Poison Papers: Schatztruhe voll toxischer Geheimnisse
Seite 4: IBT-Skandal, HoJo-Transkripts, Absprachen der EPA mit der Industrie
- Poison Papers: Schatztruhe voll toxischer Geheimnisse
- Behörden waren Mitwisser von Vertuschungen
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Die "Poison Papers" liefern neue Daten zum berüchtigten Industrial Bio-Test (IBT)- Skandal, der die Glaubwürdigkeit der Testlabor-Industrie schwer beschädigt hat.
In den späten 1970er Jahren war bekannt geworden, dass IBT mehr als 800 Sicherheitsstudien an 140 Chemikalien von 38 Chemieherstellern durchgeführt hatte, nur dass die dazugehörigen Daten gefälscht, gar nicht vorhanden oder anderweitig ungültig waren. IBT hatte um diese Zeit schätzungsweise 35 bis 40 Prozent aller Toxikologie-Tests in den Vereinigten Staaten durchgeführt, einschließlich der durch die FDA geregelten Produkte sowie der im Zuständigkeitsbereich der EPA liegenden Pestizide und Chemikalien.
Die "Poison Papers" zeigen, dass die EPA und ihr kanadisches Pendant, der Health Protection Branch (HPB), Absprachen mit Pestizidherstellern trafen, um die mittels IBT-Daten registrierten Produkte auf dem Markt zu halten und die Probleme mit vielen der zugrunde liegenden Tests zu verschleiern. Die Dokumente belegen außerdem, dass EPA-Offizielle Kenntnis davon hatten, dass der ITB-Skandal in Wirklichkeit noch weitere Testfirmen und mehr Chemieprodukte betraf, als jemals zugegeben wurde.
FDA-Wissenschaftler bemerkten als erste das routinemäßige Fehlverhalten bei IBT und schlugen in Anhörungen des Senats in den späten 1970er Jahren Alarm. Bald darauf war die EPA gezwungen, sich mit dem Problem auseinanderzusetzen. Hinter den Kulissen wurde geschätzt, dass etwa 80 Prozent der Daten, die durch IBT für die Chemikalienregistrierung zur Verfügung gestellt wurden, problematisch waren.
Der IBT-Skandal wurde für die 1970 gerade erst gegründete EPA zum Problem. Nach Lage der Dinge - keinen der IBT-Testdatensätze war nunmehr zu trauen - wäre die Rücknahme aller darauf beruhenden Zulassungen von Chemikalien sowie die Anordnung der Wiederholung sämtlicher Tests zu rechtfertigen gewesen. Doch das hätte drastische Konsequenzen für die chemische Industrie nach sich gezogen - und für das Vertrauen der EPA in der Öffentlichkeit.
Was die EPA stattdessen tat, ist in der Abschrift eines Treffens überliefert, das 1978 im Howard Johnson Motor Inn in Arlington, Virginia stattfand - die HoJo-Transkripts. Das geheime Treffen zwischen Führungskräften der EPA, der kanadischen Gesundheitsschutzbehörde und der chemischen Industrie sollte das IBT-Problem "lösen".
Gleich zu Beginn des Treffens lockerte der geschäftsführende Bereichsleiter der EPA, Fred Arnold, die angespannte Stimmung. Arnold war unter anderem für das Labor-Qualitätsmanagement zuständig. Nun versicherte er den Vertretern der Chemieunternehmen, dass keine Chemikalien vom Markt genommen würden, nur weil die Studien, die ihre angebliche Sicherheit zeigten, Ergebnis von Betrug waren.
Die EPA-Vertreter stellten eine Liste von IBT-Fehlern vor, die sie zu tolerieren gedachten, um die Aufgabe einer nachträglichen Validierung der Studien handhabbarer zu machen. So wollten sie ignorieren, wann immer in Studien Versuchstiere fehlten oder hinzukamen, was häufig der Fall war und durch keine statistische Methode ausgeglichen werden konnte. Auf solche Feinheiten konnten die EPA-Wissenschaftler nun keine Rücksicht mehr nehmen.
Eine andere Frage betraf die Unterschriften unter die Testbefunde. Zu der Zeit, als FDA und EPA ein starkes Interesse am Testlabor zeigten, hatte IBT laut Transkript eine "Politik, ihre eigenen Berichte nicht zu unterzeichnen", was darauf hindeutet, dass die Mitarbeiter nicht gewillt waren, für die Ergebnisse ihren Kopf hinzuhalten. In späteren Gerichtsverfahren wurde aufgedeckt, dass am IBT zu anderen Anlässen Unterschriften unter Testberichte auch gefälscht wurden.
Drei IBT-Offizielle gingen ins Gefängnis und schlossen dieses Kapitel massiven wissenschaftlichen Betrugs mit weit reichenden Folgen für die Gesellschaft. Doch Kritiker heben hervor, dass dieses Buch nie wirklich geschlossen wurde. In den Augen von Jonathan Latham, Mitbegründer und Geschäftsführer des Bioscience Resource Projects und der Herausgeber der Independent Science News, belegen die HoJo-Transkripts, dass es für eine Mehrheit der IBT-Studien überhaupt nie zur Debatte stand, wiederholt zu werden. Sie bilden auch heute noch eine Basis des US-amerikanischen Regulierungssystems, das die Sicherheit von Chemikalien gewährleisten soll.
Auch Monsantos ursprüngliche Roundup-Herbizid-Formulierung war von IBT getestet worden. Eine von der EPA angeordnete Bewertung der Tests kam zum Schluss, dass einige der toxikologischen Studien untauglich waren. Nach Angaben von Monsanto hat das Unternehmen alle geforderten Tests mittlerweile selber gemäß der EPA-Richtlinien durchgeführt, so dass heute keine IBT-Daten mehr im Umlauf seien, auf die sich eine Glyphosat-Registrierung stützen könnte.