot-Girlie. Das mag dann, wie die Zeit verteidigend analysierte, eine Kunstfigur für die Öffentlichkeit gewesen sein - aber auch Habermas oder Sloterdijk sind bei ihren öffentlichen Auftritten ja nicht sie selbst, insofern muss man das auch nicht eigens erwähnen. Entscheidend ist, was öffentlich ist.

1968ff., lang genug ist's her, ging es bekanntlich noch um die Befreiung der Triebe oder, um es mit Herbert Marcuse, einem der schillernden Herdentreiber dieser Jahre, zu sagen, darum, "dass psychologische Kategorien zu gesellschaftlichen Kategorien geworden sind". Es folgte der lange Weg durch die Institutionen, die Erschaffung des Privatfernsehens, bis hin zu unserer heutigen Gesellschaft, in der Kinder in Castingshows gedrillt werden und abends YouPorn gucken, man sich aber über mehr als 30 Jahre alte Texte von Politikern aufregt, wo sie fragen, ob der § 174 wirklich das letzte Wort über kindliche Sexualität formuliert. Kinderschutz hat eben viele Facetten - oder, um noch einmal Marcuse zu zitieren: "Die Epoche neigt dazu, totalitär zu sein, selbst wo sie keine totalitären Staaten hervorgebracht hat."

Alles Marketing

Charlotte Roche ist als öffentliche Erscheinung in erster Linie eine Landplage. Roche gelang allerdings etwas, was noch kein deutscher Autor geschafft hat: Sie stand irgendwann auf Platz eins der internationalen Amazon-Bestsellerliste, auf dem Onlineportal war ihr Buch das weltweit meistverkaufte. In unserer Macho-Gesellschaft, in der der Kapitalismus die Menschen längst in ihre zahllosen, vermarktbaren Teile zerlegt hat und aus allem eine Aktiengesellschaft und Kapitalanlage macht, und in der die Produzenten mit den Konsumenten zunehmend identisch werden, sich selbst in Warenfetische verwandeln, in solch einer kannibalischen Welt gehört sie damit zu den Erfolgreichsten.

Jedenfalls galt allgemein die Devise: Wenn 2,5 Millionen Fliegen auf einem Kothaufen sitzen, ist das für nichts ein Argument. Wenn 2,5 Millionen Leser ein Buch über Kothaufen kaufen, beweist dies alles und beeindruckt sogar die FAZ.

Vielleicht gab es diese langen Rezensionen sowieso auch nur deshalb, weil sich die Verfasserin medienwirksam mit Alice Schwarzer stritt und gute PR-Arbeit sämtliche Talkshows zu Feuchtgebieten gemacht hat, weshalb das Qualitätsfeuilleton dann in aller Leserfreundlichkeit und Serviceorientierung glaubte, nachziehen zu sollen und man sich nicht mehr traute, den Buchkäufern zu sagen, um was es sich bei dem gerade erworbenen Buch denn wirklich handelte.

Ziemlich genauso geht es jetzt auch dem Film. Sex sells, das wissen wir natürlich schon lange, auch, wenn die Sauereien hier nichts mit Sex zu tun haben, sondern nur mit Hygieneproblemen. Etwas überrascht nimmt man als Daheimgebliebener trotzdem die Jubelalarien und Beifallsstürme zur Kenntnis, die von den Schweizer Bergen und der Filmpremiere in Locarno vergangene Woche zu uns herüberregneten.

Felicitas von Lovenberg wechselte ob der Tatsache, nach Harry Potter wieder eine Literaturverfilmung rezensieren zu dürfen, in der FAZ gleich in die Schnappatmung: "Man muss es tatsächlich deutlich sagen: Dieser Film ist eine Zumutung, ein Anschlag auf die Sinne, ein Ausreizen des persönlichen Ekels. Man sollte kurz vorher lieber nichts gegessen oder getrunken haben; während des Films bleibt einem ohnehin alles im Halse stecken." Daniel Kothenschulte hatte wohl wieder mal einen anderen Film gesehen, oder seinen eigenen, inneren, als er in der FR die Worte "lustvoll, befreiend, innovativ" in einem Satz verwendete.

Aber dann fällt einem wieder ein, dass man eben nicht alles glauben muss, was einem die nette Marketing-Dame von nebenan empfiehlt.

Kreuzbrave, arg verschämte Buchbebilderung

Das erste Bild sagt eigentlich schon alles: Da sieht man eine Körperfalte in Großaufnahme. Ein Po? Geht ja gut los. Ist dann aber doch nur das in der Hocke angewinkelte Bein der Hauptfigur. Ein Bluff. So wie der ganze Film. Ein Film, der so tut, als ob, der clean über Schmutz redet und sich im entscheidenden Moment nix traut. Der ansonsten aber berechnend auf den Voyeurismus und die Erwartungen des Publikums setzt. Der gerade in diesem Kalkül ärgert.

Wer den Film sieht, der ist nämlich einerseits begeistert von der Schweizer Hauptdarstellerin Carla Juri. Die schmeißt den Film - sie ist intensiv und auch nach über 90 ansonsten recht zähen Minuten immer noch überraschend und mit immer neuen Einfällen aufwartend.

Ansonsten aber hat man eine kreuzbrave und alles in allem arg verschämte Buchbebilderung gesehen, bei der man erstens wieder einmal froh ist, dass es immer noch kein Geruchskino gibt, und zweitens als Filmliebhaber verzweifelt, weil es der deutsche Film einfach zur Zeit nicht schafft, den Zeitgeist zu treffen und irgendetwas auf die Leinwand zu bringen, das auch nur halb so interessant oder provokativ oder wenigstens gehaltvoll ärgerlich und publikumsspaltend ist, wie eine durchschnittliche Pollesch-Inszenierung oder ein Castorf-Ring: Die "Feuchtgebiete" sind vor allem langweilig.

Die Musik ist glatt und clean, der Film hat keine Geschichte, keinen dramatischen Bogen, sondern filmt Stationen ab. Im Vergleich zum Buch hat man zwar das Explizite reduziert und die Handlung mit netten Psychoverweisen und den üblichen Trauma-Blabla aufgepeppt, aber für einen Spielfilm hält das auch nicht vor, zumal die Hauptfigur offenbar nichts anderes im hübschen Köpfchen hat, als dass die seit zehn Jahren getrennten Mami und Papi wieder nett zu einander sind.

Wenn Helen ihre verschiedenen Körperausscheidungen isst, ist dies die Rückkehr in jene Zeit des Übergangs von der oralen zur analen Phase, die auch Freud beschreibt: Das Kind benutzt sein AA, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu erhalten.

Es bleibt also mehr als ein Schamhaar in der Suppe dieses mit seiner Schmuddeligkeit kokettierenden regressiven Pamphlets. Wer das im Kino ansehen soll, ist schwer zu sagen, vermutlich aber gibt es eine mathematische Formel für Bestsellerverfilmungen, nach der zehn Prozent aller Leser plus Begleitung reingehen. Das wären dann knapp 500.000 Zuschauer, was man dem deutschen Kino und sogar diesem Film gönnt. Denn besser als eine Til Schweiger Verfilmung ist "Feuchtgebiete" locker.

Auf einen deutschen Film, der endlich einmal den Nerv von Jugendlichen ebenso trifft wie den ihrer Eltern und in dem man sich als Filmkritiker einmal wirklich im Reinen fühlt mit der Kinonation, und das deutsche Kino für ein paar Monate mal auf Augenhöhe mit dem Weltkino liegt, auf einen Film wie zuletzt Tom Tykwers "Lola rennt" also, warten wir auch nach 15 Jahren weiterhin vergebens.