Politik im Burgwall: Der Aufstieg des autoritären Nationalismus
Seite 3: Wohin mit der Autokratie?
Autokraten verstecken sich oft hinter ihrer Souveränität. China argumentiert, dass das, was mit seiner uigurischen Minderheit in der Provinz Xinjiang geschieht, die internationale Gemeinschaft einfach nichts angeht. Nordkorea besteht darauf, dass es das souveräne Recht hat, Atomwaffen zu entwickeln. Und in den USA lehnt Donald Trumps MAGA-Crew es entschieden ab, dass sich irgendjemand von außen in die amerikanische Vorliebe für fossile Brennstoffe, Grenzmauern und Waffen einmischt.
Souveränität war einst das Vorrecht des Königs; er war schließlich der Souverän. Heutige Autokraten, wie Wladimir Putin, werden eher in ihr Amt gewählt, als dass sie in diese Position hineingeboren werden wie Kim Jong-un. Die Wahlen, aus denen solche Autokraten hervorgehen, mögen fragwürdig sein (und werden es während ihrer Herrschaft wahrscheinlich immer mehr), aber die Unterstützung durch die Bevölkerung ist ein wichtiges Merkmal des neuen Autoritarismus.
Putin wird derzeit von rund 80 Prozent der Russen unterstützt; Orbans Zustimmungsrate in Ungarn liegt bei fast 60 Prozent; und obwohl Donald Trump wahrscheinlich nur dank der Unterdrückung von Wählerstimmen und der zunehmend antidemokratischen Merkmale des amerikanischen politischen Systems erneut gewinnen könnte, haben Millionen von Amerikanern Trump 2016 ins Weiße Haus gewählt und glauben weiterhin aufrichtig, dass er ihr Retter ist. Bolsonaro in Brasilien, Nayib Bukele in El Salvador, Narendra Modi in Indien, Kais Saied in Tunesien: Sie alle wurden gewählt.
Ja, solche Führer sind Nationalisten, die sich oft wie Populisten verhalten, indem sie ihren Anhängern alle möglichen Wohltaten und Wohlfühl-Patentlösungen versprechen. Aber was die heutigen Autokraten besonders gefährlich macht, ist ihr Exzeptionalismus, ihr Bekenntnis zu einer Souveränität, die es schon vor der Gründung der Vereinten Nationen, des früheren Völkerbundes oder sogar des Westfälischen Friedens gab, der 1648 das moderne zwischenstaatliche System in Europa begründete.
Sowohl Trump als auch Xi Jinping erinnern an ein Goldenes Zeitalter – an Herrscher, die sich auf die unbestrittene Loyalität ihrer Untertanen verlassen konnten und eine Herrschaft ausübten, die nur von anderen Monarchen in Frage gestellt wurde.
Souveränität ist der ultimative Trumpf. Mit ihr kann man jeden Streit beenden: Ich bin der König dieser Burg, und mein Wort ist Gesetz innerhalb der Mauern. Autokraten sind in der Regel keine Teamplayer, aber zunehmend spielen auch Demokratien die Souveränitätskarte aus. Selbst Russland, das so offensichtlich die ukrainische Souveränität verletzt, hat das getan, indem es argumentierte, die Ukraine sei schon immer Teil Russlands gewesen.
Der Krieg in der Ukraine läuft auf einen Konflikt zwischen zwei Auffassungen von Weltordnung hinaus. Die erste wird durch einen "Einer-gegen-alle"-Exzeptionalismus definiert, die zweite durch eine "Alle-für-einen"-transnationale Zusammenarbeit.
Leider wird letztere mit wirtschaftlicher Globalisierung (bei der es in Wirklichkeit um rücksichtslosen Wettbewerb und nicht um globale Zusammenarbeit geht), politischem Elitismus im Stil von Davos (bei dem es in der Regel eher um geheime Absprachen als um transparente Zusammenarbeit geht) und grenzüberschreitender Migration (die aus Kriegen, dem Elend globaler wirtschaftlicher Ungleichheit und dem immer verheerenderen Alptraum des Klimawandels resultiert) in Verbindung gebracht. Die Wut über diese drei Elemente des "Globalismus" veranlasst die Wähler dazu, "die andere Seite" zu unterstützen, und zwar in den meisten Fällen einen autoritären Exzeptionalismus und nicht einen authentischen Internationalismus.
Der düstere Endpunkt einer solchen politischen Entfaltung könnte ein Russland mit nordkoreanischen Zügen sein: isoliert, kriegerisch und tyrannisch. Länder, die einen solchen Weg einschlagen, riskieren heute den Status der Geächteten, den Nordkorea seit 75 Jahren genießt. Die Frage ist: Was passiert, wenn in Zukunft die Geächteten die Mehrheit bilden?
Wirklich beängstigend ist jedoch, dass dieser größere geopolitische Konflikt ein Zweifrontenkrieg ist. Während sich der Westen gegen das von Putin aufgebaute Russland verbündet, kämpft er gleichzeitig gegen die eigenen Formen des autoritären Exzeptionalismus, von Trump bis Orban. Stellen Sie sich das als die geopolitische Horrorfilm-Situation vor: der Anruf eines Serienmörders, wobei sich herausstellt, dass der Anruf aus dem eigenen Haus kommt.
Kann die Heldin dieser Geschichte, der wahre Internationalismus, den Ansturm gesetzloser Wahnsinniger überleben, die eine Welt zügelloser Herrscher wiederbeleben und einen Krieg aller gegen alle befördern wollen? Wir können nur hoffen, dass unsere Heldin nicht nur diese erschütternden Herausforderungen überlebt, sondern auch in weniger schrecklichen Serien mitspielen wird.
Der Artikel von John Feffer erscheint in Kooperation mit dem Online-Portal TomDispatch in den USA. Übersetzung: David Goeßmann.
John Feffer ist Direktor von Foreign Policy In Focus am Institute for Policy Studies in Washington D.C. Er schreibt regelmäßig für TomDispatch. Feffer ist Autor des Buchs "Right Across the World: The Global Networking of the Far-Right and the Left Response".
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