Postdemokratie mit Schutzherrin

Seite 2: Was "Post" bedeuten kann, in Sachen Demokratie

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Den Begriff hat der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch geprägt: "Post-Democracy". Er hat seitdem Karriere gemacht, auch deshalb, weil er vielfältig ausgedeutet werden kann. Heißt "Nach", dass man sich von demokratischen Politikidealen zu verabschieden hat? Oder handelt es sich um eine andere Version von Demokratie, die überkommene Ausformungen und Ansprüche hinter sich lässt?

Crouch beschreibt folgende Neuerungen im Politiksystem: Privilegierte wirtschaftliche Eliten übernehmen die Steuerung der Gesellschaft, sie bleiben aber auf Legitimation durch die Bürgerinnen und Bürger angewiesen; Wahlen für die politische Administration behalten ihre Funktion, der öffentliche Diskurs über das "Gemeinwohl" findet weiter statt. Er sieht Chancen, diesen durch zivilgesellschaftliche Initiativen zu vitalisieren.

Eine solche Gesellschaftsform lässt sich anders benennen, etwa: Der Kapitalismus entledigt sich der Risiken, die für ihn mit Volkssouveränität verbunden sind, aber er duldet Mitverwaltung, auch öffentliche Meinungsbildung über seine Erfolgsträchtigkeit. So betrachtet, ist die Bundesrepublik derzeit ein Musterfall von Postdemokratie. Bleibt das so? Das hängt davon ab, ob Konflikte der sozialen Klassen weiterhin stillgelegt werden können.

Der Status quo - ohne Garantie

Die Bundeskanzlerin ist für die Mehrheit der Deutschen eine Vertrauensperson, ihre Performance hat etwas Beruhigendes. Der Eindruck von Stabilität, den die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik vermitteln, ist nicht zuletzt den Verhaltensweisen und den Regierungstechniken von Angela Merkel zuzuschreiben.

Sie selbst sagt von sich, sie fahre in ihrer Politik "auf Sicht". Oder schiebt sie die von ihr selbst erwähnten "großen Aufgaben" vor sich her? Hat sie diese vielleicht gar nicht im Blick, eben weil ihre Perspektive kurzsichtig ist?

Berthold Kohler, Mitherausgeber der F.A.Z., kennzeichnet die Bundeskanzlerin als "Schutzherrin des Status quo". Aber die Gesellschaft der Bundesrepublik wird nicht in dem Zustand verbleiben, in dem sie sich jetzt befindet. Die Geschichte, auch die deutsche, geht weiter. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass der Problemdruck zunehmen wird. Eine politische Patronin kann davor nicht bewahren, sie hat keine überirdischen Fähigkeiten.

Die Bundesrepublik vom Typ Merkelland, so ist zu vermuten, wird sich in der deutschen Historie als eine Episode herausstellen.

Dr. Arno Klönne, em. Professor für Sozialwissenschaften, Buchveröffentlichungen u.a. über die Sozialstruktur der Bundesrepublik, das "Dritte Reich" und die Geschichte der Arbeiterbewegung. Mitherausgeber der Zweiwochenschrift "Ossietzky".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.