Politik im Burgwall: Der Aufstieg des autoritären Nationalismus

Seite 2: Das Ende des Internationalen?

Nationalisten hassen die Globalisierung, weil sie glauben, dass internationale Gremien nicht die Regeln aufstellen sollten, die das Verhalten ihrer Regierungen einschränken.

In Brasilien hat der Präsident Jair Bolsonaro im Stile Trumps die UN-Organisationen und transnationalen Umweltorganisationen wegen ihrer Kritik an seinem Laissez-faire-Ansatz bei der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes scharf angegriffen.

Euroskeptiker wie Ungarns Viktor Orban und die Brexit-Befürworter im Vereinigten Königreich mögen es nicht, sich an die Vorschriften der EU-Zentrale in Brüssel halten zu müssen, die alles von der Größe von Gurken bis zur Pressefreiheit betreffen. Trump hat die Vereinigten Staaten bekanntlich aus jedem internationalen Abkommen zurückgezogen, das in die Reichweite seiner MAGA-Machete ("Make America Great Again") kam, darunter das Pariser Klimaabkommen, das Iran-Atomabkommen und der Vertrag über nukleare Mittelstreckenwaffen.

Die Ukraine hat sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Nachdem die Euromaidan-Proteste im Jahr 2014 den prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch aus dem Amt gejagt hatten, appellierten die mehr oder weniger liberalen Regierungen, die auf ihn folgten, durchaus an den ukrainischen Nationalismus. Zugleich waren sie bereit, ja sogar erpicht darauf, sich den Regeln und Vorschriften externer Mächte zu unterwerfen, zumindest denen des Westens. Im Mittelpunkt der ukrainischen politischen Kämpfe 2013 bis 2014 stand schließlich der Wunsch nach einem EU-Beitritt, für den sich kürzlich mehr als 90 Prozent der Ukrainer ausgesprochen haben.

Putin hat der Ukraine natürlich eine ganz andere Art der Mitgliedschaft in Aussicht gestellt – die in einer slawischen Bruderschaft. Was immer die Vor- und Nachteile einer künftigen engen Partnerschaft mit Russland und dem benachbarten Weißrussland sein würden, sie ergeben sich aus der Befolgung der strikten Kreml-Diktate. Mit anderen Worten: Die Ukraine steht vor der Qual der Wahl, entweder ein widerwilliger Partner des russischen Exzeptionalismus zu werden oder sich bereitwillig den Regeln des Westens zu unterwerfen. Angesichts solcher Optionen ist es kaum verwunderlich, dass Euroskeptizismus dort kaum wahrnehmbar ist.

Natürlich ist die Ukraine nicht das einzige Land, das an die Tür der EU klopfen möchte. Mehrere andere Länder stehen bereits Schlange, darunter zweifellos auch Schottland – falls es sich vom Vereinigten Königreich und seinen Brexit-Befürwortern trennen kann. Als Antwort auf die Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung, einschließlich des Privatisierungsdrucks und eines möglichen Wettlaufs nach unten bei Umwelt- und Arbeitsvorschriften, hat Europa ein transnationales System geschaffen, das zumindest einige sozialdemokratische Merkmale bewahrt. Und das scheint ein attraktiver Kompromiss für eine Reihe von Ländern zu sein, die vor der Tür der EU kauern und dem rauen Wind des Freihandels und der drückenden Schulden ausgesetzt sind.

Doch der Brexit war kaum die einzige Herausforderung für die Europäischen Union. Die Weigerung, sich an die demokratisch festgelegte Politik Brüssels zu halten, hat die Rechtspopulisten in Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik vereint, während sie in Ländern wie Rumänien eine starke Strömung des Euroskeptizismus hervorgerufen hat. In Frankreich ist die Unterstützung für die extreme Rechte – ebenso wie für die euroskeptische Linke – nach wie vor groß, vor allem unter jungen Menschen.

Eine Koalition rechtsextremer Parteien, die dem europäischen Föderalismus seit jeher ablehnend gegenüberstehen, ist bereit, nach den Wahlen die Regierung in Italien zu übernehmen. Tatsächlich droht der EU eine noch größere Gefahr als ihre mögliche Zersplitterung: eine feindliche Übernahme durch rechtsgerichtete Kräfte, die entschlossen sind, das System von innen heraus zu zerstören.

Ein solcher autoritärer Nationalismus ist auch anderswo auf dem Vormarsch. Nach den Berechnungen des größtenteils staatlich finanzierten Forschungsinstituts Freedom House leben nur noch 20 Prozent der Weltbevölkerung in "freiheitlichen" Ländern. (Im Jahr 2005 waren es 46 Prozent.) Und von diesen 20 Prozent leben viele in Ländern, in denen autoritäre Nationalisten – Trump in den Vereinigten Staaten, Marine Le Pen in Frankreich, Benjamin Netanjahu in Israel – eine plausible Chance haben, in naher Zukunft die Macht zu übernehmen oder wieder zu übernehmen.

Welch ein Unterschied zu den 1990er Jahren, als sich ein Großteil der ehemaligen Sowjetunion nach der Auflösung des Warschauer Pakts um den Beitritt zur EU bemühte. In jenem Jahrzehnt bemühte sich sogar China um den Beitritt zur Welthandelsorganisation und erhielt 1999 schließlich die Unterstützung Washingtons.

Es war ein so goldenes Zeitalter der Konferenzen und internationalen Abkommen der Vereinten Nationen – von der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung bis hin zum Römischen Statut zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs –, dass der Name, den die Vereinten Nationen für die 1990er Jahre wählten, nämlich "Jahrzehnt des Völkerrechts", außerordentlich treffend erschien. Leider scheint dies heute eher eine alte Geschichte zu sein.

Natürlich ist die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit nicht verschwunden. Man denke nur an den Klimawandel, Pandemien und den Verlust der Artenvielfalt, um nur drei dringende Krisen zu nennen. Aber der Enthusiasmus für verbindliche internationale Verpflichtungen ist auf den Nullpunkt geschrumpft. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war freiwillig.

Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit während der Covid-Pandemie war über wissenschaftliche Kreise hinaus minimal und wurde häufig durch Ausfuhrbeschränkungen für wichtige medizinische Güter untergraben. Abkommen zur Kontrolle von Atomwaffen sind nach wie vor nicht zustande gekommen, die "Modernisierung" dieser Waffenarsenale schreitet weiter voran und die Militärbudgets steigen, während der Waffenhandel neue Höchststände erreicht.

Die 2020er Jahre entwickeln sich zunehmend zum Jahrzehnt der internationalen Schurken. Die Tragödie der Ukraine liegt nicht nur in ihrer geografischen Lage, die so nah an Russland und so fern von Gott ist, sondern bezüglich des Zeitpunkts. Vor drei Jahrzehnten, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, fand der Wunsch der Ukraine, internationalen Normen zuzustimmen, wenig Beachtung, und ihre Bereitschaft, auf ihre Atomwaffen zu verzichten, fand allgemeinen Beifall. Das Schlimmste, was ein EU-Beitrittsgesuch damals hätte bewirken können, wäre eine kalte Schulter aus Brüssel gewesen. Heute hat der Wunsch, Europa beizutreten, zum Krieg geführt.

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