Politik- und Islamwissenschaftler statt Juristen?

Das nordrhein-westfälische Landesamt für Verfassungsschutz im Düsseldorfer Innenministerium. Foto: Jula2812. Lizenz: CC BY-SA 4.0

Ex-Verfassungsschützer Thomas Grumke plädiert für eine Reform des deutschen Inlandsgeheimdienstes

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15 Jahre nach den Anschlägen des 11. September und fünf Jahre nach der Aufdeckung des NSU (der zehn Jahre lang morden konnte) steht der Verfassungsschutz in der Kritik und unter Veränderungsdruck. Außerdem herrscht in Deutschland ein großes Misstrauen gegenüber Sicherheitsbehörden.Thomas Grumke und Rudolf van Hüllen, beide ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, haben nun ein Buch mit dem Titel Der Verfassungsschutz - Grundlagen, Gegenwart, Perspektiven veröffentlicht. Ihre Kernthese lautet, dass die deutsche Sicherheitsarchitektur nicht in der Gegenwart angekommen sei. Grumke und sein Ko-Autor wollen den Verfassungsschutz nicht abschaffen, aber reformieren. Telepolis fragte ihn auf einer Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung: Warum und wie?

Herr Grumke, viele Deutsche wollen den Verfassungsschutz ganz abschaffen, oder wenigstens die Landesämter für Verfassungsschutz. Sie aber wollen Verfassungsschutz mitsamt Landesämtern behalten?

Thomas Grumke: Man kann natürlich darüber sprechen, dass man bei den kleinen Ländern Ämter zusammenlegt. So ist es nicht unbedingt nötig, dass Länder wie Bremen oder das Saarland einen Verfassungsschutz unterhalten, zumindest allein unterhalten. Man könnte auch bestimmte grundsätzliche Aufgaben im Bund bündeln, wie Cybercrime oder Spionageabwehr.

Aber grundsätzlich sollte der Föderalismus da nicht in Frage gestellt werden: Der hat sich ja auch durchaus bewährt. Der Mitarbeiter eines Landesamtes kennt sich vor Ort besser aus, als jemand aus einer Zentralbehörde das könnte. Außerdem ist das Bundesamt weder von der Arbeitsweise noch von der Struktur her so viel besser als die Länder. Man kann also nicht davon ausgehen, dass alles besser würde, wenn man die Landesämter auflöste und das Bundesamt entsprechend vergrößerte. Das sehe ich nicht.

Sie waren selbst Mitarbeiter des Verfassungsschutzes?

Thomas Grumke: Ich war Mitarbeiter beim Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Dort war ich wissenschaftlicher Referent und beschäftigt mit der Auswertung und Prävention von Rechtsextremismus.

Was waren Ihre eigenen Erfahrungen? Was sollte man ändern?

Thomas Grumke: Mit einem abgeschlossenen Studium wird man traditionell Referent im höheren Dienst. Aber erstens stellt sich die Frage, welche Stellen vorhanden sind. Berlin zum Beispiel hat traditionell nur wenige Stellen, und man kann nur Stellen besetzen, die man hat. Und wenn Sie bloß Stellen im gehobenen Dienst haben, also auf Sachbearbeiter-Ebene, dann müssen Sie mit dem vorlieb nehmen, was Sie haben. Das ist aber keine Perspektive, so kann man die Leute nicht halten.

Zweitens braucht man Qualität statt Quantität. Zwar hat das Bundesamt jüngst etwa 500 Stellen gewonnen, aber da fragt man: Wer wird genommen? Für Führungspositionen kommen praktisch nur Juristen in Frage, bis auf wenige Ausnahmen. Und dieses Juristenmonopol muss gebrochen werden!

Rotationsprinzip

Sie sagten, Politikwissenschaftler seien mit Juristen nicht auf Augenhöhe ...

Thomas Grumke: Ich würde mich niemals dafür aussprechen, dass wir so eine Behörde ohne Juristen haben, das wäre absurd - aber traditionellerweise kommen Sie da ohne juristisches Staatsexamen für eine Führungsposition nicht in Frage. Und so sind auch die Referats- bzw. Gruppenleiter für Islamismus in der Regel Juristen, keine Islamwissenschaftler.

Das liegt auch am Rotationsprinzip: Sie sind auf jeder Stelle ein paar Jahre, dann wechseln Sie, immer alle drei bis fünf Jahre innerhalb des Ministeriums. Wenn Sie 20 Jahre auf einer Position sind, ist das Endstation. In einer Behörde wird die so genannte "Verwendungsbreite" hergestellt. Das Problem für Nicht-Juristen besteht darin, dass sie diese Rotation nicht mitmachen können. Was hätte ich im Innenministerium sonst machen können?

In der Süddeutschen Zeitung stand mal, der Verfassungsschutz sei eine Behörde mit nachrichtendienstlichem Anhang. Das finde ich sehr treffend.

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