Polen: Raus aus dem Irak, hinein nach Afghanistan
Die neue polnische Regierung zieht die Truppen nach einem Machtkampf mit dem Präsidenten aus dem Irak ab, will aber die Truppenpräsenz in Afghanistan stärken
Mit dem Beginn des neuen Jahres dürften die 900 polnischen Soldaten im Irak angefangen haben, die Tage bis zum 31. Oktober zu zählen – an diesem Tag endet nämlich ihr Einsatz zwischen Euphrat und Tigris. Die Entscheidung dafür fiel in letzter Minute. Erst am 21. Dezember stimmte der polnische Präsident Lech Kaczynski dem Abzug der Streitkräfte zu, da er sich bis dahin dem Vorschlag der Regierung widersetzte. Am Ende gab Kaczynski jedoch nach – und dies aus mehreren Gründen.
Einerseits wird die Kritik der Bevölkerung immer größer. Bereits im Juni dieses Jahres sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 81 Prozent der Polen gegen den Einsatz im Irak aus, ein Wert, an dem sich bis heute nicht viel geändert hat. Anderseits hätte er ab dem 1. Januar die alleinige Verantwortung für die polnischen Soldaten im Irak gehabt, da mit diesem Datum ihr Mandat ohne die Zustimmung der Regierung abgelaufen wäre. Eine Bürde, die Kaczynski wohl zu groß war. Einen nicht ganz unbedeutenden Anteil an der Entscheidung des Präsidenten dürfte aber auch der Afghanistan-Einsatz der polnischen Armee haben. Nachdem die Bombardierung eines afghanischen Dorfes durch polnische Soldaten bekannt wurde, wird in Polen immer heftiger über die Mission am Hindukusch diskutiert.
Donald Tusk ist ein fleißiger Politiker. So wirkt es jedenfalls, wenn man sich den Tatendrang anschaut, den der gebürtige Danziger in seinem Amt als Premierminister zum Vorschein bringt – Veränderungen sind auf jeder Ebene der polnischen Politik zu beobachten. Besonders auffallend sind diese in der Außenpolitik, die sich von der seines Vorgängers Jaroslaw Kaczynski in so mancher Hinsicht unterscheidet (Holpriger Kurswechsel). Während Kaczynski außenpolitisch teilweise wie ein Elefant im Porzellanladen auftrat und damit die Beziehungen Polens zu EU, Deutschland und Russland belastete, ist Tusk ein Mann des Dialogs.
Die ersten Ergebnisse dieser Politik sind unübersehbar. Innerhalb der Europäischen Union wird Polen gehätschelt wie schon lange nicht mehr, und zwischen Berlin und Warschau hat sich der Ton auch gebessert, obwohl die Probleme um die Ostseepipeline und das geplante Zentrum gegen Vertreibungen immer noch ungelöst sind. Dafür ist ein anderes Problem aus der Welt geschafft worden. Nachdem Tusk zu Beginn seiner Amtszeit erklärte, „Russland so zu nehmen, wie es ist“, und auch keine Kritik am Verlauf der russischen Parlamentswahlen äußerte, verstand Moskau dies als Zeichen einer „Beinahe-Freundschaft“ und hob im Gegenzug das seit 2005 bestehende Embargo für polnisches Fleisch auf.
Innenpolitisch kann Donald Tusk all dies als Erfolg verkaufen, gleichzeitig aber auch als Einlösung seiner Wahlversprechen, da er schon während des Wahlkampfs Veränderungen in der Außenpolitik ankündigte. Seit dem 21. Dezember kann Tusk nun die Einlösung eines weiteren Wahlversprechens für sich in Anspruch nehmen. Nach wochenlangem Hickhack zwischen dem Premier und dem Präsidenten Lech Kaczynski unterschrieb der Zwillingsbruder des ehemaligen Premierministers das Dekret zur Verlängerung des Irak-Einsatzes bis zum 31. Oktober, mit dem der Abzug der polnischen Truppen zu dem Termin geregelt wird.
Machtkampf zwischen Regierungschef und Präsidenten
„Ich freue mich, dass es zu dieser Einigung gekommen ist“, sagte Tusk am darauf folgenden Tag dem polnischen TV-Sender TVN24. Und die in diesen Worten ausgedrückte Freude und Erleichterung konnte man dem Premierminister ansehen, denn bis dahin weigerte sich Lech Kaczynski standhaft, seine Unterschrift unter das Dokument, das ihm die Regierung bereits zwei Tage vorher vorgelegt hat, zu setzen. Dies jedoch nicht unbedingt aus bedingungsloser Treue zu den amerikanischen Alliierten, sondern eher aus innenpolitischen Gründen. Seit dem Wahlsieg von Donald Tusk herrscht zwischen dem Präsidenten und dem neuen Regierungschef ein Machtkampf, bei dem es mal um repräsentative Aufgaben in Brüssel, mal um Personalentscheidungen geht.
Hinter all diesen Kontroversen vermuteten der Präsident und die rechtskonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS), aus deren Reihen Lech Kaczynski kommt, einen direkten Angriff auf das Staatsoberhaupt. Diesen Eindruck versuchte die PiS auch in der Debatte um den Irak-Einsatz zu erwecken. „Ich denke, dass man hier nur von einem großen Fehler sprechen kann“, sagte der ehemalige Premier Jaroslaw Kaczynski, auf die Irak-Pläne der Regierung angesprochen, noch am 19.Dezember in einem Radiointerview. „Vielmehr zeigt diese Regierungsentscheidung, dass Donald Tusk eine antipräsidiale Obsession hat“, fügte der Zwillingsbruder des Präsidenten in dem Interview hinzu und bekräftigte somit den Vorwurf, der aus den Reihen der PiS in den letzten Wochen schon öfters zu vernehmen war: Donald Tusk betreibe einen vorgezogenen Wahlkampf um das Präsidentenamt.
Doch zumindest in der Kontroverse um den polnischen Irak-Einsatz stehen Präsident Kaczynski und die PiS mit ihrer Meinung ziemlich allein da. In den repräsentativen Umfragen spricht sich ein Großteil der Befragten schon seit Monaten gegen polnische Soldaten im Irak aus – bereits im Juni 2007 waren es 81 Prozent. Es sind Töne, die auch die Politik längst vernommen hat. Egal ob die bei den Parlamentswahlen siegreiche Bürgerplattform oder die ehemaligen Koalitionspartner der PiS, Liga Polnischer Familien und die Bauernverteidigung, alle stimmen seit Monaten in den Chor der Antikriegsgegner ein. Selbst die aus der SLD hervorgegangene LiD zeigt sich geläutert und spricht sich für die Beendigung des Irak-Einsatzes aus, obwohl es ausgerechnet die postkommunistische SLD-Regierung war, die 2003 polnische Soldaten in den Irak-Krieg entsandte.
Gründe für die wachsende Ablehnung des Irak-Einsatzes
Beispielhaft für diesen Meinungswandel ist der ehemalige Präsident und jetzige LiD-Politiker Aleksander Kwasniewski. 2003 unterstützte er die Amerikaner und rechtfertigte mit ihren Argumenten den Einsatz polnischer Elitesoldaten. Knapp fünf Jahre später fühlt sich Kwasniewski von der Bush-Administration jedoch hintergangen. „Hätten wir das gewusst, was wir heute wissen, wären wir sicher vorsichtiger gewesen. Aber wir wurden anders informiert“, sagte er im September in einem Interview für die deutsche Vanity Fair, welches in Polen wegen seiner Aussagen zu deutschen Polenpolitik für Furore sorgte, während es hier im Lande unterging.
Die Gründe für Kwasniewskis Meinungswandel und für die Ablehnung des Irak-Einsatzes innerhalb der Bevölkerung sind vielfältig. Wie die meisten Staaten, die Truppen in den Irak entsandt haben, hat auch Polen gefallene Soldaten zu beklagen – bis jetzt 22. Und als im Oktober, mitten im Wahlkampf, auch noch ein Bombenattentat auf den polnischen Botschafter Edward Pietrzyk in der Nähe von Bagdad verübt wurde, bei dem der Diplomat schwer verletzt wurde und ein Leibwächter ums Leben kam, kippte die Stimmung noch mehr gegen den Irak-Einsatz. Doch nicht nur die eigenen Opfer trugen zur Kritik und der darausfolgenden Ablehnung des Irak-Einsatzes bei. Auch die politische Entwicklung im Irak hatte einen enormen Einfluss auf die Stimmung in Polen. Dies wird auch an den Kommentaren in der Presse deutlich. Der Irak-Krieg wird als eine Katastrophe angesehen, an der Polen mitverantwortlich ist.
Die Kaczynski-Zwillinge sehen dies jedoch anders. Diese glauben immer noch an eine Befriedung des Iraks, an der Polen aus ihrer Sicht erfolgreich mitbeteiligt wäre. Die polnischen Anti-Kriegs-Initiativen dagegen plädieren schon seit Jahren für einen schnellstmöglichen Abzug der Truppen aus dem Irak und sind auch mit dem Dekret vom 21. Dezember 2007 unzufrieden. „Dies ist kein Rückzug, sondern eine Verlängerung des Mandats um zehn Monate“, heißt es kritisch aus den Reihen der Friedensaktivisten.
Und mit dieser Kritik haben sie durchaus Recht, denn eigentlich wäre das Mandat für die polnischen Soldaten im Irak am 31. Dezember 2007 ausgelaufen. Ein Abzug zu diesem Zeitpunkt wäre jedoch ein unmögliches Vorhaben. Selbst der von der Tusk-Regierung angeblich ursprünglich favorisierte Termin für den Truppenabzug, Presseberichten nach im Sommer dieses Jahres, erwies sich als unrealisierbar, da die polnischen Truppen im Irak logistisch von ihren amerikanischen Verbündeten abhängig sind – nicht mal einen Panzer können die Polen ohne die Hilfe der Amerikaner in den, bzw. aus dem Irak verschiffen. Doch ausgerechnet in dieser Abhängigkeit liegt auch der Schlüssel für den Kompromiss zwischen dem Präsidenten und der Regierung.
Der Verfassung nach ist der Präsident der Oberbefehlshaber der polnischen Armee, doch die Bewaffnung und Versorgung der Truppen obliegt der Regierung. Im Falle einer Verweigerung Kaczysnkis, seine Unterschrift unter die Rückzugspläne der Regierung zu leisten, hätte der Präsident die alleinige Verantwortung für die Soldaten im Irak übernommen und wäre somit für ihre Versorgung, für ihre Bewaffnung und für ihre Rückkehr verantwortlich. Eine Bürde, die Kaczynski dann wohl doch zu groß wurde. Nach intensiven Gesprächen und gegenseitigen Garantien, einigten sich die Regierung und der Präsident in letzter Minute.
Der Krieg in Afghanistan wurde bislang nicht wirklich wahrgenommen
Einen Einfluss auf die Entscheidung des Präsidenten und das schnelle Drängen der Regierung dürfte aber auch die Entwicklung in Afghanistan gehabt haben. Am 16. August beschossen polnische Soldaten das Dorf Nangar Khel, in dem Taliban vermutet wurden, mit Mörsergranaten. Wer den Befehl zum Angriff gegeben hat, ist bis heute nicht ganz geklärt. Dennoch wurden die verantwortlichen Soldaten wenige Wochen vor Weihnachten wegen Kriegsverbrechen verhaftet, obwohl sie sich selber als Sündenböcke darstellen.
Auch viele Polen sind dieser Meinung – es fällt ihnen einfach schwer, an blutrünstige polnische Soldaten zu glauben. Doch gleichzeitig führte dieser Vorfall auch dazu, dass sich die polnische Öffentlichkeit mehr mit der Lage ihrer Soldaten in Afghanistan befasst. Plötzlich tauchten in der Presse Berichte auf, die von dem brutalen und gefährlichen Alltag der Soldaten am Hindukusch erzählen, von einem Krieg, der östlich der Oder bisher als solcher kaum wahrgenommen wurde. Zudem wurde den Polen auch klar, dass ihre Soldaten für diesen Krieg nicht ausreichend ausgerüstet sind. Zu Beginn dieses Jahres sollten nach Afghanistan neue Rosomak-Panzerwagen geliefert werden. Doch aufgrund chaotischer Zustände im Verteidigungsministerium, für die noch die ehemalige Kaczynski-Regierung verantwortlich ist, und Missständen beim Hersteller des Rosomak wurde bisher kein einziger dieser dringend gebrauchten Panzerwagen hergestellt.
All dies führte dazu, dass sich mittlerweile auch immer mehr Polen für eine schnelle Beendigung der Mission in Afghanistan aussprechen. Doch die neue Regierung von Donald Tusk denkt nicht daran. Ganz im Gegenteil. Wie letztens bekannt wurde, möchte Verteidigungsminister Bogdan Klich die polnischen Truppen in Afghanistan sogar aufstocken, von bisher 1.200 auf 1.600 Soldaten. Gleichzeitig beansprucht Klich für die polnischen Truppen, die bisher auf ganz Afghanistan verteilt waren, die Provinz Paktika, für die sie allein zuständig wären. Die ersten Gespräche zu diesem Thema möchte Klich in Washington führen, wohin er am Dienstag flog.