Polen: Die antirussischen Klischees bestätigen sich
Angesichts der Krise auf der Krim sieht sich Polen als mögliches nächstes Opfer einer russischen Aggression
General Stanislaw Kozej, Chef des "Büros für Nationale Sicherheit", glaubt, dass Polen als nächster Staat von Russland okkupiert werden könne, und dachte laut über ein militärisches Eingreifen der NATO und den USA nach. Barack Obama garantierte im Telefongespräch mit dem polnischen Staatpräsident Bronislaw Komorowski für die "völlige territorale Sicherheit Polens".
Komorowski verlangt die Einberufung des NATO-Rats mit Beteiligung der Außenminister in Berufung auf Artikel 4. Demnach kann ein Mitglied Beratungen verlangen, wenn es seine eigene Sicherheit bedroht sieht.
Dabei bahnt sich gerade ein Konflikt zwischen dem Präsidenten und dem oft eigenwilligen Außenminister Radoslaw Sikorski an; denn letzterer hat die Weisung, die NATO um diese Sitzung zu bitten, noch nicht umgesetzt. Komorowski will ihn nun zur Rede stellen.
Premierminister Donald Tusk erklärte vor polnischen Medien, dass er derzeit keine Gefährdung Polens sehe. "Aber wir müssen unsere Freunde energisch mobilisieren, damit aus der Gefährdung kein Drama wird." Was sich nun in den nächsten Tagen ereigne, wäre ein "Test für die Wahrheit". Bei einigen europäischen Staaten müsse er noch Überzeugungsarbeit leisten, Europa müsse solidarisch und einig in seiner Tätigkeit sein.
Welche Staaten er meinte, blieb offen, vielleicht das generell russlandfreundliche Frankreich oder Bulgarien oder neuerdings Ungarn. Im Allgemeinen spielt er auf die von Polen immer wieder zitierte Passivität des Westens bei sowjetischer Aggression an.
Als nächste Amtshandlung wird Präsident Komorowski am Mittwoch in die Türkei fliegen, um ein informales polnisch-türkisches Bündnis für die Ukraine zu schmieden. Die Türkei unterstützt die muslimischen Tataren auf der Krim, die sich der Ukraine zugehörig fühlen. Ein Gespräch mit Wladimir Putin lehnt das polnische Staatoberhaupt jedoch ab - "das macht derzeit keinen Sinn".
Adam Hofman, der Sprecher der nationalkonservativen "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) denkt wohl ähnlich und sieht darum als einzige realistische Antwort, dass die 6. Flotte der amerikanischen Navy Richtung Krim steuere.
Sanftere Töne schlägt Adam Rotfeld an. Der ehemalige Außenminister und Mitbegründer einer polnisch-russischen Gesprächsrunde glaubt nicht an einer Verschärfung des Konflikts. Man solle eine OSZE-Sitzung einberufen und zusammen mit Russland eine Lösung suchen. Auch Janukowitsch sollte weiter gehört werden, damit beide Seiten (wohl Russland und die ukrainische Regierung) "ihr Gesicht wahren".
Die polnischen Medien äußern sich dezidierter: Der Westen diskutiere tagein, tagaus und Russland mache, was es will, klagte ein Nachrichtensprecher des liberalen Kanals TVN24. "Die Schande Russlands" titelt die Gazeta Wyborcza und zeigt ein Bild mit drei orthodoxen Priestern, einem Panzerwagen und einem maskierten Soldaten im Vordergrund, aufgenommen auf der Krim.
Der Chefredakteur und ehemalige Solidarnosc-Aktivist Adam Michnik holt weit aus und geht bis zurück zu Katharina der Großen, die an den drei Teilungen Polens mitwirkte bis hin zum Russland-Georgien-Konflikt im Jahre 2008. Es sei immer dasselbe gewesen - stets habe Russland nur auf "brüderliche Hilferufe" hin eingegriffen.
"Das war typisch Russland", lauten oft die Warschauer Kommentare auf der Straße oder im Treppenhaus. Die polnischen Vorbehalte gegenüber dem großen Nachbarn werden dieser Tage bestätigt.