Polen: Wahlkampf mit Weltkriegsschäden
PiS-Chef Kaczynski fordert mal wieder Reparationen von Deutschland. Er verfolgt damit innenpolitische Ziele. Debatte appelliert an Emotionen.
Umgerechnet 1,3 Billionen Euro sollen die Schäden betragen, die Polen durch deutsche Invasion und Besatzung im Zweiten Weltkrieg erlitten hat. Symbolträchtig wurde die Summe unlängst zum 83. Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen präsentiert, im Königsschloss der Hauptstadt, das Ende 1944 zerstört wurde, wie der Großteil der Hauptstadt – als Vergeltung der deutschen Besatzer für den Warschauer Aufstand.
Nach aktuellen polnischen Angaben starben zwischen 1939 und 1945 5,2 Millionen Staatsbürger des Landes aufgrund von Kriegshandlung und Besetzungsterror.
"Deutschland hat sich nicht wirklich mit seinen Verbrechen in Polen auseinandergesetzt" so der Vorsitzende der regierenden PiS, Jaroslaw Kaczynski. "Ohne Entschädigung gibt es keine Versöhnung zwischen den Menschen", ergänzte Premierminister Mateusz Morawiecki.
Entschädigungen gab es zwar durchaus – so etwa ein 1,5 Milliarden D-Mark Kredit unter Kanzler Helmut Schmidt, der nicht zurückgezahlt werden musste. Hinzu kamen die Zwangsarbeiterentschädigung in den Nullerjahren, sie beliefen sich auf 1,3 Milliarden Euro. Doch dies sind keine "Reparationen", keine Ausgleichszahlungen zwischen zwei Staaten.
Vom Auswärtigen Amt in Berlin kam darum diese Woche die übliche, formaljuristische Antwort: Polen habe bereits 1953 auf Forderungen an Deutschland verzichtet. Auf sowjetischen Druck allerdings, heißt es aus Polen.
Polens Regierung möchte diese Argumentation daher nicht anerkennen, da die "Volksrepublik Polen" damals kein souveräner Staat gewesen sei. Auch wird von deutscher Seite gerne auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1991 verwiesen, eine Art Friedensvertrag zu Nachkriegsfragen, dem Polen zugestimmt hatte.
Die Chancen auf dem Weg der internationalen Klage das Geld zu bekommen, sehen so eher nicht gut aus. Doch glaubt Kaczynski wirklich daran, mehr als eine Billion Euro zu bekommen?
Völkerrecht ist ein komplexes außenpolitisches Feld und Außenpolitik wird von dem Nationalkonservativen, selbst formal nur ein einfacher Abgeordneter, als Anhängsel der Innenpolitik gesehen. So zumindest die Erfahrungswerte seines langen Wirkens.
Kaczynskis Ziel ist jedoch, die Parlamentswahlen zum dritten Mal in Folge zu gewinnen; sie finden im Herbst kommenden Jahres statt. Dabei arbeitet Kaczynski gerne mit Feindbildern, die Opposition zählt selbstredend dazu, Richter als arrogante Kaste, LGBT-Gruppen – und immer wieder Deutschland.
Dies ist verständlich. Nach dem Krieg waren Angst vor Deutschland und Hass auf das Land der Täter groß. Die sozialistische Führung in Warschau verstand es über Jahrzehnte, diese Emotionen als große Konsens-Klammer zu nutzen, welche die Polen trotz aller Unterschied zusammenhalten sollte.
Zumal es damals noch Ansprüche der Vertriebenenverbände an die ehemaligen Ostgebiete gab, die erst mit Willy Brandts Warschau-Besuch 1970 und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag 1991 aufgehoben wurden.
Für Warschau ist entscheidend, was hinten rauskommt
Nun hat sich zwar vieles zwischen beiden Ländern geändert. Errungenschaften wie die deutsch-polnische Zusammenarbeit durch Städtepartnerschaften, Schüleraustausch, die gute Kooperation in der Grenzregion sind jedoch Erscheinungen, welche Kaczynski und viele weitere Nationalkonservative in Warschau nicht wirklich interessieren. Wenn, dann werden Handelsbilanzen beachtet.
Seit Anfang des Jahres kritisieren PiS und regierungsnahen Medien wieder vermehrt Deutschland, bis hin zur Polemik mit propagandaartigen Zügen.
Das aus Sicht Warschaus mangelnde Engagement Berlins für die Ukraine und die Abhängigkeit des Nachbarn vom russischen Gas werden aufgeführt. Auch das Fischsterben in der Oder, dessen Ursachen noch nicht geklärt sind, wird von polnischen Politikern teilweise dem westlichen Nachbarn angelastet.
Nach einer aktuellen Umfrage kämpft Kaczynski mit seiner Forderung nach Reparationen für eine Sache, die 64 Prozent der Polen für richtig halten. Es gibt auch Umfragen mit niedrigeren Zustimmungswerten. Alle liegen jedoch über 50 Prozent.
In der konservativ-liberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) sind die Meinungen bezüglich Reparationen gespalten. Während deren Chef Donald Tusk, ehemals Premierminister und EU-Ratsvorsitzender, den Vorstoß als "zynische politische Kampagne" der PiS abtut, und vor einer erneuten Teilung der polnischen Gesellschaft warnt, erklärt Borys Budka, Fraktionschef des Bündnisses "Bürgerkoalition", in welchem die PO dominiert, dass nur diese Partei bei einer Wahl Reparationsleistungen von Deutschland erfolgreich einfordern könne.
Der nationalkonservative Leiter des Parlamentarischen Ausschusses, Arkadiusz Mularczyk betonte, dass es nur bei einem Wahlsieg der PiS Zahlungen aus Deutschland erreicht werden könnten.
Angesichts dieses neuen Wahlkampfthemas und der hohen Summen ist es wahrscheinlich, dass es beim Komplex "Reparationen" bald nur noch um das "wie" geht, nicht mehr um das "ob".
Auch könnte das Thema angesichts ansteigender Energiekosten und der Wirtschaftskrise auf immer mehr Polen wirken. Deutschland soll unter Druck gesetzte werden, zumal die Auszahlung von EU-Geldern zur Pandemie-Hilfe immer noch aussteht. Polens Justizreformen werden von Brüssel weiterhin beanstandet. Im September soll hierzu eigentlich eine Entscheidung fallen.
Das Thema Reparationen ist in der polnischen Politik immer wieder hochgekocht. Im Jahr 2004 wurde die Forderung auch von Tusk unterstützt, damals ebenfalls PO Parteichef und in der Opposition gegen die Linksregierung unter Leszek Miller.
Nach dem Wahlsieg der PiS 2015 stellte Kaczynski anlässlich des Jahrestags des Warschauer Aufstands am 1. August 2017 die Forderungen erneut und beschloss die Gründung eine Untersuchungskommission. In einer ersten Einschätzung war noch von 840 Milliarden Euro die Rede.
Der neue polnische Botschafter in Berlin, Dariusz Pawlos, soll demnächst der deutschen Regierung die polnische Auflistung überreichen.
Jede polnische Familie hat ihre Leidensgeschichte, verbunden mit dem Zweiten Weltkrieg, das Thema bewegt alle.
Sollte die Führung in Warschau wirklich ernstmachen, könnte sie aber auch eine Gegenaktionen von Seiten der Vertriebenen und deren Nachkommen provozieren – eine Forderung nach Ausgleichszahlung für die verlorenen Ostgebiete. Diesen Anspruch erhob die "Preußische Treuhand" in den Nullerjahren, sie gibt es formal immer noch, auch wenn die Ansprüche der Gruppe 2008 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für unzulässig erklärt worden sind.