Plankton und Kohlendioxid
Marines Plankton und Klimawandel Teil II
Aufgrund seiner Verflechtung mit dem globalen Kohlenstoff-Kreislauf vermuten Wissenschaftler, dass marines Plankton über Rückkopplungs-Mechanismen als Reaktion auf erhöhte atmosphärische Kohlendioxid-Konzentrationen erheblichen Einfluss auf die künftige Geschwindigkeit des Klimawandels haben kann. Diese Vermutung und mögliche sozioökonomische Folgen legen ein weltweites kontinuierliches Plankton-Monitoring-Programm nahe.
Die Bildung und Ablagerung von organischem Kohlenstoff sowie biogen gebildetem Carbonat in marinen Ökosystemen stellt eine wichtige potentielle Kohlenstoff-Senke dar und spielt deshalb eine Hauptrolle im globalen Kohlenstoff-Kreislauf.
Ein großer Teil des durch menschliche Aktivitäten und durch natürliche Prozesse entstehenden Kohlendioxids löst sich auf mehreren möglichen Wegen in den Ozeanen und erhöht die Konzentrationen an gelöstem CO2 und Hydrogencarbonat-Ionen (HCO3-), begleitet von einer Verringerung des pH-Wertes des Meereswassers sowie der Carbonat-Ionen-Konzentration (CO32-). In hohen geographischen Breiten sinkt kaltes Wasser in die Tiefe ab (z.B. Nordmeer, Labrador-Strom) und führt die gelösten Kohlenstoff-Species mit sich; diese Regionen sind die größten CO2-„Entferner“ der Ozeane. Der Kohlenstoff kann mehr als 1000 Jahre in der Tiefe gespeichert sein, bevor ihn Wasserumwälzungen wieder an die Oberfläche befördern.
Die in den Tiefen der Ozeane gelösten Hydrogencarbonat-und Carbonat-Ionen stellen nach den Calciumcarbonat-Sedimenten die größten Kohlenstoff-Speicher der Erde dar. Der vertikalen Durchmischung des Wassers kommt dabei eine große Bedeutung zu. Durch Schichtenbildung mit einhergehender Verringerung der Durchmischung in der Wassersäule würde die CO2-Aufnahme vermindert werden; durch eine ebenfalls reduzierte Zufuhr von Nährstoffen für die Primärproduktion in der euphotischen Zone (der ausreichend durchleuchteter Bereich des Oberflächenwassers mit positiver Photosynthesebilanz) würde außerdem der biologische Kohlenstoff-Kreislauf betroffen sein.
Die Erhöhung der Konzentration an atmosphärischem Kohlendioxid von einem vorindustriellen Niveau von 280 ppm auf gegenwärtige 370 ppm hat den pH-Wert des Meeresoberflächenwassers um 0,12 Einheiten auf einen heutigen Durchschnittswert von 8,2 abfallen lassen. Bis zum Ende des Jahrhunderts wurde bei einer Verdopplung der atmosphärischen CO2-Konzentration auf 700 ppm ein Absinken um bis zu 0,3 pH-Einheiten vorausgesagt, bei gleichzeitigem Absinken der Carbonat-Pufferkapazität des Oberflächenwassers. Diese Änderungen von pH-Wert und CO2-Konzentration kann positive sowie negative Effekte auf das Planktonwachstum haben, mit entsprechenden Auswirkungen auf ihre Rolle als Quelle oder Senke für atmosphärisches Kohlendioxid.
Die Aufteilung des marinen anorganischen Gesamt-Kohlenstoffs in CO2, HCO3- und CO32- liefert die Erklärung für die beträchtlich höhere Kohlenstoff-Speicherkapazität der Ozeane gegenüber der Atmosphäre und letztlich für den Einfluss der Meere auf die atmosphärische CO2-Konzentration.1.
Das internationale „C6“-Gemeinschaftsprojekt beschäftigt sich mit dem Einfluss des ozeanischen Kohlenstoff-Kreislaufs und der Carbonat-Chemie auf Klimaschwankungen und umgekehrt und soll am Ende brauchbare regionale und globale numerische Modelle liefern.
Künftig werden unter anderem vor allem folgende Fragen zu klären sein: Wie werden steigende CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre die Balance zwischen terrestrischen und ozeanischen Kohlenstoff-Senken beeinflussen? Wie gut sind die Mechanismen der ozeanischen CO2-Aufnahme überhaupt bekannt, und wie werden sie sich aufgrund veränderter Bedingungen in der Zukunft verhalten?
Das Phytoplankton bedient sich zur Bildung organischer Materie während der Photosynthese hauptsächlich des im Meerwasser gelösten CO2 und stellt so eine Senke für atmosphärisches Kohlendioxid dar. Es wird erwartet, dass eine Erhöhung der Konzentration an Kohlendioxid in der Atmosphäre auf die Photosynthese-Aktivität des Phytoplanktons stimulierend wirken wird; über das Ausmaß wird spekuliert.
Umgekehrt führt die Bildung von Calciumcarbonat durch spezialisiertes Phytoplankton wie den Coccolithophoren gemäß Ca2+ + 2 HCO3- = CaCO3 + CO2 + H2O zu einem Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Die Kalkbildung stellt demnach eine potentielle Quelle für atmosphärisches CO2 dar. Das entstehende Kohlendioxid führt zu einer negativen Rückkopplung, denn eine wachsende CO2-Konzentration und das damit verbundene Absinken des pH-Werts hemmt die Calciumcarbonat- Bildung.
Die ökologischen und biogeochemischen Wechselwirkungen zwischen Calciumcarbonat produzierendem Plankton, nicht calcifizierendem Plankton, der Carbonat-Chemie des Meerwassers und den resultierenden Rückkopplungen mit atmosphärischen CO2-Konzentrationen sind komplex.
Phytoplankton zeigt schwankende Empfindlichkeiten gegenüber sich ändernden CO2-Konzentrationen. Es existiert eine Vielfalt an CO2-Verwertungsmechanismen. Deshalb wird ein Anstieg des CO2-Gehalts im Meerwasser nicht nur die Aktivität individueller Species ändern – einige Species werden dadurch bevorteilt. Diese Verschiebung innerhalb der Gesellschaftsstruktur des Phytoplanktons wird auch die Gesellschaftsstruktur höherer trophischer Stufen durch die direkte Ankopplung über die Nahrungskette beeinflussen. Da die Aktivität von CO2-produzierenden Bakterien und des sich vom Phytoplankton ernährenden Zooplanktons ebenfalls pH-abhängig sind, ändern sich so Struktur und Funktion ganzer mariner Ökosysteme.
Monitoring-Programme
Das Erkennen von Trends aus Daten von Langzeiterfassungen ist aufgrund des „Hintergrundrauschens“ starker natürlicher Ökosystem-Schwankungen schwierig. Die ökologischen Wechselwirkungen werden weiter kompliziert durch die Überlagerung mit anderen Einflüssen. So erwarten einige Studien für die nächsten 100 Jahre eine Erwärmung des Oberflächenwassers der Meere um 2-3 Grad Celsius. Diese Temperaturerhöhung hat direkte Auswirkungen auf die Aktivität des Phytoplanktons und die Löslichkeit von Kohlendioxid im Meerwasser. Aufgrund dieser Komplexität kann zurzeit nicht mit Sicherheit prognostiziert werden, ob die Planktonaktivität letztlich abschwächend oder verstärkend auf die ansteigenden atmosphärischen CO2-Konzentrationen reagieren wird. Diese Unbekannte könnte jedoch von entscheidender Bedeutung für die Gesamtgeschwindigkeit des sich abzeichnenden Klimawandels sein, so dass die Klärung dieses Problems auf der Agenda mariner Biogeochemiker ganz oben steht.
Das Helgoland Reede-Programm der Biologischen Anstalt Helgoland (seit 1998 Teil des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI)) lieferte 1873 die ersten Plankton-Daten; die kontinuierliche Datenerfassung begann 1962. Die Langzeitdaten der Helgoland Reede sind mittlerweile innerhalb des MARCOPOLI-Programms der Helmholtz-Gesellschaft in einem neuen Programm zur Küstenökologie verankert; sie sind die Basis von Modellberechnungen für die Nordsee.
Zwei kürzlich initiierte internationale Programme sollen unser Verständnis der Konsequenzen von Umweltveränderungen verbessern: SOLAS (Surface Ocean Lower Atmosphere Study) und IMBER (Integrated Marine Biogeochemistry Ecosystem Research. Letzteres wird durch IGBP (International Geosphere Biosphere Program) und SCOR (Scientific Committee on Oceanic Research) unterstützt. In einer eigenständigen Studie untersucht die Royal Society die Konsequenzen sinkender pH-Werte auf marine Lebewesen.
Je größere Zeiträume diese Aufzeichnungen überstreichen, desto wertvoller werden sie. Einige der bekannten Serien währen seit mehr als 50 Jahren (CaICOFI in den USA, Odate in Japan, CPR im Nordatlantik). Neue Projekte intensivieren die Messwertgewinnung (z.B. die US-amerikanische Volunteer-Observing-Ship (VOS)-Untersuchung). Mittels “Daten-Archäologie” wird ständig versucht, das Bild durch das Hinzufügen glaubwürdiger historischer Daten zu vervollkommnen.
Ein systematischer globaler Vergleich der Auswirkungen von Klimaänderungen auf das Plankton – selbst für einzelne Meeresbecken - steht noch aus. Die Wissenschaftler nennen fehlende finanzielle Unterstützung als einen Hauptgrund und hoffen durch die 2005 ins Leben gerufene neue, internationale SCOR-Arbeitsgruppe „Zooplankton Time Series Analysis“ auf eine Verbesserung der Situation. Die Gruppe soll in der Zukunft klären, wie Zooplankton durch Klimaänderungen beeinflusst wird. Es bleibt abzuwarten, welchen Einfluss die ozeanischen Biota selbst auf die Geschwindigkeit klimatischer Veränderungen haben. Weiterführende internationale Plankton-Monitoring-Programme können bei der Überwachung von Änderungen in marinen Ökosystemen eine wertvolle Hilfe sein.
Ein Hauptproblem jedoch ist die Aufrechterhaltung der Langzeiterfassungen. In den 1980er Jahren wurden 40% aller Langzeitserien gestoppt; viele Wissenschaftsadministratoren sahen in den Monitoring-Programmen überholte Relikte aus der Frühzeit der Meereskunde. 1987 wurden beispielsweise die Plankton-Messreihen der britischen Marine Biological Association (MBA) vor Plymouth (seit 1924) eingestellt. Ein ähnliches Schicksal blieb dem Continuous Plankton Recorder-Projekt erspart, ein internationales Konsortium rettete es vor dem Aus. Mit den einsetzenden Diskussionen zum Klimawandel in den späten 1990er Jahren erfolgte ein Umdenken bei wissenschaftlichen und politischen Entscheidern: die alten Messreihen wurden wieder hervorgeholt und unter neuen Aspekten begutachtet, und schmerzhaft wurde klar, dass der Abbruch der Langzeitserien ein großer Fehler war. Alte Messreihen wurden wieder aufgenommen (z.B. 2001 die meisten MBA-Reihen), neue gestartet.
Experten sprechen von einem Revival: weg von Untersuchungen von Phänomenen wie der Eutrophierung und Meeresverschmutzung und hin zu ökologischen Veränderungen im Gefolge von potentiellem Klimawandel und biologischer Globalisierung.
Karen Wiltshire vom AWI erwähnt gegenüber Telepolis die trotz Wiederbelebung des Interesses an Langzeiterfassungen momentan angespannte finanzielle und personelle Situation am Institut. Zur Modernisierung der Datenanalyse benötigt das Institut zum Beispiel dringend einen Statistiker und zwei bis vier Doktoranden, nur ist das Aufbringen von Mitteln dafür schwierig. Die Schlüsselstellung der Helgoland Reede-Langzeitmessungen hat sich bisher nicht in der Schaffung neuer Stellen niedergeschlagen.
Zukünftige Anstrengungen bedürfen des Einsatzes innovativer Technologien und der gemeinsamen Bemühungen einer Vielzahl von Institutionen, um die Muster zeitlicher und räumlicher Veränderungen von Funktionen der marinen Ökosysteme zu erfassen. Wie schon Friedrich Heincke, erster Direktor der Biologischen Anstalt Helgoland wusste: Das Meer ist groß, und man kann ihm mit kleinen Mitteln nicht beikommen.