Politische Botschaften in einer Zirkusveranstaltung

Wenn der CCC auf der CeBIT Preise verleiht

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In Kriegszeiten ist Feigheit vor dem Feind ein schweres Vergehen. So mancher Soldat musste deshalb sein Leben lassen. In Friedenszeiten pressiert es nicht ganz so sehr, man bekommt höchstens von ein paar Hackern die rote Karte präsentiert - eine Netzwerkkarte wohlgemerkt.

Für manche war es nicht ganz leicht herauszufinden, wer oder was dort durch die Hallen der CeBIT wanderte und noch mehr Lärm verbreitete als so mancher Messestand.

"Kommt da eine Schulklasse?", fragte ein irritierter Messebesucher, ein anderer vermutete Studentenproteste. Eine ganze Rotte von vorwiegend jungen Leuten hatte sich zusammengerottet und stürmte verschiedene Stände. Wer genau hinhörte und einen der Demonstranten zur Rede stellte, erfuhr worum es ging: der Chaos Computer Club sorgt sich um die Freiheit des Internet.

Rote Karten

Die Kölner Sektion des CCC hatte die jährliche Verleihung des Negativ-Preises CCCebit-Awards organisiert und sich der Sperrungsverfügungen aus Düsseldorf angenommen. Das Problem: der Urheber, die Bezirksregierung Düsseldorf, war nicht auf der CeBIT vertreten. Also suchte man nach anderen Ausstellern, denen gegenüber man seinen Protest kundtun konnte. Als symbolische Preise hatten die Hacker einige Netzwerkkarten schön rot angemalt, die jeweils den Standleitern überreicht werden sollten.

In dem Manifesto zur Preisverleihung ist von der "Glut der Besserwisserei" die Rede und von der "Feigheit der Provider". Der angemeldete Widerstand aus der Wirtschaft gegen die Zensurpläne aus Düsseldorf entspricht nicht den Ansprüchen der Hacker:

"Da das scheinbar Unaufhaltsame aber jetzt zu kommen scheint, akzeptieren es die Provider wie ein Naturereignis und kümmern sich nicht mehr um die Qualität ihres Produktes, nämlich der Bereitstellung von Internetzugang an ihre Kunden. Wenn die Qualität der Dienstleistung auch aller anderen Konkurrenten am Markt (also der anderen Provider in NRW) ebenfalls sinkt, so können ihm die (meisten) Kunden nicht abwandern. Warum soll er sich also um die Qualität seines Produktes kümmern?"

Von Stand zu Stand

Gerade deshalb galt es, bei den Internetanbietern einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Erstes Opfer war der kleine Kölner Provider Vision Consulting, dessen Stand geradezu verschwindend klein war. Trotz der gewaltigen Übermacht auf Hackerseite nahm der technische Leiter André Ruppert den Preis entgegen und versicherte, dass sein Unternehmen auch weiterhin Seiten sperren werde. Die Firmenkunden wollten diesen Service. Bei Privatkunden sähe das anders aus, aber die bediene Vision Consulting nun mal nicht.

Bei dem ungleich größeren Stand von Arcor verhielt man sich weniger souverän. Die Hacker kamen unangekündigt und unerwartet - war es doch nur die Tochterfirma ISIS, die den Zorn der Hacker erregt hatte. Doch zornig wurde nun das Standpersonal und sah sich weder bereit, den Preis anzunehmen, noch irgendeine Stellungnahme abzugeben.

Im falschen Film?

Der Standleiter des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums Johann Kees improvisierte hingegen eine schnelle Rede, in der er sich zwar für ein freie Internet aussprach, allerdings eine Freiheit in Grenzen wie bei Printmedien. So wäre zum Beispiel Kinderpornographie nicht hinnehmbar. Dass die Bezirksregierung bisher allerdings keine kinderpornographische Seite zur Sperrung finden konnte, wusste Kees nicht. Er sei der falsche Ansprechpartner, versicherte er, man solle sich doch bitte an die zuständige Behörde wenden.

In einem falschen Film wähnte sich auch das Standpersonal des Forschungslandes Nordrhein-Westfalen. Leiterin Katharina Roderburg war ziemlich überrascht, als sie von Demonstranten umringt war. Nur am Rande habe sie in einem Pressespiegel mal etwas von den Sperrungen gelesen, nun ließ sie ihr Team aber noch einmal auf der Webseite des CCC nachlesen. Dass eine nordrhein-westfälische Universität an Filterlösungen für das Internet arbeitet, ging im Trubel etwas unter.

So richtig getroffen schien keiner der Preisträger zu sein. Nur einer der Ausgezeichneten war überhaupt über die Problematik informiert, der Rest wird sich vielleicht in den nächsten Tagen kundig machen. Auch die Messebesucher waren nach den Verleihungen nicht wesentlich schlauer als vorher. Das Echo innerhalb der Hacker war denn auch gemischt. Keine chaotische, sondern eine "verpeilte" Aktion sei es gewesen, sagt ein CCC-Mitglied. Andere betonen den Spaßfaktor solcher Aktionen und sehen die Information der Öffentlichkeit als Nebeneffekt.

Der Hacker mit dem Pseudonym ISCS glaubt nicht, dass die Messe Plattform für den CCC taugt: "Die CeBIT ist eine Zirkusveranstaltung. Da kann man schlecht politische Botschaften verbreiten."