Pornografie: Anschlag auf das Gehirn
Mit scheinbar neurowissenschaftlich begründeten Argumenten zieht Judith Reisman von der amerikanischen religiösen Rechten in den Krieg gegen die angeblich alle Kontrollen unterlaufenden und süchtig machenden pornografischen Bilder
Mediennutzung, zumal wenn sie regelmäßig und über lange Zeit geschieht, verändert zweifellos die Menschen und an erster Stelle deren Gehirn, wie alle anderen Erfahrungen oder Wahrnehmungen. Wie welche Medien und Medieninhalte konkret unter welchen Umständen welche Menschen beeinflussen, ist, wie die Medienwirkungsforschung zeigt, eine bislang kaum beantwortbare Frage, da hier zu viele Faktoren berücksichtigt werden müssen und das Phänomen zu komplex ist. Daher ist die Medienwirkung gern das Spielfeld von populistischen und grobschlächtigen Behauptungen. Die von Judith Reisman behaupteten Folgen von Pornografie für die Gehirne von Kindern und Erwachsenen gehören zu solchen politisch-moralisch getönten wissenschaftlichen Thesen der konservativen Rechten.
Judith Reisman, geb. 1935, ist wiedergeborene Christin, steht hinter der 1996 gegründeten Organisation mit dem vielsagenden Namen Restoring Social Virtue & Purity to America, bezeichnet sich als Präsidentin des Institute for Media Education, tritt gerne einmal bei Fox News auf und schreibt unter anderem für das rechte WorldNetDaily. Ihr Interesse ist, die Folgen der sexuellen Revolution – "anything goes" - wieder rückgängig zu machen. Daher passt ihre Ideologie genau in die konservative Revolution, mit der George W. Bush zum amerikanischen Präsidenten wurde. Bekannt wurde Reisman, nachdem sie Anfang der 80er Jahre dem Sexualforscher Kinsey vorgeworfen hat, seine Aussagen über die Sexualität seien durch wissenschaftlichen Betrug zustande kommen, überdies behauptet sie, dass für seine Untersuchungen über die kindliche Sexualität Pädophiler "Tausende von Kindern" sexuell missbraucht worden seien.
In Büchern wie "Images of Children, Crime and Violence in Playboy, Penthouse, and Hustler" (1986) oder "Soft Porn Plays Hardball" (1991) will sie belegen, welche "tragische Folgen" das Betrachten von pornografischen Bildern für "Frauen, Kinder und die Familie" besitzt. Die Medien werden unter anderem beschuldigt, die sexuelle Revolution zu verbreiten und Kinder zu Homosexuellen zu verführen, aber insgesamt führen sie auf allen Seiten und Bildschirmen einen Angriff auf die Gehirne der Menschen aus, um diese umzubauen.
Neuerdings argumentiert Reisman neurowissenschaftlich, beispielsweise in einem Artikel als "work in progress" mit dem Titel: The Psychopharmacology of Pictorial Pornography: Restructuring Brain, Mind & Memory & Subverting Freedom of Speech. In einem wilden Durchlauf durch alle irgendwie passenden Forschungsergebnisse hat sie hier Literatur und Zitate für ihre These zur Gefährlichkeit der Pornografie zusammen getragen (allerdings vergessen, dass es pornografische Darstellungen nicht erst seit den modernen Medien, Kinsey, Playboy etc. gibt). Pornografische Bilder würden nicht nur vom Gehirn als "Wirklichkeit" wahrgenommen, sondern sie würden auch durch Unterlaufen jeder bewussten Kontrolle ins Gedächtnis eingespeist und dort ihre schädliche Wirkung entfalten. Die Menschen werden zu wehrlosen Opfern dieses heimtückischen Anschlags. Um Übles zu verhindern, hat die Autorin ihren Aufsatz zwar ins Internet gestellt, aber nur für Erwachsene ("RESTRICTED TO ADULTS OVER AGE 18. SOME GRAPHIC IMAGES FROM MAINSTREAM PORNOGRAPHY"), obgleich es sich bei den gefährlichen Bilder nur um einige Cartoons und ansonsten bereits um von jeder Nacktheit bereinigte Fotos handelt.
Pornografische Bilder vernichten ebenso die Bedeutung und den Geist des "informed consent" wie die Fähigkeit des Gehirns, ungesundes Verhalten zu beobachten und zu korrigieren, wodurch das Recht dieser Bilder auf denselben gesetzlichen Schutz wie gedruckte Information untergraben wird.
Judith Reisman
Das ist natürlich eine interessante Verbindung: Weil die bewusste Kontrolle durch Porno-Bilder angeblich für Erwachsene und Kinder unterlaufen wird – nach US-Recht können Minderjährige sexuellen Handlungen nicht "informiert" oder qualifiziert zustimmen -, können die Hersteller oder Vertreiber sich nicht auf die von der Verfassung garantierte Meinungsfreiheit berufen. Zudem untergraben die Bilder die Ziele und Grundlage der Meinungsfreiheit, weswegen sie schon aus diesem Grund verboten werden müssten (was allerdings nach der Theorie von Reisman im Prinzip für alle Bilder im Unterschied zu Gesprochenem oder Geschriebenem gelten müsste).
Dass die Wahrnehmung von pornografischen Bildern zu einer physischen Veränderung des Gehirns, was beispielsweise die Aktivität von Neuronen oder von deren Verknüpfungen betrifft, ist banal und sagt noch nichts über deren Wirkung auf das Verhalten aus. Gleichwohl bezeichnet Reisman diese Bilder deswegen als "soziales Gift" oder "Gehirnsabotage", die in großem Umfang wirkt: "restructuring the national brain". Auch Gehirnscans mit PET oder fMRI führen hier nicht weiter, wie Reisman suggeriert. Bei einer Anhörung vor einem Senatsausschuss Ende des letzten Jahres forderte sie denn auch, dass die von ihr behaupteten "psychopharmakologischen" Auswirkungen auf die Gehirne insbesondere von Kindern mit der Durchführung von Gehirnscans geprüft werden sollten. Auf dieser Grundlage könnten dann Gesetze zum Verbot von Pornografie durchgesetzt und ähnliche Schadensersatzklagen wie gegen die Tabakindustrie betrieben werden.
Reisman fordert aber auch über die Lighted Candle Society zur Spende von Geld auf, um ihre These wissenschaftlich mit fMRI-Bildern untermauern zu können, dass "das Betrachten von pornografischen Bildern der 'kausale Grund' ist, der einen Menschen dazu führt, ein Kind oder ein anderes Opfer sexuell zu missbrauchen". Bewiesen werden soll, dass pornografische Bilder dem Gehirn die Möglichkeit verwehren, sich durch die "Aufrechterhaltung von Inhibitoren" gegen diese zu wehren. Und mit den Gehirnscans ließen sich auch die durch den Konsum von pornografischen Bildern entstehenden "Gehirnschädigungen" zeigen.
Das Hauptargument der Kämpferin wider die sexuelle Verführung ist, dass pornografische Bilder die bewusste Kontrolle unterlaufen, selbst noch im Schlaf wirken und wie Rauschgift die Menschen süchtig machen. Das Betrachten führe nämlich dazu, dass – so ihre begriffliche Neuschöpfung - "Erotoxine" im Gehirn ausgeschüttet würden. Das seien "bewusstseinsverändernde Drogen, die das Gehirn selbst herstellt". Es handelt sich dabei um Testosteron, Oxytocin, Dopamin und Serotonin", schlicht um "unzählige Arten von inneren, natürlichen Drogen, die das 'High' von Straßendrogen imitieren". Reisman betont:
Pornography is not like a drug, it is an endogenously processed poly drug providing intense, although misleading, sensory rewards.
So überschwemmen irgendwelche "Kampf-oder-Flucht-Sexhormone" das Gehirn, die die Abgabe weiterer erregender Transmitter verursachen, unwillkürliche Reaktionen auslösen und die sexuelle Lust mit intensiven Gefühlen wie Furcht, Scham oder Gewalt überlagern. Während die rechte, emotionale Gehirnhälfte angesprochen wird, unterdrücken die Bilder die linke, rationale Gehirnhälfte. Diesem Hexenkessel ausgeliefert und dem Schalten und Walten des stimulierten limbischen Systems anheim gegeben werden bei den Betrachtern "mediale erotische Fantasien" tief im Unbewussten verankert, was dann nicht nur zur Sucht nach weiteren Bildern führt, sondern durch Lernen und Nachahmung vor allem auch zu Sexualverbrechen und Pädophilie. Leiden müssten darunter besonders die Frauen und Kinder.
Die Einfallstüre für die Sucht ist die Aufmerksamkeit, die unwillkürlich von Bildern geweckt wird, je neuer, grotesker und abartiger, desto stärker, weil damit auch Angst oder andere Erregungen ausgelöst würden. Man muss also die Bilder verbannen, um die Menschen sexuell sittlich zu halten und zu gewährleisten, dass sie überhaupt in der Lage sind, vernünftig ihr Recht auf Meinungsfreiheit auszuüben. Die Absurdität ihrer These hat Mark Pilkington kürzlich im Guardian deutlich gemacht:
But there's a catch. Much of Reisman's research in developing her theory has necessitated examining hundreds, perhaps thousands, of pornographic magazines and films. By her own reasoning her brain ought, by now, to be a seething mass of toxic smutmulch ...