Postcolonial Studies: Die Rechten im Aufschwung

Archivbild: Anti-Israel-Protest, Washington, DC, 2017. Foto: Ted Eytan / CC BY-SA 2.0 Deed

Kulturkampf: Anti-Israel-Proteste an US-Elite-Universitäten und der Vorwurf einer modischen Ideologie der "Entkolonialisierung". Die Linke ist in der Defensive. Warum das nicht so sein muss.

In den USA offenbart der Krieg zwischen Israel und der Hamas eine tiefe Kluft zwischen dem demokratischen Establishment und den progressiveren Anhängern der Partei. Biden verliert seit Beginn des Krieges in den Umfragen.

Plötzlich scheint laut einer Umfrage in den Swing States eine erneute Trump-Präsidentschaft möglich.

So ist der Kriegsdiskurs in den USA längst auch zu einem Kulturkampfthema geworden, von dem vor allem die politische Rechte profitiert.

Der Zeitgeist, die Demokraten und die Unis

Und nicht nur die Demokratische Partei ist unfähig, auf den Zeitgeist zu reagieren. Kaum irgendwo scheint die liberale Presse bei aller Meinungsvielfalt so weit von der oft studentischen Linken entfernt zu sein wie in den USA.

Die Proteste an den Ivy-League-Universitäten lassen die Befürworter der Bildungseinrichtung aufschrecken. Vor allem, wenn es wie in Harvard zu offenen Erklärungen der Studentenschaft kommt, die Israel die "alleinige Schuld" am Krieg in Gaza gibt.

Die etablierten liberalen Medien in den USA scheinen eine klare Linie zu verfolgen, die mehr oder weniger mit der des Außenministeriums übereinstimmt.

Medien sprechen von "fehlgeleiteter Debatte"

Dem steht eine jüngere Öffentlichkeit gegenüber, deren Israelkritik zumindest teilweise als Reaktion auf die oft zu einseitige Berichterstattung der etablierten, traditionellen Medienhäuser verstanden werden kann. Diese wiederum tun die pro-palästinensischen Proteste als Auswüchse einer fehlgeleiteten Dekolonisierungsdebatte ab.

Im Atlantic äußert Simon Sebag Montefiore sein Unverständnis über einige der studentischen Proteste auf den Campi der Ivy-League-Universitäten:

Wie können gebildete Menschen eine solche Gefühllosigkeit rechtfertigen und eine solche Unmenschlichkeit gutheißen?

Hier ist alles Mögliche im Spiel, aber ein Großteil der Rechtfertigung für die Tötung von Zivilisten beruht auf einer modischen Ideologie, der "Entkolonialisierung", die, wenn man sie für bare Münze nimmt, die Verhandlung zweier Staaten ausschließt – die einzige wirkliche Lösung für diesen Jahrhundertkonflikt – und die ebenso gefährlich wie falsch ist.

Simon Sebag Montefiore

Der Autor kritisiert hier vor allem eine vereinfachte linke Kritik, die in Kolonisatoren und Kolonisierte unterteilt. Ein Bild, das der Situation in Israel und Palästina schon deshalb nicht gerecht wird, weil es die Rolle der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien und die der USA vereinfacht.

Dekolonisierung als modische Ideologie?

Es ist riskant, Dekolonisierung als modische Ideologie abzutun, denn dahinter steht das weite akademische Feld der Postcolonial Studies, das zwar manchmal seltsame Blüten treibt, aber unbestreitbar seinen Platz in der akademischen Welt der USA hat.

Vielleicht ist es die alte Sehnsucht nach einer internationalen Linken, die zur Popularität der postkolonialen Theorie beiträgt. Wie einst der Marxismus, so birgt auch die postkoloniale Theorie in den Augen ihrer Anhänger das Potenzial, aus einer intersektionalen Perspektive Macht und Unterdrückungsverhältnisse zu kritisieren, die an unterschiedliche Identitäten gebunden sind.

Eine solche intersektionale Kritik an bestehenden Herrschaftsverhältnissen birgt, so zumindest die Hoffnung, ein echtes Potenzial für klassen- und identitätsübergreifende antihegemoniale Bewegungen und damit für nachhaltige systematische gesellschaftspolitische Veränderungen.

Der inhärente Anspruch der Postcolonial Studies ist eine umfassende Kritik an einem durch die Kolonialisierung geprägten eurozentristischen Weltbild, das bis heute unser Verständnis von "Race, Gender, Class" prägt. Und damit die Unterdrückung dieser marginalisierten Gruppen organisiert.

Ob die Postkoloniale Theorie dem von einigen ihrer Anhänger erhobenen Anspruch, alle bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse zu beschreiben, wirklich gerecht wird, darüber lässt sich streiten. Genauso wie immer wieder diskutiert werden muss, inwieweit eine materialistische Kritik dafür ausreicht.

Kritisches Verständnis der Herrschaft

Was die Postkoloniale Theorie, die Queer Studies und der Neomarxismus Gramscis jedoch gemeinsam haben, ist ein kritisches Verständnis eines hegemonialen Systems, das Diskurse bestimmt und formt und damit das Feld des erlaubten politischen Handelns absteckt.

Die etablierten US-Medien haben den Anspruch, die öffentliche Meinung in den USA nach Belieben zu beeinflussen - egal wie übertrieben und lächerlich die öffentliche Selbstinszenierung auch sein mag. Kein Wunder, dass diese Medien es derzeit schwer haben, die Menschen auf der Straße zu erreichen.

Die intellektuelle Linke in den USA hingegen ist vielleicht zu sehr darauf fixiert, dieses Spiel zu durchschauen, und nimmt eine reine Gegenposition zu den traditionellen Medien ein. Das Ergebnis ist eine klaffende Lücke zwischen denen, die sich als Meinungsmacher verstehen, und denen, deren Aktivismus zumindest teilweise eine Kritik an der liberalen Hegemonie ist.

Das Problem der Liberalen ist, dass ihre bestehende Hegemonie nicht mehr ausreicht, um den linksliberalen Diskurs vollständig zu bestimmen. Für die Demokraten könnte sich dieser Verlust der Deutungshoheit als politische Katastrophe erweisen, wie Bidens Umfragewerte zeigen.

Doch die Rechte in den USA weiß, wo sie steht: auf dem Schlachtfeld der Metapolitik. Wie die New York Times berichtet, ist es einmal mehr Gouverneur Ron DeSantis, der der kulturkämpferischen Rhetorik Taten folgen lässt.

Auf Anweisung von Gouverneur Ron DeSantis hat Florida auch die Schließung von Ortsgruppen der Studierenden für Gerechtigkeit in Palästina an staatlichen Universitäten angeordnet. Unter Berufung auf dasselbe Instrumentarium sagte DeSantis: "Das ist materielle Unterstützung des Terrorismus, und das wird im Staat Florida nicht toleriert, und es sollte in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht toleriert werden.

Aufspaltung der Linken

Es scheint fast so, als hätten die reaktionären Kräfte ein besonderes Interesse daran, den Nahost-Konflikt zu Hause als politischen Grabenkampf zwischen rechten und linken politischen Lagern auszutragen. Politisch kann eine solche Verhärtung der Fronten den Republikanern nur nützen.

Denn das liberale Establishment und die progressive Linke in den USA scheinen durch den Nahost-Konflikt noch mehr als zuvor voneinander getrennt.

Israel-Unterstützung

Aber auch den Menschen in Israel ist nicht geholfen, wenn das Existenzrecht ihres Staates immer mehr ausschließlich an eine von Washington, London, Paris und Berlin verwaltete, aber inzwischen bröckelnde Hegemonialordnung gebunden wird.

Die israelfreundliche Haltung der Rechten in den USA erscheint noch zynischer, wenn man bedenkt, wie sehr die Ideologie der breiteren politischen Bewegung dort von antisemitischen Verschwörungstheorien durchdrungen ist.

Die Unterstützung der evangelikal dominierten Religious Right gründet keineswegs auf echter Sorge um Israelis und/oder Jüdinnen.

Für die Evangelikalen ist eine vollständige Rückkehr des jüdischen Volkes nach Israel notwendig, um die Wiederkunft Christi, die Verdammnis und das Ende aller Tage einzuleiten. Das bedeutet aber nicht, so die Meinung eines Großteils der Evangelikalen in den USA, dass sie am Ende aller Tage mit in den Himmel auffahren.

Antisemitismus bei den Rechtskonservativen

Diese Überzeugung spiegelt die Haltung der Rechtskonservativen in den USA wider. Antisemitismus ist für sie kein Problem, sondern Mittel zum Zweck - eine Waffe gegen politische Gegner und Minderheiten.

Die Demokraten sind wie immer hilflos und spulen, bestärkt durch die Berichterstattung vieler etablierter Medien und ohne Bezug zu ihrer einstigen Basis, ein Programm ab, das die Meinungsverschiebungen in der amerikanischen Gesellschaft weitgehend ignoriert.

Diese Ignoranz bestärkt Teile der US-amerikanischen Linken in ihrem Gefühl, sich in einem internationalen Kampf gegen die kulturelle und politische Hegemonie der ehemaligen Kolonialmächte zu befinden, der entlang altbekannter Unterdrückungsmuster verläuft.