Politiker im ver.di-Talk: Und täglich grüßt das Lufttaxi
"Wer zahlt die Zeche für die Krise?" Das wollte die Gewerkschaft von Abgeordneten der CDU, der SPD, der FDP, der Linkspartei und der Grünen wissen
Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen außer der AfD waren am Donnerstagabend in einer hybriden Talkrunde der Gewerkschaft ver.di mit der Fragestellung "Wer zahlt die Zeche für die Krise?" vertreten. Da die Gewerkschaft laut ver.di-Chef Frank Werneke "Parteien, die rechtsextremistisch und ausländerfeindlich sind" keine Bühne bietet, konnte hier auch nicht herausgearbeitet werden, wie die AfD generell zu den einkommensschwachen Teilen der Bevölkerung steht - und mit welchen anderen Parteien sie sozial- und finanzpolitisch die meisten Gemeinsamkeiten hat.
Beides hätte durchaus entlarvend sein können, aber die Gewerkschaft ver.di darf selbst bestimmen, wen sie einlädt - und kontrovers wurde es in dieser Runde der Veranstaltungsreihe "ver.di wählt" trotzdem. Generell gegen die Aufnahme von Staatsschulden zur Bewältigung der Corona-Krise stellte sich aber zunächst keiner der Diskutanten - dass es nur Männer waren, lag an den Verpflichtungen zweier ursprünglich eingeladener Frauen im Wirecard-Untersuchungsausschuss, wie eingangs betont wurde.
Der FDP-Politiker Markus Herbrand sprach allerdings von der Krise in der Vergangenheitsform, als sei sie schon bewältigt. Seine Partei habe die Aussetzung der Schuldenbremse nach den Regularien des Grundgesetzes mitgetragen "weil wir diese Besonderheit hatten", so Herbrand. Der ver.di-Forderung nach einem "Jahrzehnt der Investitionen" - vor allem in den Bereichen Gesundheit und Pflege, Klimaschutz und Digitalisierung - widersprach keiner der Abgeordneten offen.
Allerdings befand nur der ausgebildete Volkswirt Axel Troost von der Partei Die Linke klipp und klar, dass die Schuldenbremse nicht mit den jetzt nötigen Zukunftsinvestitionen vereinbar sei. "Mit Staatsverschuldung muss man gegen Krisen angehen", nur der Staat könne die Nachfrage stabilisieren und Investitionen tätigen, so Troost.
SPD-Vertreter Lothar Binding erklärte für das gewerkschaftsnahe Publikum zunächst: "Ich fand die schönste Eigenschaft der Schuldenbremse, dass sie in der Krise außer Kraft gesetzt wurde." Er wisse nicht "ob die jetzt so eilig wieder in Kraft gesetzt werden muss". Schließlich wäre es ohne Rettungsschirme und Staatshilfen für Unternehmen auch teuer geworden: "Nichts ist teurer als ein paar Millionen Arbeitslose", so Binding - von den psychischen Folgen für die Betroffenen und deren Familien ganz zu schweigen. Die SPD will allerdings die Schuldenbremse grundsätzlich beibehalten und deren Aussetzung nach Plänen des aktuellen Finanzministers und Kanzlerkandidaten Olaf Scholz bereits 2023 wieder beenden.
Als Moderator der Runde warf Tagesspiegel-Redakteur Harald Schumann die Frage auf, ob das denn realistisch sei, da in diesem Jahr das Bundesdefizit etwa 240 Milliarden Euro betrage und gemäß der Schuldenbremse momentan nur ein Spielraum von 13 Milliarden bestehe. Binding betonte allerdings, das Problem seien weniger die Finanzen als die Kapazitätsgrenzen der Wirtschaft.
Grüne wollen Schuldenbremse nicht "in dieser starren Form".
Die Grünen wollen die Schuldenbremse zumindest reformieren - oder mit den Worten ihres Abgeordneten Stefan Schmidt "loskommen von der Schuldenbremse in dieser starren Form". Gemeint ist die Regel, dass die staatliche Neuverschuldung im Bund 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht übersteigen darf. Stattdessen sei eine flexiblere Variante mit verbindlichen Investitionsregeln möglich, so Schmidt. Laut Wahlprogramm wollen die Grünen zehn Jahre lang jedes Jahr 50 Milliarden Euro zusätzlich mobilisieren, um die Energie- und Verkehrswende sozialverträglich stemmen zu können.
Mit den Vorstellungen der Unionsparteien, in dieser Runde vertreten durch den CDU-Abgeordneten Sepp Müller, scheint das auf den ersten Blick nur schwer zusammenzugehen. Zunächst betonte auch Müller, wie sinnvoll es gewesen sei, in einer schweren Krise durch Staatsverschuldung Arbeitsplätze zu retten. Als es aber um die Kosten der Energie- und Verkehrswende ging, erklärte er, neue Solarpaneele, in die heute investiert werde, seien in zehn Jahren womöglich nichts mehr wert, weil es längst effizientere gebe. Das sei wie mit den Autos der Marke "Trabant" in der DDR, für die sich damals viele verschuldet hätten.
Außerdem sei unklar, ob Investitionen zugunsten von Digitalisierung oder Straßenbau überhaupt richtig angelegt seien, "weil beispielsweise in zehn Jahren die Möglichkeit besteht, mit dem Lufttaxi von Berlin nach Hamburg zu fliegen". Deshalb, so Müller, sei es "richtig und generationengerecht, dass wir eine Schuldenbremse haben, denn die Schulden von heute sind die Steuerbelastungen von morgen". Auf die Frage, wie er sich das vorstelle, wenn seine Partei nach der Bundestagswahl am 26. September womöglich mit den Grünen koalieren müsse, meinte Müller nur, im Moment koaliere sie ja noch sehr gut "mit unseren Freunden der Sozialdemokratie".
Die Generationen, die Schulden und das Vermögen
Beim Thema Generationengerechtigkeit versuchte auch der FDP-Vertreter Herbrand die junge Generation und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Klimaschutzgesetz für neoliberale Positionen in Stellung zu bringen. Schließlich seien auch Staatsschulden eine Belastung, die auf die nächste Generation verschoben werde, so Herbrand. Er hatte aber die Rechnung ohne den Moderator gemacht - diesem nämlich schien der Unterschied zwischen der allgemeinen Verknappung natürlicher Lebensgrundlagen durch eine drohende Klimakatastrophe und finanziellem Verteilungsfragen sehr klar zu sein.
Nachdem der FDP-Mann vor vererbten Schulden und der Steuerlast der nächsten Generation warnte, fragte Schumann: "Aber die nächste Generation erbt schon auch die Vermögen, ne?" Aber die Steuerzahler der Zukunft müssten die Staatsschulden zurückzahlen, so Herbrand. "Ja, womöglich die mit den Vermögen", so der Moderator.
Von allen in der Runde vertretenen Parteien tun sich wohl FDP und CDU am schwersten mit dem Fakt, dass auch Infrastruktur und Ökosysteme zur Erbmasse gehören. Werneke hatte sich zu Beginn für eine "umverteilende Steuerpolitik" ausgesprochen und betont, ein Markenzeichen seiner Gewerkschaft sei Überparteilichkeit - aber auch, dass sie immer Partei sei, wenn es um die Interessen der abhängig Beschäftigten und der Lernenden sowie der Soloselbständigen und der Rentnerinnen und Rentner gehe.
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