Politische Kultur in den USA: Der unheimliche Erfolg eines Lügners
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George Santos: Der US-Abgeordnete ist nicht der einzige bekannte Politiker, dem Betrug und Lügen vorgeworfen werden, aber ein krasser Fall. Wie sehr schützt der Demokratie-Betrieb die Falschen?
In New York steht nicht nur Donald Trump vor Gericht, auch sein Parteikollege George Santos muss sich eventuell bald für eine Vielzahl von vermutlichen Vergehen und Straftaten verantworten. Nun zeigen sich sowohl Kolleginnen des gewählten Vertreters als auch die US-Medien entsetzt über das Ausmaß des Lügengebäudes, das George Santos zum Wahlsieg verholfen hat.
Was sagt die Wahl eines vermutlichen Trickbetrügers zum Abgeordneten in dem New Yorker Wahlbezirk Long Island über das politische System in den USA aus und wie plant das politische Establishment in Washington DC den mittlerweile ausgestoßenen Kongressabgeordneten jetzt wieder loszuwerden?
Schon kurz nach seiner Wahl zum Abgeordneten in den letzten Zwischenwahlen im November letzten Jahres kam es zu Zweifeln an der Biografie des Abgeordneten. Seitdem haben bekannte US-Medienhäuser durch ausgiebige Recherchen bewiesen, dass es kaum einen Aspekt von George Santos Lebenslauf gibt, der nicht frei erfunden sein dürfte.
An Unehrlichkeit gewöhnt
Das gilt für seine akademische Laufbahn, - er hat nach Stand der Dinge nie die New York University besucht und auch seine Zeit an der prestigeträchtigen Highschool Horace Mann sieht ganz nach Erfindung aus.
Auch bei Angaben zu seiner beruflichen Karriere gibt es Lügen-Vorwürfe. So behauptete Goldman Sachs auf Nachfrage der New York Times noch nie einen George Santos beschäftigt zu haben.
Nun ist die US-amerikanische Öffentlichkeit von ihren demokratisch gewählten Machthabern ein gewisses Maß an Unehrlichkeit gewöhnt, George Santos scheint jedoch den Rahmen jeglicher Konventionen zu sprengen.
Als der Kongressabgeordnete sich am zehnten Mai entschloss, sich den Bundesbehörden auf Long Island in New York zu stellen, hatte die Staatsanwaltschaft bereits eine Anklage von insgesamt dreizehn Punkten gegen Santos zusammengestellt.
Sieben davon referieren auf Überweisungsbetrug, drei auf Geldwäsche, zwei auf angebliche Falschaussagen gegenüber dem Repräsentantenhaus und eine auf den Diebstahl öffentlicher Gelder. George Santos beteuert bisher seine Unschuld.
Erschwindeln von 24.000 Euro der Covid-Arbeitslosenhilfe
Dreh- und Angelpunkt der Anklage sind drei angebliche Vergehen: Im Prozess geht es um die Veruntreuung von Wahlspenden. Das Geld hat Santos laut Anklageschrift angeblich für Designerklamotten und andere Luxusgüter ausgegeben. Soweit so vorhersehbar oder zumindest kein untypisches Verhalten für Regierende in den USA und anderswo.
Auch ein weiterer Tatvorwurf ist bereits ein Klassiker unter den Betrügereien der letzten Jahre, nämlich das Erschwindeln von 24.000 Euro der Covid-Arbeitslosenhilfe.
Der dritte Tatbestand, auf den sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage bezieht, handelt von George Santos vermutlicher Falschdarstellung seines Einkommens während seines ersten und vergeblichen Wahlkampfes um einen Sitz im Kongress im Jahre 2020.
Eine frei erfundene Persona kreiert
Wahrscheinlich ist es vor allem der letzte Umstand, der einen Hinweis darauf liefert, warum sich derzeit Regierende, Medien und Teile der Wählerschaft so über Santos echauffieren, denn der Abgeordnete hat sich nicht nur die einschlägigen Betrügereien geleistet, sondern eine frei erfundene Persona kreiert, um seine politische Karriere voranzutreiben, und es hat funktioniert.
Während der Rest der republikanischen Kandidaten in den Zwischenwahlen letzten Jahres hinter den Erwartungen einer "Roten Welle" zurückblieben, schaffte es Santos zur Ehrenrettung der Republikaner in New York seinen Widersacher aus der Partei der Demokraten zu schlagen und zog in das Repräsentantenhaus ein.
"Forrest Gump der US-amerikanischen Tragödien"
Und genau in diesem Teil der Geschichte wird es interessant, denn die von George Santos zu Wahlkampfzwecken veröffentlichte Biografie liest sich wie die eines "Forrest Gump der US-amerikanischen Tragödien".
Auf seiner Website behauptete der Abgeordnete, seine Großeltern würden aus der Ukraine stammen, und wären erst der Shoah und dann Stalins Säuberungen entkommen. Dieser Erzählung widerspricht jedoch die Recherche der Zeitung Forward, laut welcher George Santos Großeltern schon immer in Brasilien gelebt und keinerlei jüdische Wurzeln hätten.
Um auch sicher die Sympathien der gesamten potenziellen Wählerschaft zu wecken, erfand Santos weiterhin persönliche Verbindungen zu den Terrorattacken am 11. September, - seine Mutter sei angeblich ein spätes Opfer des Terroranschlages geworden, da sie Jahre später an Krebs gestorben war - und zu einem der bekannteren Mass-Shootings, bei dem angeblich vier seiner Angestellten ihr Leben verloren.
Es stimmt, dass unter den Menschen, die nach dem 11. September weiter lange Zeit in der Nähe des Trümmerhaufens Ground Zero verbrachten, extrem hohe Krebserkrankungsraten auftraten. Allerdings gibt es laut US-Medien keinerlei Hinweise darauf, dass Santos Mutter zu dieser Zeit in Manhattan gearbeitet oder dort aus anderen Gründen längere Zeitspannen verbracht hätte.
Doch half die Geschichte im Wahlkampf sicher Sympathien bei allen patriotischen New Yorkern, insbesondere Republikanern, zu wecken. Mit der fabrizierten persönlichen Verbindung zu den Opfern des "Mass Shootings" hingegen scheint der Abgeordnete auf einen ähnlichen Effekt bei den eher liberal-gesinnten Teil der Wählerschaft abgezielt zu haben.
Nicht der Einzige mit Lügengeschichten
In der politischen Landschaft der USA steht George Santos mit solchen Lügengeschichten keineswegs alleine dar. Trump log und lügt noch immer, routinemäßig und das besonders gerne, um sein Image als erfolgreicher "Self-Made-Man" zu pflegen. Präsident Biden behauptete bei einigen Gelegenheiten frech, einer seine Söhne sei im Irak gestorben.
Dass der tote Sohn des aktuellen Präsidenten, - immerhin war er tatsächlich Soldat -, nicht im Einsatz, sondern Zuhause an Krebs gestorben ist, könnte einem Großteil der US-Bürgerschaft entgangen sein.
Wird es doch von den US-Medien weiterhin als unter ihrer Würde betrachtet, Biden auf seine toten und lebenden Familienmitglieder anzusprechen. Komisch eigentlich, wo der Präsident selbst doch gar kein Problem zu haben scheint, die Familien-Tragödie in politischen Debatten als rhetorische Krücke zu nutzen.
Vielleicht ist es also die gerade die offensichtliche Anhäufung von Betrügereien und Lügen, welche die US-Bevölkerung in geringerer Konzentration von Vertreterinnen der Regierung gewohnt ist, die George Santos bei seinen Parteigenossinnen so unbeliebt macht.
Denn, wenn die Wählerschaft einmal beginnen würde zu hinterfragen, wer da eigentlich von ihnen gewählt werden will, würden wahrscheinlich einige Kongressmitglieder mehr in Erklärungsnot geraten.