Pläne für die Umschuldung Griechenlands reifen
EZB-Chefvolkswirt warnt, die Auswirkungen könnten die Lehman-Pleite in den Schatten stellen
Die Hinweise verdichten sich, dass in Griechenland eine Umschuldung bevorsteht. Genau ein Jahr nachdem das Land einen Hilfsantrag stellte, zeichnet sich ab, dass an einer Umschuldung kein Weg vorbeiführt. Es sei stets klar gewesen, dass umgeschuldet werden müsse, werden Regierungsvertreter aus Athen zitiert. Zeitungen berichten mit Bezug auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die EU, dass die Umschuldung längst programmiert ist. Vor allem die Europäische Zentralbank (EZB) stemmt sich gegen einen teilweisen Verzicht der Gläubiger und spricht davon, dass die Pleite eines Euro-Lands die "Auswirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellen könnte".
Wie schon vor einem Jahr wird gerade wieder hektisch im Geheimen gewerkelt und erneut ist Griechenland der Anlass für das Treiben. Vor 12 Monaten stellte das Land nach vielen Dementis im Vorfeld einen Hilfsantrag an die EU, weil die Zinsen für Staatsanleihen in unbezahlbare Höhen geschossen waren. Das Griechenland-Spiel bestimmte vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen in Berlin die Regierungspolitik mit Folgen für die gesamte EU. Schließlich wurde die Wahltaktik zum Rohrkrepierer. Anfang Mai wurde für Griechenland eilig ein besonderes Rettungspaket in der Höhe von 110 Milliarden Euro geschnürt und zudem gleichzeitig ein Euro-Rettungsschirm mit 750 Milliarden für weitere Pleitekandidaten aufgespannt (Die hektische Eile nach der langen Weile).
Es war stets reichlich naiv zu glauben, dass Griechenland mit den 110 Milliarden bis 2012 gestützt und dann saniert wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren könne. Denn die Auflagen haben dem Land einen massiven Sparkurs aufgezwungen, womit es tief in die Rezession zurückgespart wurde. Damit hat sich die Lage für das Land weiter zugespitzt. In allen vier Quartalen 2010 schrumpfte die Wirtschaftsleistung. Die griechische Notenbank rechnet damit, dass Griechenland auch 2011 weiter in der Rezession verharrt. Und angesichts der Probleme im Euroraum, die nach Irlands Bankenrettung kürzlich auch Portugal unter den Rettungsschirm getrieben haben, lebte Anfang des Monats die Debatte um die nötige Umschuldung Griechenlands auf.
Auch wenn seither allseits dementiert wird, dass schon an den Plänen zur Restrukturierung der Schulden gearbeitet wird, drängen sich die Parallelen zu der Entwicklung im letzten Jahr auf. Aufmerksame Beobachter erleben ein Déjà-vu. Erneut sticht auch der Berliner Schlingerkurs in der Griechenland-Frage ins Auge. So hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble für Furore gesorgt, als er eine Umkehr in der Politik der Bundesregierung und eine mögliche Umschuldung Griechenlands angedeutet hatte. In einem Interview sagte Schäuble, dass der IWF, die EU-Kommission und die EZB im Juni einen Bericht vorlegen müssten, ob Griechenland noch mit der Schuldenlast umgehen kann. "Sollte dieser Bericht dann zum Schluss kommen, dass die Schuldentragfähigkeit in Zweifel zu ziehen sei, muss man etwas unternehmen." Auf die Nachfrage, was getan werden müsse, sagte er schwammig: "Dann müssen weitere Maßnahmen ergriffen werden."
Damit konnte eigentlich nur eine Umschuldung gemeint gewesen sein, weshalb diese Worte auch als Schwenk der Berliner Politik gewertet, aber sogleich dementiert wurden. Man verwies darauf, dass Schäuble auch erklärt hatte, erst ab 2013 müssten private Gläubiger damit rechnen, in Mithaftung für neue Anleihen genommen zu werden. "Bis dahin aber ginge eine Umschuldung nur auf freiwilliger Basis", hatte Schäuble das U-Wort aber schon in der Diskussion platziert.
Man zog sich in Berlin, von der Bundeskanzlerin Angela Merkel vorangetrieben, auf das EU-Ergebnis zurück, mit dem der Rettungsschirm als Krisenmechanismus zum Normalzustand mutieren soll (Wie ein Krisenmechanismus zum Normalzustand mutiert). Das Problem ist nur, dass Griechenland in der derzeitigen Lage mit dem Geld aus dem Rettungsschirm kaum bis 2013 über Wasser gehalten werden kann. Dass für zweijährige griechische Anleihen nun schon gut 23% Zinsen verlangt werden, zeigt auch, dass das Land Geld an den Kapitalmärkten nur zu unbezahlbaren Preisen erhalten würde.
Umschulung Griechenlands stand schon lange auf dem Programm
Natürlich wurde der Vorstoß von Schäuble genauso dementiert, wie in Athen und Brüssel dementiert wird, dass man längst an Plänen zu einer Umschuldung arbeitet. Doch auch das kennt man, schließlich wurden auch die Rettungspläne lange dementiert. Es ist sicher auch kein Zufall, dass Schäuble den Vorstoß in der Zeitung "Die Welt" platzierte. Es war ebenfalls diese Zeitung, die in der vergangenen Woche berichtete, dass die Gespräche zur Umschuldung hinter den Kulissen längst geführt werden. Das Blatt bezog sich auf einen griechischen Minister, der namentlich nicht genannt wurde. "Es war von Anfang an klar, dass wir umschulden müssen. Wir haben den Europäern und dem IWF schon Anfang 2010 gesagt, es wäre besser, Hilfskredite sofort mit einer Umschuldung zu verknüpfen."
Das Regierungsmitglied habe auch deutlich gemacht, dass die europäischen Regierungen mit der späten Rettung Griechenlands vor allem ein anderes Ziel verfolgt hätten: "Wir müssen erst einmal Zeit für die Stabilisierung der gesamten Eurozone gewinnen, und Ihr müsst beweisen, dass Ihr sparen und reformieren könnt, bevor wir über eine Umschuldung reden", gibt er die Position wieder, mit der Griechenland vor einem Jahr konfrontiert gewesen sei. Das habe das Land getan. "Jetzt ist die Frage nicht mehr, ob wir umschulden, sondern nur noch, wann", wird der Vertraute von Premierminister Giorgos Papandreou zitiert und fordert damit die versprochenen Gegenleistungen für den umstrittenen Kurs im Land ein.
Derweil häufen sich auch die entsprechenden Berichte darüber. So verwies die linksliberale griechische Boulevardzeitung Eleftherotypia unter Berufung auf einen hochrangigen IWF-Vertreter darauf, dass die "Umschuldung programmiert ist". Eine entsprechende Anfrage aus Athen habe Finanzminister Giorgos Papakonstantinou "beim informellen Ecofin-Treffen in Ungarn im April übermittelt". Die Detaildiskussionen hätten in Athen schon begonnen und man habe auch vereinbart, die anstehende Umschuldung "bis zum letzten Augenblick zu dementieren", weil solche Schritte nicht zuvor angekündigt würden.
Inzwischen hat die Zeit schon konkrete Zahlen genannt. In Brüssel gehe man auf Arbeitsebene davon aus, dass die Gläubiger auf 40% bis 50% ihrer Forderungen verzichten müssten, um Griechenland wieder auf eine solide Grundlage stellen zu können. Die Zeitung zitierte auch einen Sprecher der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P). Demnach rechne S&P sogar mit einem "Haircut" um 50% bis 70% des aktuellen Werts, sagte der Leiter der Leiter des Teams für die Bewertung europäischer Staaten, Moritz Kraemer. Es sei aber denkbar, dass Europa im Ernstfall zunächst nur eine Streckung von Laufzeiten oder eine Reduzierung von Zinszahlungen erwäge.
Casino mit Rückversicherung durch die Steuerzahler
Gegen die Umschuldung stemmt sich vor allem die EZB in Frankfurt. Deshalb, so wird berichtet, soll es zu dem Schritt erst nach Ausscheiden des derzeitigen EZB-Chef Jean-Claude Trichet kommen, der ein Gegner einer Schulden-Restrukturierung ist. Die Position der EZB ist einerseits verständlich, schließlich wäre auch die Anleihen der Zentralbank betroffen, die sie mit dem Tabubruch aufgekauft hat (Historischer Wendepunkt in der Geldpolitik der EU). Andererseits wurde aber unter Trichet der Sündenfall der Notenbankpolitik im Laufe der letzten 12 Monaten ständig ausgeweitet. Die EZB wird sogar mit frischem Geld ausgestattet, weil sie sich auf die Verluste dieser Politik vorbereitet (Ist die Europäische Zentralbank pleite?).
Trotzdem legt sich der EZB-Chefvolkswirt ganz besonders gegen eine teilweise Entschuldung Griechenlands unter Gläubigerbeteiligung ins Zeug. Jürgen Stark hält in einem Interview weiter an der Behauptung fest, die Kredite der EU und des IWF sollten Griechenland und anderen Mitgliedsländern lediglich die nötig Zeit verschaffen, um ihre Anpassungsprogramme zum Erfolg zu führen. "Ich betone, dass es sich hierbei nicht um Transfers, sondern um Kredite handelt, die an strikte Bedingungen für Haushalts- und Strukturreformen geknüpft sind." Diese Länder müssten verloren gegangenes Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen. Dafür müssten ihre Regierungen ihre Staatshaushalte entschlossen sanieren und Strukturreformen durchführen, die mittelfristig die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften wiederherstellen.
Obwohl dies sowohl in Griechenland, Irland und Portugal passiert ist, hat sich das Vertrauen nicht eingestellt. Mit dem Abschmieren in die Rezession hat das Vertrauen in Portugal weiter gelitten, weshalb nun auch das Land Nothilfe beantragen musste, obwohl es mit Griechenland und Irland nicht vergleichbar ist. Trotzdem behauptet Stark weiter, dass sich mit der "Umsetzung dieser Maßnahmen die Unsicherheit an den Finanzmärkten allmählich reduzieren" werde und sich das "Potenzial für Ansteckungseffekte" minimiere. Dass Portugal trotz seiner massiven Sparprogramme regelrecht abgeschossen wurde und Spanien somit noch stärker in den Fokus von Spekulanten rückt (Griechenland, Irland, Portugal - und bald Spanien?), scheint den Chefvolkswirt nicht zu beeindrucken.
Er spricht dagegen davon, dass eine Umschuldung kurzsichtig und für das betroffene Land mit erheblichen Nachteilen verbunden sei. "Eine Schuldenreduzierung erscheint vielleicht als der einfache Weg, aber die zugrunde liegenden Haushalts- und Strukturprobleme würden nicht gelöst." Das betroffenen Land wäre voraussichtlich auf unabsehbare Zeit von den Finanzmärkten abgeschnitten und auf fremde Finanzhilfe angewiesen und das Bankensystem der betroffenen Länder an die Grenze der Insolvenz gedrängt. Das Bankensystem der betroffenen Länder würde an die Grenze der Insolvenz gedrängt und für seine Stabilisierung müsste sich die Regierung erneut stark verschulden, sagt Stark voraus.
Dabei ist das in Irland längst der Fall. Trotz harter Sparmaßnahmen ist das Defizit wegen der Rettung der Banken nicht in Richtung 3% gesenkt worden, sondern auf etwa 32% explodiert. Statt die an den Kosten zu beteiligen, die lange Zeit profitiert haben, setzt Stark nur darauf, dass die für die Krise allein zur Kasse gebeten werden, die daran nicht verdient haben. "Die einzig tragfähige Möglichkeit ist die konsequente Umsetzung der Reformprogramme und die vollständige Rückzahlung aller ausstehenden Schulden." Er propagiert zwar, dass es "keinen schmerzfreien Weg" gäbe, aber das soll offenbar nur für einen Sektor gelten.
Eine Umschuldung Griechenlands dagegen berge die Gefahr einer neuen Bankenkrise, weil innerhalb der Eurozone die Finanzmärkte stark miteinander verflochten sind. Eine zunächst lokal begrenzte Krise könne negative Auswirkungen auf das ganze europäische Bankensystem haben, argumentiert er. Das habe das Beispiel der US-Bank Lehman Brothers gezeigt (Finanzkrise bedroht das weltweite Finanzsystem). "Im schlimmsten Fall könnte die Umschuldung eines Mitgliedslands die Auswirkungen der Lehman-Pleite in den Schatten stellen", prophezeit er.
Er könnte damit sogar richtig liegen, weil aus der Finanzkrise keine Konsequenzen gezogen wurden und sich die Lage vielmehr sogar weiter verschlimmert hat. Dass sogar der IWF kürzlich warnte, dass angesichts der fehlenden Reformen die "Saat für die nächste Krise gesät" werde, weil "lediglich an den Symptomen der Kernschmelze im globalen Finanzsystem herumgedoktert wurde", lässt tief blicken. Stark will offenbar das Casino mit Rückversicherung allein durch die Steuerzahler offen halten.