Polnische Regierung droht mit Rache
Die Ermordung der ersten polnischen Geisel durch die Taliban sorgt für Bestürzung, Kritik und Wut
Seit dem vergangenen Wochenende hat nun auch Polen das erste zivile Terroropfer zu beklagen. In der Nacht von Freitag auf Samstag wurde der am 28. September vergangenen Jahres in Pakistan entführte Ingenieur Piotr Stanczak von den Taliban geköpft. Eine Tat, die östlich der Oder für große Bestürzung sorgt. Doch in die landesweite Trauer um den ermordeten Familienvater mischt sich auch die Diskussion um die Verantwortung für die Tat. In den polnischen Medien wird darüber debattiert, ob Warschau und Islamabad genügend für die Freilassung Stanczaks unternommen haben. Die polnische Regierung betont jedenfalls, "Himmel und Hölle" in Bewegung gesetzt zu haben und droht im Gegenzug den Entführern mit Rache.
Ausgerechnet am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz, auf der Afghanistan eines der Hauptthemen war (Altes System, neu gestartet), musste Premierminister Donald Tusk das erste polnische zivile Todesopfer des Terrorismus beklagen. "Aus Pakistan erreichen uns bisher noch unbestätigte Informationen, dass diese Tragödie doch stattgefunden hat", sagte Tusk der polnischen Presse. Dabei war die polnische Regierung wenige Stunden zuvor noch ziemlich zuversichtlich, was das Schicksal der von den Taliban entführten Geisel betraf. Noch in der Nacht von Freitag auf Samstag erhielt das Außenministerium die Information, dass der in Pakistan entführte Ingenieur am Leben sei, weshalb Donald Tusk den letzten Hoffnungsschimmer in der bayerischen Landeshauptstadt nicht ganz aufgeben wollte. "Solange es noch keine endgültigen Beweise gibt, haben wir noch Hoffnung."
Weniger Hoffnung als Tusk hatten an dem Tag die polnischen Medien. Seit dem Samstagmorgen vermeldeten diese den Tod des 42-jährigen Piotr Stanczak und beriefen sich dabei nur auf die pakistanische Presse, die als erste über die Enthauptung des Ingenieurs berichtete. Nachdem aber am Sonntag die Taliban der Nachrichtenagentur Reuters das Hinrichtungsvideo zugespielt haben, hatte die polnische Öffentlichkeit die endgültige Gewissheit, dass der entführte Landsmann nicht mehr am Leben ist. Eine Gewissheit, die auch der Regierung jede Hoffnung nahm. "Das Video von der Hinrichtung des polnischen Staatsbürgers scheint authentisch zu sein, wodurch sich das Schlimmste zu bestätigen scheint", gab der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski, nachdem die Kopie des Videos von den polnischen Sicherheitsdiensten geprüft wurde, am Montag endgültig zu.
Mit dieser Bestätigung endete eine Tragödie, die für den Ingenieur Piotr Stancza und seine Familie am 28. September begann. Auf dem Weg zu einer Vermessungsstation wurde der Ingenieur, der aufgrund seiner Arbeit für das Unternehmen Geofizyka Krakow seit Jahren regelmäßig in Pakistan weilte, ca. 100 km östlich von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entführt. Seine einheimischen Begleiter, zwei Fahrer und ein Leibwächter, wurden noch am Tatort erschossen.
Am 2. Oktober bekannten sich die Taliban zu der Tat und verlangten für die Freilassung der polnischen Geisel von der pakistanischen Regierung die Haftentlassung von 60 inhaftierten Taliban sowie die sofortige Beendigung der pakistanischen Militäraktion im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan. Am 14. Oktober erreichte eine Videobotschaft die Redaktion der pakistanischen Tageszeitung The Dawn, in der der entführte Stancza an die pakistanische Regierung appelliert, die Forderungen seiner Entführer zu erfüllen. Am 30. Januar stellten die Taliban der Regierung in Islamabad das Ultimatum, bis zum 4. Februar die von ihnen verlangten Forderungen zu erfüllen. Falls Islamabad sich weigern sollte, drohten sie mit der Hinrichtung der Geisel. Als die pakistanische Regierung am 4. Februar nicht reagierte, verlängerten die Entführer das Ultimatum um 48 Stunden und senkten sogar ihre Forderungen. Zum Schluss verlangten sie nur noch die Entlassung von vier inhaftierten Taliban. Nach ersten Angaben polnischer Medien bot die Regierung in Islamabad den Entführern lediglich nur Lösegeld an.
Streit um die Rolle der pakistanischen Regierung
Dabei schienen die Taliban sicher zu sein, dass die pakistanische Regierung ihre Forderungen erfüllen werde. Dies behaupten jedenfalls polnische Medien und berufen sich dabei auf pakistanische Quellen, die mit den Entführern bis zum Schluss in Kontakt gewesen sein sollen. Diese Berichte nähren in der polnischen Presse gleichzeitig die Diskussion nach der Rolle der Regierung in Islamabad. In Polen wird offen die Frage gestellt, ob die pakistanische Regierung, welche die Schlüsselrolle hatte, genügend unternommen hat, um das Schlimmste zu verhindern.
Als ein Beleg für diese Zweifel dient den polnischen Medien die Tatsache, dass die Entführung des polnischen Ingenieurs in Pakistan mit Gleichgültigkeit aufgenommen wurde. Eine Gleichgültigkeit, die aufgrund der allein 3.000 pakistanischen Entführungsopfer zu erklären ist. Gleichzeitig ist man sich in Polen aber auch bewusst, dass man in der Region nicht die nötige Rolle spielt, um von Islamabad mehr Engagement zu verlangen. Gleich mehrere polnische Zeitungen wiesen daraufhin, dass Polen, im Gegenzug zu den USA oder China, sowohl außenpolitisch als auch wirtschaftlich nicht die nötige Bedeutung in der Region habe, um genügend diplomatischen Druck auszuüben.
Doch Spekulationen, dass die pakistanische Regierung sich in dem Entführungsfall nicht besonders bemüht hat, ja, in ihn vielleicht auch verwickelt ist, nährt ausgerechnet auch das offizielle Warschau selber. "Der polnische Geheimdienst hat erstaunlich genau die Struktur der Bande beschrieben. Er kennt ihre Verwandten, er weiß wo ihre Anhänger und Freunde in der pakistanischen Regierung sind", erklärte der neue Justizminister Andrzej Czuma der polnischen Presse. Eine Aussage, die die pakistanische Botschaft in Polen sofort kritisierte.
Für diese Aussage wurde der seit Mitte Januar amtierende Justizminister aber nicht nur von pakistanischen Vertretern in Polen, sondern auch aus der eigenen Partei kritisiert. "Bei Czumas Aussage stehen einem die Haare zu Berge", sagte der Parlamentsabgeordnete der regierenden Bürgerplattform und Mitglied des parlamentarischen Ausschusses für die Spezialdienste, Pawel Gras, dem Fernsehsender TVN24. Eine Kritik, mit der Gras nicht alleine steht. Auch der ehemalige polnische Botschafter in Indien, Krzysztof Mroziewicz, äußerte sich kritisch über die Aussagen Czumas und wies auf diplomatische Verwicklungen hin, die diese zur Folge haben könnten.
Die polnische Regierung dagegen scheint auf der Seite des Justizministers zu stehen. Statt einer Entschuldigung von Czuma, fordert Warschau von der pakistanischen Regierung einen Bericht über ihre Bemühungen in dem Entführungsfall. Doch selbst wenn Islamabad kein großes Interesse an der Freilassung der polnischen Geisel gehabt haben sollte, diplomatische Konsequenzen sind mehr als unwahrscheinlich. Für Polen ist Pakistan der wichtigste Knotenpunkt bei der Versorgung der eigenen Truppen in Afghanistan.
Kritik wird auch an der polnischen Regierung geübt
Vor allem die von Donald Tusk am Freitag getätigte Aussage, "die polnische Regierung zahlt keine Lösegelder an Terroristen", wird zwischen der Oder und dem Bug heftig debattiert. Manche werfen Tusk gar vor, mit dieser Ankündigung schon im Voraus die Chancen für eine Freilassung der Geisel verringert zu haben. Die erzkatholische Tageszeitung Nasz Dziennik, Teil des Medienimperiums um Radio Maryja, ging sogar noch weiter und warf Tusk am Montag vor, durch diese Aussage für den Tod der polnischen Geisel verantwortlich zu sein.
Donald Tusk und seiner Regierung wird aber nicht nur die Lösegeld-Aussage zum Vorwurf gemacht, sondern auch eine angeblich zu späte Reaktion der Regierung. Kritiker werfen ihr vor, nicht alle diplomatischen, militärischen und geheimdienstlichen Mittel ausgenutzt zu haben, um Piotr Stancza zu befreien. Doch allein die militärische und geheimdienstliche Lösung wurde erschwert durch die Auflösung des militärischen Geheimdienstes WSI durch die Vorgängerregierung von Jaroslaw Kaczynski. Dies behaupten jedenfalls ehemalige WSI-Agenten, die darauf hinweisen, dass der WSI sehr gute Kontakte zu dem pakistanischen Geheimdienst pflegte.
Bei dieser innenpolitischen Kritik, die nach Meinung einiger Beobachter nichts anderes als ein "politischer Kampf auf Kosten des ermordeten Polen ist", ist es nicht besonders verwunderlich, dass mittlerweile auch personelle Konsequenzen gefordert werden. Vor allem Außenminister Radoslaw Sikorski geriet ins Visier der Kritiker. Grzegorz Napieralski, Vorsitzender des Bündnisses der Demokratischen Linken, verlangte am Montag gar den sofortigen Rücktritt des (des polnischen Chefdiplomaten.
Sikorski selber, der als ein möglicher Nachfolger des NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer gehandelt wird, ist sich jedoch keiner Schuld bewusst. Auf einer am Montag stattgefundenen Pressekonferenz kündigte er an, alle Dokumente des Außenministeriums, die die Entführung von Piotr Stancza betreffen, zugänglich zu machen, um so die Kritiker zum Schweigen zu bringen. Gleichzeitig kündigte er an, dass im Sejm sich eine Untersuchungskommission mit der Entführung befassen soll. Und erste Informationen über die Bemühungen der polnischen Regierung sind bereits am Montag an die Öffentlichkeit gelangt. Wie bekannt wurde, sollen die polnische und pakistanische Regierung unabhängig voneinander den Taliban ein Lösegeld angeboten haben, welches die Entführer jedoch ablehnten.
Mit der Entführung und Ermordung des aus dem südpolnischen Krosno stammenden Piotr Stancza soll sich aber nicht nur eine parlamentarische Untersuchungskommission befassen, sondern auch die für den Fall verantwortliche Krakauer Staatsanwaltschaft. Wie Sikorski gemeinsam mit Justizminister Czuma ankündigte, werde diese eine internationale Fahndungsliste veröffentlichen, damit die Mörder, die dem polnischen Geheimdienst namentlich bekannt sein sollen, für ihre Tat zur Verantwortung gezogen werden können. "Ich habe die Hoffnung, dass wir diese Banditen kriegen", sagte der Außenminister auf einer Pressekonferenz am Montag.
Doch diese von Sikorski demonstrierte Härte hat aber nicht nur innenpolitischen Charakter, sondern ist auch ein Signal nach außen. Mit dem Tod von Piotr Stancza ist den Polen bewusst geworden, dass auch sie in das Visier des internationalen Terrorismus geraten sind. Weitere Entführungs- und Todesopfer werden in Warschau aufgrund der polnischen Präsenz in Afghanistan mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen. Auch deshalb, weil Stancza auf seinem Hinrichtungsvideo gezwungen wird, den polnischen Afghanistan-Einsatz für seinen Tod mitverantwortlich zu machen.