Präsident und Dealmaker

Trump über dem Weißen Haus, Folge 2

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Teil 1: "America will rise again": Trump über dem Weißen Haus

Der zweite Teil dieser Geschichte über einen (fiktiven) Diktator im Weißen Haus gibt Antworten auf folgende Fragen: Wie bringt man die zahlungsunwilligen Europäer dazu, selbst für die Verteidigungskosten aufzukommen, statt dem amerikanischen Steuerzahler auf der Tasche zu liegen? - Warum trägt der US-Botschafter in Athen kurze Hosen? - Und, last but not least: Wie installiert man die Geliebte des Präsidenten im Weißen Haus, obwohl es der Zensor verboten hat?

Dr. James Wingate, als Chef des Studio Relations Department (SRD) der Statthalter von Will Hays in Hollywood, war so wenig zu beneiden wie sein Vorgänger, Colonel Jason Joy, der entnervt aufgegeben hatte. Als Wingate im Oktober 1932 seinen neuen Posten antrat wurde er gleich mit den Plänen der Paramount konfrontiert, Diamond Lil zu verfilmen, das Stück, mit dem Mae West am Broadway ein überwältigender Publikumserfolg gelungen war. Auch die Kritiker waren durchaus angetan gewesen. Übertragen auf die vom Production Code regulierte Leinwand jedoch war sogar die veränderte und abgemilderte Version ein Skandal.

Von Diamond Lil zur Bonus-Armee

Diamond Lil ist Sängerin in einem Saloon im San Francisco vor dem großen Erdbeben und kennt sehr viele Männer (und womöglich Frauen) sehr persönlich. In der Filmversion, She Done Him Wrong, musste sie Lady Lou heißen, um die Erinnerung an das Stück zu tilgen. Cary Grant will einen Mädchenhändlerring ausheben und kommt als Undercover-Polizist in den Saloon. Einmal treffen sich West und Grant, um zwei berühmt gewordene Sätze auszutauschen. "Hast du nie einen Mann getroffen, der dich glücklich machen kann?", fragt der Polizist. "Klar", antwortet Lady Lou, "schon ganz oft." Wenn der Polizist die Sängerin verhaftet wirkt das auch nicht unbedingt wie eine Bestrafung.

Pater Daniel Lord protestierte wieder, weil der Film gegen den Moralkodex verstieß, mit dem er sich solche Mühe gegeben hatte. Hays räumte ein, dass She Done Him Wrong viel von dem enthalte, was auch ihm Sorge bereite. Das Publikum kam in Scharen. She Done Him Wrong soll die Paramount vor der Pleite gerettet haben. Geld war ein hervorragendes Argument. Das Management teilte Hays mit, dass es für das Überleben der Paramount unerlässlich sei, sofort eine Fortsetzung nachzuschieben, das Mae-West-Vehikel I’m No Angel. Für Hays’ Botschafter in Hollywood war das nur eines unter vielen Problemen.

She Done Him Wrong

Im Januar 1933 flatterte Dr. Wingate das von Wilson, Wanger und Hearst verfasste Drehbuch zu Gabriel Over the White House auf den Tisch. Er las und war perplex. Da kam zwar irgendwie ein Engel vor, aber primär ging es doch um einen Präsidenten, der seine Geliebte im Weißen Haus als Privatsekretärin installiert und dann den Kongress, eine unnütze Debattierbude für Parteisoldaten, Egoisten und blöde Trottel, in den Urlaub schickt, um als Diktator das Gangstertum und die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Nicht nur, dass Wingate die Geschichte ziemlich faschistoid vorkam, das war auch ein Anschlag auf zwei von drei geheiligten Säulen des Systems, Regierung und Familie.

Vor Wingates geistigem Auge tat sich eine breite Palette mit möglichen Konsequenzen auf. Irving Thalberg und Louis B. Mayer von der MGM warnte er davor, dass sich die Republikaner beleidigt fühlen könnten, und der Kongress ganz generell. Die Abgeordneten könnten sich revanchieren wollen und Gesetze zum Nachteil der Filmindustrie erlassen. Gabriel Over the White House sei ein "gefährlicher Stoff" (16.2.1933). Vorher hatte Wingate an Hays geschrieben, um ihn auf das vorzubereiten, was da schon wieder in der Planung war.

Ein Stein des Anstoßes war der Marsch der Arbeitslosen nach Washington. Den Zensoren war das viel zu nah an der Realität. Vorbild war die "Bonus Army", durch die im Sommer 1932 Ängste vor einer kommunistischen Revolution befeuert worden waren, aber auch vor einem Staatsstreich durch das Militär. 1924 hatte der Kongress ein Gesetz verabschiedet, dem zufolge Veteranen des Ersten Weltkriegs eine nach Länge und Ort des Militärdiensts gestaffelte Bonuszahlung bis maximal 625 Dollar erhalten sollten. Beträge über 50 Dollar wurden in Form von Berechtigungsscheinen ausgezahlt, die erst 20 Jahre später einlösbar sein sollten, also 1945.

Veteranen, die in der Großen Depression arbeitslos geworden waren, forderten die sofortige Auszahlung. Präsident Hoovers oberstes Ziel war aber die Haushaltskonsolidierung. Er lehnte das Ansinnen mit der Begründung ab, dass ein Einlösen der Scheine den Staatshaushalt zu sehr belasten und die wirtschaftliche Erholung des Landes gefährden würde. Daraufhin marschierten 17.000 Veteranen (viele von ihnen bewaffnet) mit Familienangehörigen und Sympathisanten (insgesamt sollen es rund 43.000 Menschen gewesen sein) nach Washington, um ihrer Forderung größeren Nachdruck zu verleihen.

Volksgewissen

Die Bonus-Marschierer campierten in einiger Entfernung vom Regierungsviertel in Washington, in einem Sumpfgebiet beim Anacostia River. Dort legten sie etwas an, das Zeltstadt zu nennen ein Euphemismus wäre, weil das Lager überwiegend aus Materialien bestand, welche die Demonstranten auf einer Mülldeponie gefunden hatten. Alles war militärisch straff organisiert, aber es gab wohl auch Übergriffe und kleinere Raubzüge durch die Umgebung, da die Menschen von etwas leben mussten.

Lager der Bonus-Marschierer

Am 28. Juli 1932 wies der Generalstaatsanwalt die Polizei an, das Lager zu räumen (in William Wellmans Wild Boys of the Road wird das nachgestellt, in kleinerem Rahmen und mit obdachlosen Jugendlichen anstelle der Veteranen). Die Polizei konnte wenig ausrichten, schoss aber auf die Bonus-Marschierer und tötete zwei von ihnen. Hoover wies nun General Douglas MacArthur an, die Lage mit Hilfe von Kavallerie und Infanterie unter Kontrolle zu bringen. Zu den dem General unterstellten Offizieren gehörten Dwight D. Eisenhower, im Zweiten Weltkrieg Oberkommandierender der Alliierten Streitkräfte in Europa und dann 34. US-Präsident und George S. Patton, das Enfant terrible der US-Armee.

Wild Boys of the Road

MacArthur ließ das Lager angreifen, was er damit begründete, dass er die Gefahr eines von Kommunisten initiierten Aufstandes gesehen habe. Als Hoover davon erfuhr wies er den damals schon selbstherrlich agierenden General an, damit aufzuhören. MacArthur ignorierte den Befehl und ließ erneut angreifen. Am Ende gab es mindestens 55 verletzte Zivilisten, möglicherweise auch sehr viel mehr, sowie zahlreiche Festnahmen. Eine Frau erlitt eine Fehlgeburt. Ein Säugling starb im Krankenhaus, wahrscheinlich als Folge des Einsatzes von Tränengas.

Präsident Hoover

Hoover weigerte sich, disziplinarische Maßnahmen gegen MacArthur zu ergreifen (das erledigte erst Harry S. Truman im Koreakrieg, als er den General in den Ruhestand versetzte, weil er wieder einmal die Autorität des Präsidenten nicht anerkannt hatte). Danach stand er als der Mann da, der dafür verantwortlich war, dass amerikanische Soldaten mit Bajonetten und Tränengas gegen amerikanische Veteranen vorgegangen waren. In Washington wurde geraunt, dass er auf ein Disziplinarverfahren gegen MacArthur verzichtet habe, weil er sich vor ihm fürchtete.

Douglas MacArthur

Roosevelt machte sich im Wahlkampf über den Präsidenten lustig, dessen Inneres aus Gelee bestehe. Jud Hammond in Gabriel Over the White House ist da ganz anders. Die Bonus-Armee heißt im Film "Armee der Arbeitslosen". Als Brooks, sein Secretary of State, darauf besteht, die Armee gegen die Arbeitslosen einzusetzen, wird er vom Präsidenten gefeuert. "Meine Herren", sagt er zu den verdutzten Ministern, "ich schlage vor, dass Sie die Verfassung der Vereinigten Staaten lesen. Sie werden feststellen, dass der Präsident einige Macht hat."

Gabriel Over the White House

Der Presse gegenüber führt er aus, dass er Brooks entlassen habe, weil dieser "ein altmodischer Politiker" sei. Jetzt brechen neue Zeiten an. Der Präsident orientiert sich nicht mehr an Gesetzen, sondern an etwas, das er "öffentliches Gewissen" nennt, oder vielleicht auch "Volksgewissen" ("public conscience"): "Dieses Kabinett, jedes Mitglied des Kongresses, jeder Amtsinhaber ist direkt dem öffentlichen Gewissen gegenüber verantwortlich." Der Rechtsstaat kann damit zu den Akten. Was das "öffentliche Gewissen" ist bestimmt der Präsident ganz allein.

Gangster und Generäle

Da dem Publikum die Diktatur schmackhaft gemacht werden soll tut der Präsident natürlich nur, was gut und richtig ist. Hammond befiehlt dem Kriegsminister, die Arbeitslosen mit Essen, Medikamenten und Zelten zu versorgen, statt auf sie zu schießen und gewaltsam ihr Lager aufzulösen. Im Ersten Weltkrieg, sagt er, habe man Tonnen von Nahrungsmitteln an hungernde Russen, Chinesen und Belgier gegeben. So etwas müsse auch für Amerikaner möglich sein. (Belgien ist übrigens ein Land in Europa, auch wenn es Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Atlanta zur - immerhin - "beautiful city" schrumpfte.)

Das klingt erst mal gut, hat aber seine Tücken. Der Film teilt mehrfach mit, dass es den Amerikanern viel besser gehen würde, wenn sie sich zuerst um sich selbst und nicht um die anderen kümmern würden. Im Populismus ist das ein beliebtes Mittel. Die anderen sind schuld, die Ausländer vorzugsweise. Wer das mag sollte berücksichtigen, dass solche Welterklärungsmodelle darauf beruhen, einzelne Gruppen gegeneinander auszuspielen. Das hört dann nie mehr auf. Ehe man es sich versieht ist man selbst einer von den Schuldigen.

In Gabriel Over the White House sind es die Europäer, die korrupten Eliten und die Gangster, deretwegen die Welt im Argen liegt und das Volk hungern muss. Über die herausgehobene Bedeutung der Gangster wundert man sich ein bisschen. Die abgesetzten Minister versuchen, gegen den Präsidenten zu konspirieren, doch sein gefährlichster Gegenspieler ist ein Mafioso namens Nick Diamond. Der Darsteller, C. Henry Gordon, könnte einen guten Doppelgänger von Al Capone abgeben, wenn er fülliger wäre.

Gabriel Over the White House

Seinen Namen verdankt der Gangster dem legendären Jack "Legs" Diamond, auch als "Gentleman Jack" bekannt, der nicht mehr klagen konnte, weil er im Dezember 1931 erschossen worden war (der beste Film dazu ist The Rise and Fall of Legs Diamond von Budd Boetticher). Das macht schon klar, dass es da einen starken kommerziellen Aspekt gab. Mit Gangstern und Maschinenpistolen ließ sich die Geschichte aufpeppen und der Gefahr vorbeugen, dass Gabriel Over the White House zum politischen Seminar geriet.

Die Bekämpfung der organisierten Kriminalität - oder besser: das Versagen des Präsidenten Hoover auf diesem Gebiet - war ein Lieblingsthema der Hearst-Presse. Ganz uneigennützig war das nicht. Mit Sensationsreportagen über brutale Gangster ließ sich prächtig die Auflage steigern. Vorwürfen, er verherrliche aus Profitgier das Verbrechen, begegnete Hearst, indem er auch Berichte über edle Polizisten drucken ließ, die außer mit den Gangstern auch mit einem korrupten System und mit den Folgen falscher politischer Entscheidungen zu kämpfen hatten.

Im Gefolge der Zensurdebatte der frühen 1930er wurden die Stimmen immer lauter, die ein generelles Verbot des Gangsterfilms forderten. Hollywood reagierte mit Filmen, die den Spieß umdrehten, das erfolgreiche Erzählmuster aber beibehielten. Aus Gangstern wurden Polizisten. Der Prototyp ist The Beast of the City, eine Cosmopolitan-Produktion von 1932. Walter Huston spielt einen Polizeichef, der sich nicht viel mehr um die Gesetze schert als die Verbrecher und mindestens so brutal und rücksichtslos ist wie diese, aber natürlich um der guten Sache willen.

Gabriel Over the White House

Wie Huston als Präsident Hammond in Gabriel Over the White House den Gangstern das Handwerk legt werden wir noch sehen (im dritten Teil). Vorerst hat er es mit seinem Kriegsminister und mit einem General zu tun (man darf da an MacArthur denken), die wollen, dass das Militär gegen die "Armee der Arbeitslosen" ausrückt. Hammond verbietet das. Auf die Demonstranten schießen dann die Leute von Nick Diamond. Man könnte fast auf die Idee kommen, dass der General auch einer von den Gangstern ist, oder doch wie einer handeln würde, wenn es einen weniger starken Präsidenten gäbe.

Die Verbrecher und nicht die Armee auf John Bronson schießen zu lassen, den Führer der Arbeitslosen, war auch ein Ausweg aus dem Dilemma, dass Hays niemals eine Szene erlaubt hätte wie die vom Juli 1932, als MacArthur Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett gegen vermeintliche Kommunisten ins Feld schickte und Frauen und Kinder mit Tränengas bekämpfte.

Gefährliche Geistesverfassung

Für die Zensoren war das Problem mit dem Protestmarsch damit nicht gelöst. "Sollte es die Industrie in diesen schwierigen Zeiten den Studios erlauben", fragte Wingate in einem Brief an Hays (30.1.), "Filme zu machen, in denen große Gruppen von in Not geratenen, unzufriedenen oder arbeitslosen Leuten in einer gegen die Regierung gerichteten Geistesverfassung massenweise nach Washington gehen, um Gerechtigkeit zu verlangen?" Es sei damit zu rechnen, dass solche Filme das Vertrauen der Bürger in die Regierung noch mehr untergraben und sich "Radikale und die Kommunisten" dadurch ermutigt fühlen würden.

Gabriel Over the White House

Anfang März ließ sich der echte Präsident, Franklin D. Roosevelt, einen Rohschnitt des Films nach Washington schicken. Anschließend hatte er Änderungswünsche, die offenbar alle eingearbeitet wurden. Auf Vorschlag von FDR marschiert die Armee der Arbeitslosen jetzt nach Baltimore und nicht nach Washington. Secretary of State Brooks warnt davor, dass der Pöbel plötzlich im Regierungsviertel stehen und das Weiße Haus und das Kapitol stürmen könnte. Baltimore war anscheinend weit genug weg von der Hauptstadt, um dieses Szenario nicht mehr so beunruhigend wirken zu lassen, dass man es komplett hätte entfernen müssen.

Die Geistesverfassung amerikanischer Arbeitsloser war längst nicht alles, um das sich Hays mit seinen Leuten kümmern musste. Zu seinem Job gehörte es, das große Ganze im Blick zu behalten. Deshalb tat sich gleich die nächste Baustelle auf. Präsident Hammond will Europa zur Schuldentilgung zwingen. In den USA war das ein Reizthema. Der Sachverhalt ist unübersichtlich. Ausgangspunkt war der Erste Weltkrieg. Die Mehrzahl der alliierten Siegerländer musste sich Geld leihen (insgesamt weit über 20 Milliarden Dollar), um das gegenseitige Abschlachten finanzieren zu können. Geberländer waren die USA und Großbritannien, das wiederum Kredite bei den Amerikanern aufnahm. Nach dem Krieg gab es Streit.

Die russischen Revolutionäre weigerten sich, die Schulden des Zarenreichs zu begleichen. Die anderen Staaten betrieben Nullsummenspiele, die nicht richtig funktionierten. Länder wie Frankreich wollten nur zahlen, was sie umgekehrt an Reparationen erhielten, zu denen sich Deutschland im Vertrag von Versailles verpflichtet hatte. Da Deutschland Pleite war erhielten die USA und Großbritannien nichts zurück. Für die Amerikaner war das doppelt ärgerlich, weil auch die Briten bei ihnen in der Kreide standen. Die Briten erklärten, nur soviel von den Deutschen und von den alliierten Siegermächten einfordern zu wollen, wie sie selbst an die Amerikaner zahlten.

Die USA hatten den Versailler Vertrag zwar unterschrieben, doch 1920 weigerte sich der Kongress, ihn zu ratifizieren. Eine Verknüpfung von Kriegsschulden und Reparationen lehnten die Amerikaner danach ab. Das machte alles noch komplizierter. 1924 einigte man sich auf einen vom späteren Friedensnobelpreisträger und US-Vizepräsidenten Charles G. Dawes erdachten Plan, der vorsah, dass sich die Höhe der deutschen Reparationszahlungen Jahr für Jahr an der Wirtschafts- und Stabilitätsentwicklung der Weimarer Republik orientieren sollten. Außerdem enthielt der Dawes-Plan ein Instrumentarium zur Vergabe von Krediten an deutsche Unternehmen.

Charles G. Dawes

Deutschland war nun vorerst in der Lage, Reparationen zu leisten, die Alliierten zahlten einen Teil ihrer Schulden bei den USA ab. Dann kam die Weltwirtschaftskrise, mit der die amerikanische Regierung auch deshalb sehr schlecht umgehen konnte, weil Herbert Hoover den Fehler gemacht hatte, den Banker Andrew Mellon als Finanzminister in sein Kabinett zu holen. Mellon dachte, dass man ein von der Krise erfasstes Land wie ein Geldhaus managen könne. Damit machte er alles nur noch schlimmer.

Hoover selbst, US-Präsident von 1929 bis 1933, saß nicht nur untätig im Weißen Haus herum oder sagte Plattitüden auf, auch wenn das oft so dargestellt wird. Hin und wieder versuchte er etwas. Er hatte nur kein Glück dabei. Eine richtig schlechte Idee war die, 1930 den Smoot-Hawley Tariff Act zu unterzeichnen, benannt nach seinen Initiatoren: Senator Reed Smoot aus Utah und Willis C. Hawley, einem Mitglied des Repräsentantenhauses aus Oregon.

Schuldenschnitt

Smoot-Hawley sah das Heil darin, die amerikanische Wirtschaft durch protektionistische Maßnahmen vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Etwas in der Art plant der vom Wirtschaftsprofessor Peter Navarro inspirierte Donald Trump. Navarro ist der Autor mehrerer Bücher, in denen er vor der chinesischen Gefahr warnt. Death by China: Confronting the Dragon gibt es auch als Film, den man mal gesehen haben sollte, wenn man eine Ahnung davon kriegen will, was Trump - vermutlich - so denkt. Als Off-Stimme hat Navarro Martin Sheen angeheuert, von 1999 bis 2006 Fernsehpräsident (The West Wing).

Smoot und Hawley

Der President-elect Trump hat angekündigt, chinesische Importe mit drastischen Strafzöllen zu belegen und die aus anderen Ländern ebenso, weil das zum Besten der amerikanischen Industrie und des amerikanischen Arbeiters sei. Falls das Programm ähnlich erfolgreich sein sollte wie Smoot-Hawley wird sich der amerikanische Arbeiter warm anziehen müssen. 1930 wurden die US-Einfuhrzölle auf mehr als 20.000 Produkte stark angehoben. Andere Länder reagierten mit Vergeltungsmaßnahmen und erhöhten ihrerseits die Einfuhrzölle auf amerikanische Produkte. Allerorten gab es Boykottaufrufe.

Nach einem kurzen Strohfeuer (in den Vereinigten Staaten stiegen vorübergehend die Löhne und die Industrieproduktion) brach der Welthandel ein. 1933 war er um zwei Drittel geschrumpft. Monokausale Erklärungsversuche sind meistens viel zu einfach, doch es bestehen kaum Zweifel daran, dass Smoot-Hawley die Weltwirtschaftskrise noch verschärfte. Das führte weltweit zu politischer Instabilität und zum Aufstieg von Diktatoren. Auch der amerikanische Arbeiter war nach Smoot-Hawley schlechter dran als vorher. 1933, als Hoover von Roosevelt abgelöst wurde, hatte sich die Arbeitslosenrate im Vergleich zu 1930 mehr als verdreifacht.

Aber wir waren hier jetzt bei den Kriegsschulden. Wirtschaftsexperten, die gebetsmühlenartig davon reden, wie wichtig das Vertrauen der Märkte sei, gab es damals auch. Um dieses Vertrauen wiederherzustellen und einen Zusammenbruch Deutschlands zu vermeiden, in dem viel amerikanisches Kapital steckte, schlug Hoover ein Moratorium vor. Die Zahlung von Kriegsschulden und Reparationen sollte ein Jahr lang ausgesetzt werden. Die Deutschen fanden das gut und hofften, dass es der Anfang vom Ende der Reparationen sein würde. Die Franzosen waren aus demselben Grund dagegen.

Nach zähem Feilschen trat das Hoover-Moratorium am 6. Juli 1931 in Kraft. Die Wirkung war gleich wieder verpufft, weil ein paar Tage später die Dresdner Bank zusammenbrach. Um den Ansturm der Kunden auf die Geldhäuser zu stoppen erklärte die Reichsregierung den 14. und den 15. Juli zu Bankfeiertagen. Auch die deutsche Bankenkrise verschärfte die weltweite Wirtschaftskrise.

Nach Ablauf des Moratoriums, auf der Konferenz von Lausanne (16. Juni bis 9. Juli 1932), gestanden sich die Gläubigerstaaten ein, dass Deutschland so bald nicht in der Lage sein würde, wieder Reparationszahlungen zu leisten. Die Teilnehmer einigten sich, den Löwenanteil der Reparationen zu streichen und die Zahlung der verbliebenen drei Milliarden Goldmark auf viele Jahre zu strecken. In Kraft treten sollte der Vertrag von Lausanne erst dann, wenn auch hinsichtlich der von den USA gewährten Kriegskredite eine Übereinkunft erzielt sein würde. Eine solche gab es nie.

Das Deutsche Reich war die Reparationen de facto los (nicht aber seine Schulden, die es auch noch gab), obwohl der entsprechende Vertrag nie ratifiziert wurde. Man ahnt, wie das weiterging. Ohne Reparationen auch kein Schuldendienst. Das Vereinigte Königreich, Frankreich und die anderen Alliierten weigerten sich, den Amerikanern wieder Geld zu überweisen. Abbezahlt waren damals gut 10 Prozent der 26,5 Milliarden Dollar. Der Rest ist bis heute offen. Donald Trump hätte da etwas, über das er mit den Europäern reden kann, wenn ihm die Gesprächsthemen ausgehen. Wie groß sein Gemächt ist wissen wir ja schon.

Transparenz

Wie war das jetzt nochmal? Wer zahlte wann wie viel an wen und warum oder auch nicht? Wer war schuld und woran genau? Für Populisten war die Komplexität der Welt, die da zum Ausdruck kommt, ein gefundenes Fressen. Ihre Version war denkbar einfach: In der Wirtschaftskrise musste das amerikanische Volk Hunger leiden. Das Elend hätte sich mindern oder ganz beenden lassen, wenn die Europäer ihre Schulden gezahlt hätten. Aber statt zu zahlen verwickelten die Europäer die Amerikaner in quälend lange Konferenzen, aus denen Uncle Sam als geschröpfte Witzfigur herauskam. Das erregte die Gemüter.

Übrigens gab es auch Amerikaner, denen die Diskussion, die ihre Landsleute mit wachsender Leidenschaft führten, peinlich war. Für sie sah es so aus, als hätten die Vereinigten Staaten beim Krieg nur mitgemacht, um Geld zu verdienen. Öl ins Feuer gossen die Nazis und andere Rechtsaußen-Gruppierungen im Deutschen Reich. Ihnen war die verbliebene Summe von drei Milliarden Goldmark viel zu hoch. Vor allem aber hatten sie erwartet, dass mit den Reparationen auch das im Versailler Vertrag enthaltene Rüstungsverbot fallen würde. Nach Lausanne war das Geschrei groß, weil das nicht geschehen war.

Der von den amerikanischen Populisten erzählten Geschichte fügte das eine weitere Facette hinzu. Die Europäer zahlten ihre Kriegsschulden nicht, weil sie das Geld lieber in sündhaft teure Schlachtschiffe steckten, um demnächst wieder Krieg zu führen. So stand es in Hearsts Revolverblättern und so ist es dem Film zu entnehmen. Das ist kein Wunder. Hearst hatte für den Präsidenten die passenden Dialoge geschrieben. Der Mann, der ab 1933 am stärksten aufrüstete, kam im "Narrativ" der Populisten nicht vor. Hitler war fein raus, weil über die Schulden der Siegermächte gestritten wurde, nicht über die Reparationen der Verlierer.

Gabriel Over the White House

In Gabriel Over the White House beruft Präsident Hammond eine internationale Schuldenkonferenz ein. Ursprünglich sollte er sich mit den Delegierten der anderen Länder auf einem Kriegsschiff der US-Marine treffen. Roosevelt riet dazu, die Konferenz auf einer zivilen Yacht stattfinden zu lassen. Es ist eine ziemlich große Yacht daraus geworden, mit jeder Menge Soldaten in Uniform. Allzu zivil sollte es dann doch nicht sein. Eingangs überrascht der Präsident die Delegierten mit der Mitteilung, dass die Konferenz live im Radio übertragen werde, und zwar weltweit.

Man spreche mit mehr Bedacht, meint Hammond, wenn man wisse, dass das Volk zuhört. Ein Kriegsziel der USA sei es gewesen, mit der Geheimdiplomatie Schluss zu machen und in aller Öffentlichkeit Verträge auszuhandeln, nicht hinter verschlossenen Türen. Das werde nun umgesetzt. Dahinter steht der mir persönlich sehr sympathische Gedanke, dass durch maximale Transparenz automatisch alles besser wird. In Zeiten, in denen die Gegner von TTIP und CETA eine Wiederkehr der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts beklagen, ist das sehr aktuell.

Mich beschleicht allerdings der Verdacht, dass das, was der Präsident da macht, nur eine Anbiederung an "das Volk" ist, das er zu vertreten vorgibt und das manipuliert werden soll. Es fällt auf, dass sich der Volkstribun Jud Hammond dann doch nicht auf die segensreiche Wirkung der Transparenz verlässt, sondern lieber mit Gewalt und Krieg droht. Gesponsert wird er von William Randolph Hearst, der behauptete, dem Volk eine Stimme zu geben und mit seinem Zeitungsimperium einen Kampagnenjournalismus betrieb, bei dem eben dieses Volk nach Strich und Faden belogen wurde, wenn es gerade opportun war.

Executive Order

Donald Trump hat versprochen, als Präsident der dealmaker in chief zu sein: Ein Staatenlenker, der nach harten Verhandlungen den bestmöglichen Deal für das Land herausholt. Mit Jud Hammond verbindet ihn die Liebe zum medienwirksamen Auftritt und zu PR-Nummern. Trump allerdings agiert bisher noch wie ein Bauunternehmer, der lokale Probleme löst, wenn er sich dafür feiern lässt, dass er bei einem Hersteller von Klimaanlagen 1.000 Arbeitsplätze rettet (im Austausch für ein jährliches Steuergeschenk, das eine mittelständische Firma, für die Angestellte keine Verhandlungsmasse sind, nie kriegen würde). Hammond dagegen sucht die ganz große Bühne. Daher ist es nur folgerichtig, wenn er erst die Probleme des Landes löst und dann die der ganzen Welt. Letzteres geht so:

Gabriel Over the White House

Zu Beginn der Schuldenkonferenz liest Hammond den Delegierten die Leviten. Ihre Länder, sagt er, haben sich im Krieg Geld geliehen, um sich verteidigen zu können, und jetzt wollen sie die Schulden nicht zurückzahlen, weil sie angeblich zu arm sind. Das geht auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers, der nicht nur die eigenen Kriegsschulden begleichen muss, sondern auch die der Europäer. Der amerikanische Steuerzahler wird vier Mal direkt genannt, und mehrfach indirekt. Jeder "tax payer", der aus dem Mund des Präsidenten kommt, knallt wie ein Peitschenhieb.

Donald Trump spricht lieber vom amerikanischen Arbeiter als vom amerikanischen Steuerzahler, weil er selbst keine Steuern zahlt, aber sonst erinnert das doch sehr an seinen Wahlkampf. Im Kern ist es dieselbe Botschaft: Die Europäer wollen Sicherheit und nicht vom Feind vernichtet werden, dafür zahlen müssen die Amerikaner. Damit ist jetzt Schluss, sagen der Präsident im Film und der President-elect. Die Delegierten bringen ein paar Ausreden vor und wirken, als sei die Rede des Präsidenten das übliche Donnerwetter, das man bei solchen Veranstaltungen über sich ergehen lassen muss.

Dann schlägt einer von ihnen eine neue Konferenz vor, um die Angelegenheit weiter zu besprechen. Trump hat angekündigt, dass er handeln werde, statt seine Zeit auf Konferenzen zu verplempern. Hammond sieht das ganz genauso. Keine dieser Konferenzen mehr, sagt er, bei denen der amerikanische Adler regelmäßig als gerupfter Vogel wieder aus dem Saal herauskommt. Ohnehin seien die Verträge, die man bei solchen Konferenzen schließt, stark überbewertet. Auch darin sind sich Trump und Hammond einig.

Trump hat dem amerikanischen Arbeiter den großen Kassensturz versprochen. Wenn dabei herauskommt, dass NATO, UN und Welthandelsorganisation ein Zuschussgeschäft sind will er Verträge aufkündigen, Beiträge streichen und mit dem eingesparten Geld Jobs für amerikanische Bergarbeiter schaffen, die dann wieder unbeschwert Kohle fördern können, weil Treibhausgase und die Klimakatastrophe eine Erfindung der Chinesen sind. Als Präsident hat er da viele Möglichkeiten, weil dessen Befugnisse, per Dekret (executive order) und am Kongress vorbei zu regieren, seit 9/11 immer weiter ausgebaut wurden.

George W. Bush instrumentalisierte die executive order für seinen "Krieg gegen den Terror", und Obama hatte auch nichts dagegen, die Verfassung sehr großzügig auszulegen, weil es sonst viel schwieriger geworden wäre, den Drohnenkrieg zu führen oder - mit desaströsen Konsequenzen - in Libyen zu intervenieren. Ganz neu ist das nicht. Es ging los mit George Washington. Einsamer Rekordhalter in Sachen executive order ist Franklin D. Roosevelt mit mehr als 3.500. Seine Gegner beschuldigten ihn denn auch, die Vereinigten Staaten in eine Diktatur zu verwandeln.

Trump hat das Regieren per Dekret im Wahlkampf als verfassungswidrig gegeißelt und angekündigt, mit diesen Praktiken der Regierung Obama Schluss zu machen. Ob das ein Versprechen ist, das er tatsächlich einhält, oder ob auch er die Vorteile der executive order für sich entdeckt, wird sich zeigen. Unabhängig davon, wie sinnvoll, kontraproduktiv oder gar kriminell einem die Dekrete eines US-Präsidenten erscheinen mögen: Aus der Geschichte kann man lernen, wie wichtig der Supreme Court ist.

Roosevelt brachte das Oberste Gericht eine empfindliche Niederlage bei, als es den National Industrial Recovery Act kippte: ein Gesetz, das es dem Präsidenten erlaubte, regulierend in die Wirtschaft einzugreifen, um die Deflation zu bekämpfen, das Wachstum anzukurbeln und Jobs zu schaffen. Insgesamt aber begleitete der Supreme Court das regierungspolitische Handeln Roosevelts sehr wohlwollend. Das lag auch daran, dass er ab 1937 neun Richter nominieren konnte, die in vielen Dingen ähnlich dachten wie er. Eine Ernennung gilt auf Lebenszeit (bzw. bis zum Rücktritt, üblicherweise aus Gesundheits- und Altersgründen).

Despotische Performanz

Wie lange nach der Amtszeit eines Präsidenten solche Entscheidungen noch wirksam sein können sieht man an Hugo Black. Ernannt 1937, blieb er Mitglied des Supreme Court bis eine Woche vor seinem Tod. Richter Black starb 1971. Präsident Rinehard in Tweeds Roman will nicht auf das Ableben widerspenstiger Richter warten, und ein Mörder ist er auch nicht. Also vergrößert er den Supreme Court, bis seine Anhänger die Mehrheit haben. Das macht allerdings auch deutlich, dass selbst eine von außerirdischen Mächten beratene Führerfigur das demokratische Staatssystem nicht mit einem Schlag zertrümmern kann.

Der Film dagegen will Dynamik und keinen Sisyphos, der auf dem Weg in die Diktatur erst mühsam die checks and balances im politischen System der USA abtragen muss. Darum genehmigt er sich einen Präsidenten Hammond, der nach dem Prinzip der performativen Verben regiert. Performative Verben sind solche, die im Akt des Sprechens etwas herstellen. Der President-elect führt uns gerade vor, wie man durch Telefonanrufe und Tweets andere Länder in Bedrängnis bringt und an der Börse schnell mal ein paar Milliarden vernichtet. Ein ganz simples Beispiel für ein performatives Verb ist dieses hier: "Ich taufe dieses Präsidentenflugzeug auf den Namen 'Trump'." Im Akt des Sprechens ist es auch schon geschehen.

Der Film demonstriert uns das Prinzip anhand der Minister, die Hammond nicht mehr brauchen kann, weil sie "antiquierte Politiker" sind. "Antiquiert" heißt: Man trifft sich heimlich, in einem Hinterzimmer, um gegen den Präsidenten zu konspirieren, den das gesamte Kabinett für verrückt hält. Brooks, der bereits entlassene Secretary of State und Parteichef, schwört die anderen darauf ein, sich nichts anmerken zu lassen und ein falsches Gesicht aufzusetzen, damit sie Hammond, den einzig wahren Repräsentanten des amerikanischen Volkes, leichter des Amtes entheben können.

Plötzlich wird Beekman angemeldet, der Sekretär des Präsidenten. Das ist ein unheimlicher Moment. Alle fragen sich, woher Hammond von dem Treffen wusste. Mir fällt dazu J. Edgar Hoover ein, seit 1924 Direktor des Bureau of Investigation. Hoover betrieb in der Entstehungszeit des Films intensive Lobbyarbeit, um sich mehr Kompetenzen zu verschaffen. 1935 zahlte sich das aus. Die nun in Federal Bureau of Investigation (FBI) umbenannte Schnüffelbehörde erhielt mehr Vollmachten und wurde im Justizministerium zur eigenständigen Abteilung. Roosevelt bestätigte Hoover als Direktor, obwohl ihn viele Berater gedrängt hatten, den Überwachungs- und Karteikartenfetischisten zu feuern.

An Beekmans überraschendes Erscheinen im Hinterzimmer hätte der Film sehr gut ein paar Reflexionen darüber anschließen können, was eigentlich von den Methoden eines Präsidenten zu halten ist, der in der Öffentlichkeit die Geheimniskrämerei anprangert und als Held der Transparenz auftritt, während er gleichzeitig seine Minister bespitzeln lässt. Gabriel Over the White House belässt es aber dabei, dass der Präsident dem Kabinett zeigt, was eine Harke ist. Beekman überreicht jedem der Herren ein Kuvert mit der Aufforderung zum Rücktritt. Dann geht er wieder. Der geforderte Rücktritt ist vollzogen, weil Hammond performativ regiert.

Gabriel Over the White House

Im Roman gründet Präsident Rinehard das Dezernat für öffentliche Sicherheit, eine landesweit operierende Bundesbehörde zur "Aufrechterhaltung der moralischen Standards des Lebens in Amerika". Rinehard will, das das Gesetz wieder "respektiert, gefürchtet und befolgt wird". Das Dezernat erarbeitet sich schnell den Ruf, extrem effizient, überparteilich, absolut integer und frei von politischen Einflüssen zu sein. In der Wirklichkeit war es so, dass sich Hearst und Hoover um die Jahreswende 1932/33 auf eine Kooperation verständigten. Beide hatten gemerkt, wie nützlich sie sich sein konnten.

Kampf gegen den Rechtsstaat

Hearst kriegte Insider-Informationen, Material für seine Medien und einen wertvollen Kontakt im Regierungsapparat. Hoover kriegte kostenlose Reklame für seine Behörde und für sich selbst als Direktor. Wie wenig integer dieser Direktor war weiß man längst. Zweifel an der Effizienz und Überparteilichkeit seines Ladens sind erlaubt. Keine Zweifel an der Großartigkeit der Behörde gab es in der von Hearst produzierten Wochenschau. Die Kamerateams der Metrotone News waren ständig im Kriminallabor des FBI zu Gast, um den Kinozuschauern davon zu berichten, was für tolle Arbeit da geleistet wurde.

Louis Pizzitola zufolge (Hearst Over Hollywood) war die Cosmopolitan 1935 an der Produktion von G-Men beteiligt. James Cagney, neben Edward G. Robinson (Little Caesar) und Paul Muni (Scarface) der bekannteste Gangster-Darsteller (The Public Enemy), wechselt als Brick Davis die Seiten und wird FBI-Agent. Bei einer Anhörung durch den Kongress hält Bricks Vorgesetzter ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, seiner Behörde endlich die Waffen an die Hand zu geben, die sie braucht, um das Verbrechen wirkungsvoll bekämpfen zu können. Das war eine Szene, wie Hearst sie liebte.

G-Men

Würde man die Forderungen des FBI-Manns in konkrete Politik übersetzen wäre die Demokratie mindestens so bedroht wie die Bankräuber. In G-Men ist der Rechtsstaat beim Durchsetzen von Recht und Ordnung eher hinderlich. Von den Gangstern unterscheidet sich Brick Davis vor allem dadurch, dass er nicht für ein Verbrechersyndikat arbeitet, sondern für das FBI. Statt auf Konkurrenten und Polizisten zu schießen wie in The Public Enemy schießt Cagney jetzt nur noch auf Gangster.

Hearsts Zeitungen rührten kräftig die Werbetrommel für G-Men, der eng mit ihrer Kampagne für eine härtere, sich nicht mit rechtsstaatlichen Bedenken aufhaltende Bekämpfung des Verbrechens verzahnt war. Nach anfänglicher Reserviertheit adoptierte das FBI G-Men sehr bald als "seinen Film". Als er 1949 zurück in die Kinos kam war eine Szene vorangestellt, in der ein hoher FBI-Mann den Film angehenden Agenten vorführen lässt, damit sie etwas über die Geschichte der Behörde lernen, als sei das ein Dokumentarfilm.

G-Men

Der Anlass für die Wiederaufführung von G-Men, kann man immer lesen, sei das 25-jährige FBI-Jubiläum gewesen. Tatsächlich war es das 25-jährige Jubiläum von J. Edgar Hoover als Direktor. Ob ihn mit Hearst eine echte Freundschaft verband, oder ob es eher eine Interessengemeinschaft war, ist eine Frage der Interpretation. Jedenfalls arbeiteten sie seit 1932/33 zum gegenseitigen Vorteil eng zusammen. Von einer Cosmopolitan-Produktion wie Gabriel Over the White House sollte man also keine Kritik an einer FBI-ähnlichen Behörde erwarten, die im Film Federal Police heißt. Es bleibt der unheimliche Moment, in dem sich alle fragen, von wem Präsident Hammond seine Informationen bezieht.

Letzte Mahnung für Maurice Chevalier

Sehr wirkungsvoll waren die drastischen Tatortphotos, die - von FBI-Chef Hoover ausdrücklich begrüßt - in Hearsts Zeitungen abgedruckt wurden. Sie befriedigten den Voyeurismus des Publikums, schürten den Volkszorn und schufen das Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung, was wiederum der Forderung nach mehr Kompetenzen für die Sicherheitsorgane größeren Nachdruck verlieh. Da der Kampagnenjournalismus ein Markenzeichen von Hearsts Medienimperium war blieb es nicht beim Kampf gegen das Verbrechen.

1930 lief die "America First!"-Kampagne an, die das ganze Jahrzehnt über andauern sollte. Die Hearst-Presse rief dazu auf, anstelle von europäischen Importen amerikanische Produkte zu kaufen. Der Patriotismus, an den da appelliert wurde, war ein vergifteter, weil er mit Ressentiments gegen Ausländer getränkt war. Hearsts Zeitungen prügelten auf die europäischen Verbündeten ein, die sich im Weltkrieg von den Vereinigten Staaten hatten retten lassen und jetzt ihre Schulden beim amerikanischen Volk nicht bezahlen wollten. Diesen Verbrechern sollten die Amerikaner eins auswischen, indem sie nichts mehr von ihnen kauften.

Am schlechtesten kamen die Franzosen in der Hearst-Presse weg, weshalb es umgekehrt besonders patriotisch war, den Froschessern die kalte Schulter zu zeigen. Für die Paramount war das besorgniserregend. Das Studio produzierte Operettenfilme wie Ernst Lubitschs One Hour with You und Rouben Mamoulians Love Me Tonight (beide 1932) mit dem Publikumsliebling Jeanette MacDonald. Ihr Partner war Maurice Chevalier - ein Import aus Frankreich. Hilfreich war die "America First!"-Kampagne für das neue Traumpaar nicht. Chevalier ging 1934 nicht nur, aber auch ihretwegen zurück nach Frankreich.

One Hour with You

Warum waren gerade die Franzosen so schlimm? Wahrscheinlich deshalb: Hearst wurde 1930 bei einem Frankreich-Urlaub als unerwünschter Ausländer ausgewiesen, weil seine Zeitungen Details aus einem geheimen Marinevertrag zwischen Frankreich und Großbritannien veröffentlicht hatten. Danach hegte er einen Groll gegen die Franzosen. Bei Hearst war es wie bei Donald Trump. Wunderbarerweise waren seine privaten und wirtschaftlichen Interessen die des amerikanischen Volkes. Das muss mit der Perspektive zusammenhängen. Wenn man von weit oben auf die anderen herunterschaut wird alles deckungsgleich.

Es ist nur zu verständlich, wenn jemand wie Hearst, dessen Geschäft die Verbreitung von Nachrichten (und Falschmeldungen) ist, eine Aversion gegen Konferenzen hinter verschlossenen Türen und Geheimdiplomatie hat. In seinem Fall kam eine sehr persönliche Komponente dazu. Seit der in Frankreich erlittenen Demütigung ärgerte er sich noch mehr als zuvor über geheime Abmachungen zwischen Staaten. Das hatte Konsequenzen für Gabriel Over the White House. Hearst muss es eine besondere Befriedigung bereitet haben, dass der Präsident eine Transparenz-Offensive startet und bei der internationalen Schuldenkonferenz die Delegierten damit überrumpelt, dass alles live im Radio übertragen wird.

Gabriel Over the White House

Vor Beginn der Konferenz bittet Hammond die amerikanischen Reporter zu einem Pressegespräch. Es bestehe die Befürchtung, sagt er, dass der Präsident der Vereinigten Staaten wieder einmal von gerissenen europäischen Politikern übertölpelt werde. Die Sorge, dass Amerika erneut mit leeren Taschen aus einem Konferenzzimmer herauskomme, sei unbegründet. Mit in Zimmern abgehaltenen Konferenzen sei jetzt Schluss. Dieses Treffen werde nicht, wie sonst, im Weißen Haus stattfinden, sondern im Lichte der Öffentlichkeit, auf einer Yacht (und im Freien).

Hammond ist die Vorfreude anzusehen, wenn er den Pressevertretern von seinem Plan erzählt, den Europäern die militärische Stärke der USA zu demonstrieren und so sicherzustellen, dass sie endlich ihre Schulden bezahlen. "Diese Schulden", sagt er, "müssen bezahlt werden." Dann wiederholt er es zweimal: "Diese Schulden müssen bezahlt werden. Diese Schulden müssen bezahlt werden." Die Frage, ob er einen Krieg riskieren würde, um die Schulden einzutreiben, lässt er unbeantwortet. Das vorgebliche Hauptziel der Veranstaltung, die Sicherung des Weltfriedens durch internationale Abrüstung, scheint ihm da noch nicht so präsent zu sein.

Bankrotterklärung

Auf der Yacht weist ein selbstgefälliger Delegierter Hammond darauf hin, dass er an die Unterschriften gebunden sei, die seine Vorgänger unter internationale Verträge gesetzt haben. Nichts da, erwidert der Präsident. Wenn die Europäer nicht für ihre eigene Verteidigung aufkommen und den vertraglich zugesicherten Schuldendienst nicht leisten sei das ihre moralische Bankrotterklärung. Eine Unterschrift habe dann keinen Wert mehr, und er könne Verträge für ungültig erklären, ganz wie es ihm beliebt.

Gabriel Over the White House

Da spricht wieder Jud Hammond als Vertreter des öffentlichen Bewusstseins. Wenn einem das "gesunde Volksempfinden" sagt, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann gilt es nicht, auch wenn es nach Recht und Gesetz zustande kam, oder wie in diesem Fall nach den Regeln, auf die sich die Weltgemeinschaft geeinigt hat. Nicht nur an der Wortwahl ("Bankrotterklärung") ist zu erkennen, dass der Film eine Politik propagiert, die nach den Spielregeln der Wirtschaft und der Märkte funktioniert.

Um genau zu sein müsste man Hammond als Despoten bezeichnen, nicht als Diktator. Der griechische despótes war der Herr über Haus und Hof und Sklaven. Dem Wortsinn nach ist der Despot demnach einer, der die Bürger wie Sklaven behandelt und den Staat wie sein Eigentum. Hammond regiert denn auch wie ein Hausbesitzer, der bei Bedarf den Handwerker kommen lässt und allein darüber entscheidet, was mit der Immobilie zu geschehen hat. Bei Problemen, die sich so nicht lösen lassen, hat man die Leute von der anderen Seite der Grundstücksgrenze. Ihnen schiebt man dann die Schuld zu.

Was fehlt also noch im Baukasten, mit dessen Teilen sich die Populisten ihre Welt zusammensetzen? Genau. Die Fremdbestimmung. Die amerikanische Unterschrift unter einem Vertrag zur Begrenzung der Kriegsmarine sei null und nichtig, sagt der Präsident. Von nun an bestimme Amerika, nicht die Europäer und die Asiaten, wie viele Kriegsschiffe es zur Verteidigung seiner Grenzen brauche. Hammond verknüpft das mit dem obersten Ziel seiner Politik, der ausgeglichenen Bilanz. Die schwarze Null muss stehen, wie man heute sagen würde.

Damit der Präsident den Haushalt ausgleichen kann müssen Deutsche, Briten und Franzosen ihre Schulden zahlen. Einem nackten Mann, sagen die Delegierten sinngemäß, kann man nicht in die Tasche greifen. Der Präsident hat sich dafür eine Lösung überlegt. Er erklärt vor den Ohren der gesamten Welt, dass die Schuldner nicht zahlen können, weil sie ihr Geld lieber in Kriegsschiffe stecken. Das ist jetzt nicht ganz logisch, weil die Europäer auch dafür gescholten werden, dass sie die eigene Verteidigung nicht finanzieren wollen, aber egal.

Die logische Unwucht kommt daher, dass das Anliegen des Präsidenten in Tweeds Romanvorlage, der Weltfrieden, im Film zu stark mit Hearsts Leib- und Magenthema überfrachtet wurde, den zahlungsunwilligen Ausländern. Ein gewisses Geschick, das eine mit dem anderen zu verbinden, ist den Filmemachern allerdings nicht abzusprechen. Das ist nicht zuletzt John Huston zu verdanken, der mit Bravour die Aufgabe meistert, sich vom bissigen Schuldeneintreiber in einen um die Zukunft der Menschheit besorgten Staatenlenker zu verwandeln (dem die Dummheit der Welt die Kräfte raubt).

Wilde Tiere

Für Hammond ist die Schuldenkonferenz ein Feld der Auseinandersetzung, auf dem man keine Kompromisse sucht und sich nicht vertagt. Einer muss den Platz als Sieger verlassen (so kommuniziert es derzeit auch Donald Trump). Das kann nur der amerikanische Präsident sein. Wenn der amerikanische Steuerzahler bluten muss, weil die anderen Kriegsschiffe bauen, will Hammond mehr Kriegsschiffe bauen, bis er eine Flotte hat, neben der die britischen und französischen Zerstörer aussehen "wie Spielzeugschiffe in der Badewanne".

Gabriel Over the White House

Dann folgt die beim Pressegespräch versprochene Demonstration der Stärke. Hammond kündigt die amerikanische "Marine der Luft" an. Am Himmel taucht eine Bomberstaffel auf. Die Delegierten müssen dabei zusehen, wie die Bomber zum Sturzflug ansetzen und zwei ausrangierte Kampfschiffe aus dem Ersten Weltkrieg versenken. Ich finde das heute noch beklemmend. Die Lösung der Probleme auf der Welt sei ganz einfach, sagt der Präsident ins Radiomikrophon, damit ihn die Völker der Erde hören können. Die Staaten vernichten ihr Waffenarsenal, gleichen ihre Haushaltsdefizite aus und stellen die Ehre unter den Nationen wieder her (soll heißen: die Europäer überweisen, was dem amerikanischen Steuerzahler zusteht).

Eine Alternative gibt es auch: Wenn die anderen nicht tun, was der Präsident verlangt, bauen die USA eine Luftwaffe auf, die so gewaltig ist, dass sie alle anderen Länder in Schutt und Asche bomben kann. Hammond entwirft dazu ein Bild vom Krieg der Zukunft, der mit Bombern, Giftgas, Todesstrahlen und unvorstellbar zerstörerischen Sprengstoffen die Erde entvölkern werde bis keine Menschen mehr übrig sind, sondern nur noch "die weniger grausamen, weniger destruktiven und weniger dummen … wilden Tiere".

Hammonds Ansprache ist eine seltsame Mischung aus Pazifismus, erhobenem Zeigefinger und der Lust an Vernichtung und Untergang. Huston steigert sich da in einen Furor hinein, der fast darüber hinwegtäuschen könnte, dass es der von ihm gespielte Präsident in der Schwebe lässt, ob auch die USA ihr Waffenarsenal verschrotten oder ob sie es behalten werden, um zu überwachen, dass die übrigen Nationen sich an den Vertrag halten und nicht wieder aufrüsten (oder um aus anderen Gründen eingreifen zu können, wenn das "öffentliche Gewissen" es verlangt). Da zeichnet sich bereits die nach 1945 von den Amerikanern übernommene Rolle als Weltpolizist ab.

Gabriel Over the White House

Wer genau hinschaut entdeckt einen Japaner, der sich unter die Delegierten aus Europa verirrt hat. Wahrscheinlich ist der Mann ein Überbleibsel aus Tweeds Roman, wo es nicht die schlechte Zahlungsmoral der Europäer ist, die den Präsidenten zu seiner Abrüstungsinitiative bewegt, sondern ein besonders sinnloser und zerstörerischer Krieg zwischen Russland und Japan. Im Rückblick erhält das eine pikante Note, weil einen die Zerstörung amerikanischer Kriegsschiffe aus der Luft an den japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 erinnert, der den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg zur Folge hatte.

Ressentimentpolitik

Einige der Delegierten stehen mit offenem Mund da, während Präsident Hammond sein Untergangsszenario entwirft. Am Ende haben alle verstanden und signalisieren ihre Zustimmung, weil es in diesem Film die einfache Lösung tatsächlich gibt. Der Stärkste zwingt allen anderen auf, was er von ihnen haben will. Legitimiert wird das dadurch, dass der Präsident durch sein kompromissloses Vorgehen den Weltfrieden sichert und die Erde vor der Zerstörung bewahrt. Der Zweck heiligt die Mittel. Und der amerikanische Arbeiter hat endlich wieder einen Job, weil die Ausländer ihre Schulden bezahlen.

Im Film klappt das sehr gut. Aber in der Wirklichkeit? In der des Jahres 2017 könnte es noch spannend werden - nicht nur bei Rüstung, NATO und Verteidigung, sondern auch, wenn die neue US-Regierung feststellt, dass die Unterstützung des UN-Flüchtlingshilfswerks den amerikanischen Steuerzahler Geld kostet, mit dem man den Abgehängten in den maroden Stahlrevieren vorläufig den Job erhalten könnte, indem man für abwanderungswillige Firmen die Abgaben senkt und bei den Flüchtlingen, die gar nichts haben, weiter einspart.

Nicht alles, was mit den Aufklebern "Frieden" und "Wohlstand" verkauft wird, dient diesen auch. So gruselig wie in Gabriel Over the White House wird es hoffentlich nicht werden. Mit seiner Bomberstaffel deutet der Präsident mehr als nur an, dass er notfalls auch bereit wäre, Krieg zu führen, um die Schulden einzutreiben (den Weltfrieden zu sichern), dies dann aber, ohne es zu wollen, wie Hammond treuherzig versichert. In der Wirklichkeit war es so, dass der Streit wegen der Kriegsschulden nach Roosevelts Amtsantritt im März 1933 munter fortgesetzt wurde.

Die ganzen 1930er über belastete die Debatte das Verhältnis zwischen den USA und großen europäischen Ländern wie Frankreich und dem Vereinigten Königreich. Während sich die anderen zofften baute Hitler seinen Einfluss- und Machtbereich weiter aus. Wenn es um Geld geht wird der Rest gerne ausgeblendet. Den Isolationisten in den USA lieferte der Streit ein Argument, das sie sich kaum besser hätten stricken können. Ob Briten, Franzosen und Amerikaner ohne das Schuldenproblem eine wirkungsvolle Allianz zur Eindämmung von Hitlers Großmachtstreben gebildet hätten oder nicht bleibt spekulativ.

Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass da ein Grund für den Zweiten Weltkrieg zu finden ist. Als Hitler geschlagen war flammte der Zoff um die Schulden von 1914/18 noch einmal auf. Kulturen haben ein langes Gedächtnis. Die Erinnerung lebt fort, auch wenn die Zeitzeugen längst gestorben sind. Im Laufe der Jahre verformt sie sich. An Gabriel Over the White House kann man sehen, wie sehr sich der Schuldenstreit, ein extrem komplexer Sachverhalt, auf Seiten der Amerikaner bereits 1932 zu einem Ressentiment verdichtet hatte.

Dieses Ressentiment, nehme ich an, ist unterschwellig noch immer da. Trumps Wahlsieg hat gezeigt, wie gut sich solche auf vagen Erinnerungen gegründete Ressentiments instrumentalisieren lassen. Bei Trumps Auftritten vor Wutbürgern und Frustrierten ist der bald hundertjährige Schuldenstreit in Form der europäischen Staaten wieder aufgetaucht, die den Schutz der NATO haben wollen und die Amerikaner dafür zahlen lassen. Manchmal bildet sich in der kollektiven Erinnerung der Kulturen ein Gebräu, für das es keine Formel im Chemiebuch gibt. Mit dem Geschichtsbuch kommt man weiter.

Ärger im Hays Office

Will Hays’ Mann für den Außenhandel war Colonel Fred Herron. Seine Aufgabe war es, Filme auf Elemente zu überprüfen, die hinderlich dabei sein konnten, in anderen Ländern eine Aufführungsgenehmigung zu erhalten. Für Colonel Herron war es das Allerletzte, dass die Repräsentanten anderer Länder als katzbuckelnde und Ausreden erfindende Gauner dargestellt wurden und die Schuldnerländer als "böse Buben, die vor dem Lehrer antreten müssen und eine Lektion erhalten". Verhindern konnte er es erkennbar nicht. Minimal abgemildert wird es durch den Briten. Der würdige Herr darf sagen, dass sein Land die Schulden nicht begleicht, weil auch die von ihm gewährten Kredite nicht zurückbezahlt werden.

Gabriel Over the White House

Hays war wegen des Drehbuchs so beunruhigt, dass er Louis B. Mayer am 16. Februar ein Telegramm mit einer Warnung schickte, und zwar "im Ernst". Er forderte ihn auf, sich persönlich darum zu kümmern, dass Hammond nur mit Vollmacht des Kongresses handelte; dass nichts im Film als Kritik an echten Präsidenten verstanden werden konnte, an Hoover oder Roosevelt; und dass "der spirituelle Blickwinkel" stärker hervorgehoben wurde. Um seiner Forderung mehr Nachdruck zu verleihen nahm er auch Kontakt zu Nicholas Schenck mit, dem Vorstandsvorsitzenden der Loew’s Incorporated, deren Tochterfirma die MGM war.

Mayer versprach Hays und Schenck, was sie von ihm hören wollten, gab es an Wanger weiter und kümmerte sich nicht weiter um die Sache. Wanger sagte zu, was von ihm verlangt wurde, um sich dann ein Beispiel an der Paramount zu nehmen, seinem alten Arbeitgeber. Bei She Done Him Wrong hatte die Paramount vorgeführt, wie man die Hüter des Production Code ausmanövrieren konnte. Geschwindigkeit hieß das Zauberwort. Dr. Wingate rieb sich nach der Lektüre des Drehbuchs noch verwundert die Augen, da war der Film schon fertig. Wanger wollte es mit Gabriel Over the White House genauso machen.

Gregory LaCava kam mit sehr ökonomischen 18 Drehtagen aus. Bereits am 1. März saß Mayer in Glendale, sah sich den von Wanger abgelieferten Film an und fiel aus allen Wolken. Für Mayer war Gabriel Over the White House ein Angriff auf seinen Freund Herbert Hoover und auf die Republikanische Partei. Erzählt wird, dass er einen fürchterlichen Wutanfall bekam und Eddie Mannix anwies, den Film verschwinden zu lassen. Mannix war bei der MGM der "Fixer", also der Mann, der Ärger der Stars mit Polizei und Justiz bereinigte, bei ungewollten Schwangerschaften half und generell in Ordnung brachte, was geregelt werden musste.

Gabriel Over the White House aus der Welt zu schaffen war nicht so einfach. Mayer befand sich in einer peinlichen Lage, weil er Hays und Schenck versprochen hatte, sich persönlich zu kümmern und es nicht getan hatte. Wanger hatte bisher 180.000 Dollar ausgegeben. Nach MGM-Maßstäben war das sehr billig, aber Geld war es doch. Ein großer Batzen davon kam von Hearst, was die Angelegenheit weiter verkomplizierte, denn der Film firmierte nun als Cosmopolitan-Produktion. Hearst war das sehr wichtig gewesen. Am Zug war jetzt Will Hays.

Hays hatte allen Grund, sich die Haare zu raufen. Seit er Präsident der Produzentenvereinigung MPPDA geworden war predigte er den Studios, dass sie um zwei Bereiche einen großen Bogen machen sollten, weil sie nur Ärger brachten: Sex und Politik. Jetzt musste er einen Film sehen, in dem Jud Hammond mit seinen Saufkumpanen aus der Partei mit viel Alkohol auf die Präsidentschaft anstieß (in der Prohibitionszeit), seine Geliebte zum Schäferstündchen ins Weiße Haus kommen ließ und dann durch einen Schlag auf den Kopf eine Läuterung erfuhr, zum Diktator wurde und zeigte, wie man von der Demokratie angeblich nicht zu bewältigende Probleme löst.

Hays war so sauer, dass er den Vorstand der MPPDA in New York zu einer Sondervorführung zusammentrommelte. Am 6. März gab es mehrere Sichtungen im Beisein von Nicholas Schenck und anderer Herren aus der Führungsetage der Loew’s Incorporated. Inzwischen war Hearsts Traum geplatzt, an dem Tag Premiere zu feiern, an dem Roosevelt als 32. Präsident der USA vereidigt wurde. Das wäre der 4. März 1933 gewesen. Hays hatte für solche Wünsche kein Verständnis. Hearst warf später Mayer vor, ihn nicht genug unterstützt zu haben, was mit einiger Verzögerung zum Bruch zwischen ihm und der MGM führte.

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen

Als früherer Strippenzieher der Republikanischen Partei und Experte für Politmauscheleien empfand Hays es wahrscheinlich als persönlichen Affront, dass Hammond alte Kumpels und Parteifreunde zu Ministern macht und die fachliche Qualifikation dabei erkennbar keine Rolle spielt. Das dürfte nicht nur ihn an die von Nepotismus geprägte Administration von Präsident Warren G. Harding erinnert haben, in dessen Kabinett er Postminister gewesen war, zum Dank für erwiesene Dienste bei Hardings skandalumwitterter Nominierung und beim aus dubiosen Finanzquellen gespeisten Wahlkampf.

Besonders empörend fand es der Minister a. D., dass die Handlung keineswegs in einer unbestimmten, jedenfalls aber fernen Zukunft angesiedelt war, wie man ihn hatte glauben lassen. Konkrete Datumsangaben gibt es nicht. Aber einer der arbeitslosen Veteranen sagt, dass die USA ihre Bürger vor 17 Jahren in den Krieg geschickt haben. Demnach wären wir im Jahre 1934 (am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg). Damit war der Ausweg versperrt, das Ganze zur von der Tagesaktualität losgelösten Phantasie zu erklären, und Gemeinsamkeiten mit tatsächlich existierenden Personen zu zufälligen und nicht beabsichtigten Ähnlichkeiten.

David Lloyd George

Die nicht so zufälligen Ähnlichkeiten gibt es schon in der Romanvorlage von Thomas F. Tweed. Der Präsident im Roman, Baralong Rinehard, ist - wie bereits erwähnt - ein verkapptes literarisches Portrait des britischen Premierministers David Lloyd George, den Tweed in seiner Funktion als dessen Sekretär und Berater gut kannte. Lloyd George hatte eine Privatsekretärin, Frances Stevenson, die auch seine Langzeitgeliebte war und offenbar, trotz der schwierigen Begleitumstände, ein sehr unabhängiger Geist. Die beiden heirateten 1943 - zwei Jahre, nachdem die erste Mrs. Lloyd George gestorben war. Eine Scheidung wäre nicht in Frage gekommen.

Frances Stevenson

Es scheint wohl so gewesen zu sein, dass Miss Stevenson zwischendurch auch Thomas Tweed ihre Gunst gewährte. Der Vater ihres Sohnes war vermutlich Lloyd George, doch einige Historiker halten Tweed für einen ernst zu nehmenden Kandidaten. Frances Stevenson war das Vorbild für Independence "Pendie" Malloy, Rinehards Privatsekretärin. Der Erzähler findet Pendie extrem gut. Tweed war zu sehr Gentleman, um die eigenen intimen Kenntnisse in bare Münze zu verwandeln und mit dem Versprechen auf intime Enthüllungen zum Kauf des Buches anzureizen. Vielmehr nützte er den Roman für ein Dementi.

Gerüchte über eine Affäre zwischen Pendie und Rinehard (Miss Stevenson und Lloyd George), sagt Hartley "Beek" Beekman, der Sekretär des Präsidenten, entbehrten jeder Grundlage. Tweeds eigene Affäre mit Miss Stevenson wird in eine neue Dreiecksbeziehung transformiert. Der Sekretär ist Pendie in platonischer Liebe zugetan, würde ihr das aber niemals eingestehen und hat auch keine Hoffnung auf eine nicht so platonische Beziehung (wie die zwischen Tweed und Miss Stevenson), weil seine Angebetete exklusiv den Film- und Fernsehproduzenten Peale Lindsey liebt und heiratet.

So viel Diskretion war Walter Wangers Sache nicht. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, aus Pendie die Geliebte des Präsidenten zu machen. Gleich die erste Nacht im Weißen Haus verbringt Hammond mit der selbstbewussten Dame, die er dann als seine Privatsekretärin installiert, damit das auch so weitergehen kann. In den Räumen des Präsidenten steht auf einem Bücherregal ein Portrait von Warren G. Harding, neben einer Vase.

Gabriel Over the White House

Einmal sieht man das Photo, wenn Hammonds Leibwächter Nick Diamond hinauseskortieren, weil ein Gangster im Weißen Haus nichts verloren hat. Ein andermal, kurz vor dem Ende, steht der Leibarzt des Präsidenten neben dem Bild. Dazu muss man wissen, dass der Schluss ursprünglich so sein sollte wie im Roman: Hammond verliert das Bewusstsein und wacht als der wieder auf, der er vor dem Autounfall war, also als Reinkarnation von Harding, der den "good old boy" gab und einer Regierung vorstand, die öfter als jede andere als die korrupteste in der Geschichte der Vereinigten Staaten genannt wird.

Tochter des Präsidenten

Falls das keine absichtliche, auf Will Hays abzielende Provokation war ist sie als solche trotzdem sehr gelungen. Das Liebesleben des 1923 verstorbenen 29. Präsidenten der USA war Gegenstand wüster Spekulationen (inklusive amouröser Begegnungen in einem Wandschrank des Weißen Hauses, in dem Mäntel aufgehängt wurden, wenn der Präsident keine andere Verwendung dafür hatte), seit Nan Britton 1928 ihr Buch The President’s Daughter veröffentlicht hatte. Darin behauptet sie, sechs Jahre lang die Geliebte von Harding gewesen zu sein und 1919, als er noch Senator von Ohio war, eine Tochter mit ihm gezeugt zu haben.

Geschrieben hatte das Werk wahrscheinlich Richard Wightman, Chef der Bible Corporation of America, für die Miss Britton damals als Sekretärin arbeitete. Wightmans Unternehmen hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Menschen das Wort Gottes zugänglich zu machen, und zwar am besten in illustrierter Form, weshalb die Firma eine Bibel mit vielen Bildern vertrieb. Ein Buch wie The President’s Daughter war da sicher eine nette Abwechslung, wiewohl man sagen muss, dass insbesondere das Alte Testament viel härtere Kost zu bieten hat.

Kein Verlag wollte The President’s Daughter veröffentlichen. Die streitbare Nan Britton gründete deshalb eine Organisation zur Vertretung der Interessen außerehelich gezeugter Kinder, die Elizabeth Ann Guild (benannt nach ihrer Tochter), die Druck und Vertrieb übernahm. Die auch bei der Filmzensur sehr engagierte New York Society for the Suppression of Vice machte unfreiwillig Reklame für das Buch, als sie die New Yorker Polizei dazu brachte, die bereits bedruckten, aber noch nicht gebundenen Bögen und die Druckplatten zu konfiszieren.

Ein Richter ordnete an, dass alles zurückgegeben werden musste, weil es gesetzwidrig war, ein noch nicht erschienenes Buch zu beschlagnahmen (eine ähnliche Abfuhr holte sich später der 37. US-Präsident, Richard M. Nixon, als er versuchte, das noch nicht montierte Material zu Emile de Antonios Dokumentarfilm Underground vom FBI abholen zu lassen, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Um die Skandalpresse nicht zu weiteren Enthüllungsberichten zu provozieren sah Hardings Familie davon ab, Nan Britton zu verklagen.

Die Hardings behaupteten allerdings, dass der Verstorbene infolge einer Mumpserkrankung zeugungsunfähig und daher nicht der Vater von Elizabeth Ann gewesen sein könne. 2015 ergab ein am Sohn der mutmaßlichen Präsidententochter vorgenommener DNS-Test, dass das nicht stimmte. Laut wissenschaftlichem Befund war Elizabeth Ann tatsächlich Hardings Tochter. Das Voranschreiten der Technologie, kommentierte damals die New York Times, schreibe zunehmend die nationalen Geschichtsbücher um.

Zuvor hatte ein DNS-Test ergeben, dass einer von acht Kandidaten aus der Familie von Thomas Jefferson mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Vater von zumindest einem der sechs Kinder von Sally Hemings war. Thomas Jefferson war der Hauptautor der Unabhängigkeitserklärung und der dritte Präsident der USA; Sally Hemings war seine Sklavin. Im Jahr 2000 widmete der Sender NBC dem Drama eine Miniserie, Sally Hemings: An American Scandal, die mit dem tollen Slogan "Bound by slavery. Freed by love." beworben wurde.

Skandal im Weißen Haus

Mag sein, dass nicht nur das Postfaktische und die Verwilderung der Sitten rund um die extrakurrikularen Aktivitäten von Bill "I had no sex with that woman" Clinton Donald Trump 2016 zum Vorteil gereichten. Ich würde nicht ausschließen, dass auch das Faktische, verifiziert durch moderne Technologien, einen Kandidaten, der seine Anhänger mit sexistischen Sprüchen erfreut und Frauen begrapscht, als Anwärter auf die Präsidentschaft weniger absurd wirken ließen, als es früher der Fall gewesen wäre.

Franklin D. Roosevelt

Mit "früher" meine ich die Zeit, als noch das Bild vom Präsidenten als einem allzeit tugendhaften Ehemann und Familienvater verbreitet wurde, das ohnehin meistens eine Lüge war. Franklin D. Roosevelts Geliebte hieß Lucy Mercer und war die ehemalige Sekretärin seiner Gattin. Eleanor hatte er versprochen, die Affäre zu beenden, wenn sie sich nicht scheiden ließ, sich aber nicht daran gehalten. Und Will Hays? Er müsste eigentlich auch ohne DNS-Test über die amourösen Verstrickungen im Leben von Roosevelts Vor-Vor-Vorgänger Harding Bescheid gewusst haben, weil das sein Job gewesen war.

Lucy Mercer

Als Vorsitzender der Republikanischen Partei, der Harding auf den Thron gehoben und seinen Wahlkampf organisiert hatte, musste er über solche Dinge auf dem Laufenden sein, um drohenden Enthüllungen rechtzeitig begegnen zu können. Es war gerade sein Ruf als Verhinderer oder wenigstens geschickter Moderator von Berichten über allfällige Skandale gewesen, der ihn so nachdrücklich für den Posten als Präsident der Produzentenvereinigung empfohlen hatte. Historiker gehen davon aus, dass er sich nicht nur um die Post kümmerte, als er Minister in Hardings Kabinett war.

Wie wohl der 29. US-Präsident in den Augen der Nachwelt heute dastünde, wenn er seinen Strippenzieher und Problemlöser nicht an die Filmindustrie verloren hätte? Was Hays wohl dachte, als er beim Studium von Gabriel Over the White House seiner politischen Vergangenheit begegnete, in Form des Harding-Portraits in der Präsidentenwohnung (aber wenigstens nicht im Wandschrank)? Und wie angenehm es doch ist, ein skandalfreies Präsidentenpaar im Weißen Haus zu haben, für das man sich nicht schämen muss. Was das bedeutet werden die Amerikaner erst richtig begreifen, wenn die Obamas ausgezogen sind.

Im Penthouse bei Nick Diamond

Die Liebesbeziehung zwischen Jud und Pendie wurde von Hays verboten. Um alle Zweifel daran zu zerstreuen, dass der Präsident nicht mit der Sekretärin schläft, musste diese einen Partner erhalten, den sie lieben und heiraten kann und der nicht der Präsident ist. Im Roman ist das der Produzent Peale Lindsey. Ihn noch rasch einzubauen hätte zu viele Änderungen erfordert und wäre auch nicht ratsam gewesen, weil das einen Grad an Selbstreflexivität mit sich gebracht hätte, an dem weder Hays noch Wanger oder Hearst gelegen war.

Damit kommen wir nun zu den Gangstern, neben der Massenarbeitslosigkeit und der Rüstung (bzw. den nicht bezahlten Kriegsschulden der Europäer) Problem Nummer Drei auf der Agenda des zum Diktator gewordenen Präsidenten. Den Mafiaboss Nick Diamond lernen wir in seinem luxuriösen Penthouse in New York kennen, von dem aus man einen Blick auf das Empire State Building hat (den Trump Tower gab es noch nicht). Eingerichtet hat das Penthouse der Produktionsdesigner Cedric Gibbons, der ein Faible für den Art-déco-Stil hatte (vom ihm ist die Oscar-Statuette, die er selbst elf Mal gewann).

Gabriel Over the White House

Von Diamond sehen wir zunächst nur sein Photo, auf einer Karte aus der Verbrecherkartei der Polizei. In dieser Karte sind mehrere Informationen verdichtet, wie sie der Populismus liebt. Der Mann heißt eigentlich Antone Brilawski. Seine Verbrecherlaufbahn hat er als Auftragskiller begonnen. Nach zwei Morden saß er in Sing Sing ein. Nach zwei Jahren wurde er entlassen. Aha, soll man sich da denken, das Böse kommt aus dem Ausland, der englisch klingende Name Nick Diamond ist nur angenommen. Mit solchen kriminellen Ausländern wird viel zu lax umgegangen. Jetzt ist dieser Brilawski Boss eines Verbrechersyndikats. Hätte man ihn damals hingerichtet wäre das nicht passiert.

Zwischendurch bemerkt, und weil sich die Mehrheit unserer österreichischen Nachbarn gerade geweigert hat, den Rechtspopulisten Norbert Hofer zum Präsidenten zu machen: Die Einführung der Todesstrafe für Auftragskiller tauchte während einer bizarren Autofahrt wieder auf, die Hanno Settele 2013 mit Frank Stronach unternahm, als der milliardenschwere Industrielle und Gründer der von ihm autokratisch geführten Partei Team Stronach österreichischer Bundeskanzler werden wollte. Vielleicht dachte der alte Herr an noch ältere Filme, als er diese spontane Idee äußerte, die ihn dann um alle Wahlchancen brachte.

Gute Geschäfte

Da Populisten immer ein korruptes System zerschlagen wollen darf im Penthouse der korrupte Polizist nicht fehlen. Bestimmt war es auch ein korrupter Richter, der den Killer Brilawski nach nur zwei Jahren wieder freiließ, oder wie sollte man sich das sonst erklären? Der Polizeiinspektor jedenfalls wurde von Nick Diamond bestochen und hat dessen Vorstrafenregister aus der Verbrecherkartei verschwinden lassen. Auf dem Weg nach draußen, beim Luxusaufzug, begegnet der Inspektor John Bronson, dem Führer der Armee der Arbeitslosen, die im Film eine Million Mitglieder zählt (in der Wirklichkeit brachte es die "Bonus-Armee" des Sommers 1932 auf knapp 50.000 Menschen).

Gabriel Over the White House

Merke: Während Mörder und Verbrecher in Saus und Braus leben und auch die staatlichen Repräsentanten des korrupten Systems wie der Inspektor ihr Stück vom Kuchen kriegen muss der amerikanische Arbeiter in Camps für Obdachlose hausen, weil er durch die Wirtschaftskrise alles verloren hat. Auch daran verdient Nick Diamond. Seit die Polizei die Camps bewachen muss und die Ehrlichen unter den Beamten keine Zeit mehr haben, sich um die Verbrecher zu kümmern, steigen seine Profite. So soll es bleiben.

Mich erinnert das an Fritz Langs (ganz unpopulistischen) Kriminalfilm M. Da beschließt die von Gustaf Gründgens angeführte Berliner Unterwelt, selbst Jagd auf den von Peter Lorre gespielten Kindermörder zu machen, weil die dauernden Razzien der Polizei schlecht für die Geschäfte sind. (Walter Wanger produzierte 1937 Langs zweiten Film im amerikanischen Exil, You Only Live Once. 1945 gründete er mit seiner damaligen Ehefrau Joan Bennett und Lang eine eigene Firma, die Diana Productions, auf deren Konto zwei sehr gute Films noirs gehen: Scarlet Street und Secret Beyond the Door.)

In Gabriel Over the White House ist es so ähnlich. Damit die Geschäfte weiter so gut laufen können bietet Diamond John Bronson Geld. Dafür soll er den geplanten Protestmarsch absagen und mit seinen Leuten in den Camps bleiben, damit auch die Polizei dort bleiben muss, wo sie ist. Anders als der Inspektor ist Bronson nicht bestechlich. "Wir gehen nach Washington", sagt er, "um uns diese Regierung anzuschauen, die anständige Menschen hungern lässt und einem Haufen Geiern Vorschub leistet." Damit kündigt er genau das an, was eigentlich nicht sein sollte: Arbeitslose und Entrechtete, die der Regierung direkt auf den Pelz rücken.

Gabriel Over the White House

Washington als Ziel ist ein Überbleibsel aus einer früheren Fassung des Films. In der Kinoversion marschieren die Arbeitslosen nach Baltimore wie von Roosevelt vorgeschlagen. Dadurch wurde ein Protestmarsch daraus, der nicht ganz so bedrohlich wirkt wie einer, an dessen Ende eine Million Arbeitslose in Washington stehen, um der Regierung auf die Finger zu schauen. Während des Marschs lässt Nick Diamond Bronson aus einem fahrenden Auto heraus erschießen. Das ist eine der Actionszenen, die Wanger haben wollte, um den Film publikumswirksamer zu machen.

Gabriel Over the White House

Kinopropaganda

Im Roman ist Bronson der Anführer einer Gruppe von 3000 Obdachlosen, die in Chicago von Gangstern angegriffen werden. Der Gouverneur verweigert ihnen den Schutz durch die Nationalgarde. Auf dem Weg nach Springfield wird Bronson erschossen. Gemeint ist nicht das Springfield der Simpsons, sondern die kleine Stadt in Illinois, wo Abraham Lincoln seine Anwaltskanzlei hatte und eine seiner berühmtesten Reden hielt, in der er das Evangelium nach Markus (3:25) zitierte, um vor dem Zerfall der Nation zu warnen: "A house divided against itself cannot stand."

Präsident Rinehard gibt daraufhin beim Studioboss Peale Lindsey einen Propagandafilm in Auftrag, in dem Bronson "einen höchst melodramatischen Tod sterben soll, angereichert mit allem, was dabei half, Sentimentalität und Patriotismus zu stimulieren", wie Beekman, Rinehards Sekretär und der Erzähler des Romans, angewidert feststellt. "Jeder nur denkbare Kunstgriff der Filmindustrie sollte die Bösartigkeit der Gangster akzentuieren, und es sollte Passagen geben, die nichts weniger waren als unverhüllte Angriffe auf Offizielle vor Ort, die es versäumt hatten, die glücklosen Obdachlosen zu unterstützen."

Beekman mag keine Manipulation. Für ihn ist dieser Film "die schlimmste Gräuelpropaganda, die dem geduldigen und fügsamen amerikanischen Kinogeher je angetan wurde. Bevor der symbolische Bronson tot umfiel sollte er sich in Old Glory hüllen [das Sternenbanner] und an den Präsidenten als den einzigen Retter der Nation appellieren. Bevor sich seine Augen schlossen sollte ihm eine Vision von der Zukunft gewährt werden, von einem glücklichen und zufriedenen Land, bei der Arbeit wie beim Spiel."

Der Präsident zahlt für dieses "monströse Tamtam" aus eigener Tasche, was aber geheim bleiben muss (als Spross einer Unternehmerfamilie hat Rinehard ein Vermögen geerbt). Sein privater Reichtum hilft auch dabei, den Film in jedem Kino des Landes unterzubringen. "Mir wurde dabei ganz schlecht", kommentiert Beekman. "Es schien mir eine billige, geschmacklose Propaganda zu sein, und absolut sinnlos." Der Film mag geschmacklos sein, erfüllt aber seinen Zweck. Er läuft mit so großem Erfolg in den Kinos, dass der Präsident als heimlicher Finanzier sogar Profit macht.

"Von der technischen Qualität und von der Kameraarbeit her war der Film brillant gemacht", sagt Beekman, "und die schauspielerischen Leistungen waren über jede Kritik erhaben, aber die Geschichte war banal bis zum Gehtnichtmehr. Ich krümmte mich, als ich ihn mir ansah." Beekman ist mit seinem Abscheu nicht allein. Senatoren, Kongressabgeordnete und Privatleute im ganzen Land verlangen von Rinehard, den Film zu verbieten, weil er zur Störung der öffentlichen Ordnung anstachele. Der Präsident tut nichts dergleichen, weil der Film ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Alleinherrschaft ist.

In Anerkennung seiner Verdienste um die erfolgreiche Indoktrination der Amerikaner darf Lindsey das neu geschaffene Ministerium für Volksinformation leiten (in Deutschland, unter Joseph Goebbels, hieß es Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda). Gabriel Over the White House verzichtet wohlweislich auf den Produzenten und seinen Propagandastreifen, weil er selbst der Propagandafilm für eine Diktatur ist. Darauf durch einen Film im Film gesondert hinzuweisen wäre kontraproduktiv gewesen. Nicht nur Goebbels wusste, dass Propaganda dann am wirkungsvollsten ist, wenn man nicht gleich merkt, dass sie eine solche ist.

Inauguration Night

Mit Peale Lindsey entfiel aber auch die Figur, die Pendie liebt und heiratet. Es blieb nur Beekman, der Sekretär. Aus ihm und Pendie machte Wanger ein Liebespaar, weil Hays eine sexuelle Beziehung der Privatsekretärin mit dem Präsidenten verboten hatte. Der Film tut jetzt also genau das, was Tweed, der Sekretär von Lloyd George und Teilzeit-Geliebte von dessen Sekretärin/Geliebter Frances Stevenson, unbedingt hatte vermeiden wollen, indem er den Produzenten aus Hollywood erfand: er kopiert die Wirklichkeit. Manchmal ist die Zensur eine komische Veranstaltung.

Ungefähr in der Mitte des Films wird aus Beek und Pendie ein Paar. In den ersten 25 Minuten ist Pendie die Geliebte von Präsident Hammond, obwohl Hays es strengstens untersagt hatte. Das verdanken wir nicht zuletzt Gregory LaCava, der ein sehr unterschätzter Regisseur ist und 1936 mit My Man Godfrey eine der gelungensten Screwball Comedies inszenierte (Stage Door von 1937 und Unfinished Business von 1941 sind auch sehr sehenswert). Er wusste genau, wie man so etwas angehen musste, um in den ersten Jahren des Production Code damit durchzukommen.

Zuerst sehen wir die Festivitäten am Inauguration Day. Anstelle des lustigen Besäufnisses im Weißen Haus, das es ursprünglich gab, weil Präsident Hammond und seinen Kumpanen die Prohibition egal war, solange das Staatsvolk nichts davon mitkriegte, beklagt sich jetzt einer der Gäste über den Punsch, mit dem man nicht in Stimmung komme. Trotzdem sind alle sehr gut drauf, weil das eben ein nachträglich eingefügter Dialog ist, der suggerieren soll, dass es nur Alkoholfreies zu trinken gibt.

Gabriel Over the White House

Bei der Verabschiedung der Gäste ist der neue Präsident doch etwas beunruhigt. "So, jetzt bin ich also im Weißen Haus", sagt er zu seinem Parteichef, "und ziemlich besorgt, wenn ich an all das denke, was ich dem Volk versprochen habe, um gewählt zu werden." "Ach was", meint Jasper Brooks, der Vorsitzende der Partei. "Ein paar Versprechungen musstest du schon machen. Bis sie merken, dass du sie nicht einhalten wirst, ist deine Amtszeit vorbei." Beide Herren finden das sehr lustig.

Viel Gelächter erntet auch der Mann, der ankündigt, demnächst eine gesalzene Rechnung für die unerwarteten Stimmen aus Alabama zu schicken. Und Hammond bedankt sich artig beim Parteichef dafür, dass er als Präsident ausgesucht wurde. Nichts zu danken, sagt Brooks: "Du wirst der beste Präsident sein, den die Partei je hatte." Man kann hier auch sehen, wie gut Walter Huston war. Hammond ist da noch ein Mann, der eigentlich ein kleiner Junge ist und nicht recht glauben kann, dass das Weiße Haus sein neues Spielzeug ist.

Als die Gäste gegangen sind betritt Karen Morley das Gebäude, die 1932/33 eine interessante Phase ihrer Karriere erlebte. Als Poppy in Scarface ist sie die Geliebte des Gangsterbosses und dann seines Nachfolgers Tony Camonte. Als Consuela Fairbanks in The Washington Masquerade ist sie die Geliebte und spätere (untreue) Ehefrau eines Senators. Als Pendola "Pendie" Molloy in Gabriel Over the White House ist sie zur Geliebten des Präsidenten aufgestiegen. (Dazwischen, in The Mask of Fu Manchu, geriet sie noch in Gefahr, von Boris Karloff in Stücke geschnitten und von geilen Asiaten vergewaltigt zu werden.)

Der Vorname der Romanfigur, Independence, wurde wohl durch Pendola ersetzt, weil er in Verbindung mit dem US-Präsidenten zu sehr an die Declaration of Indepencence und den Independence Day erinnert hätte, den alljährlich am 4. Juli begangenen Nationalfeiertag. Das hätte man schon bei der Lektüre des Drehbuchs als politische Anspielung verstehen können, was Will Hays, der sich mit Worten besser auskannte als mit Bildern, überhaupt nicht leiden konnte. Also führte LaCava jetzt vor, was visuell in dieser Richtung zu machen war. Wenn er Frauen inszenieren konnte war er immer besonders gut.

Staatsaffäre

Pendies erster Auftritt ist famos. Der Präsident hat sich in seine privaten Gemächer zurückgezogen und Beek will nach Hause gehen, als er eine junge Frau sieht, die gerade hereingekommen ist. Die junge Dame hat den Blick scheinbar verschämt nach unten gerichtet, sucht tatsächlich aber nur die beste Position, um sich einzuführen. Sie macht ein paar Schritte nach vorn und tritt ins Zentrum des Great Seal, des Großen Siegels der Vereinigten Staaten, dessen Vorderseite dort in den Boden des Weißen Hauses eingelassen ist.

Gabriel Over the White House

Mehr Selbstbewusstsein geht fast nicht. Die Geliebte des Präsidenten nimmt den ihr gebührenden Platz ein. Auf Sitte und Anstand bedachten Zuschauern mit einem Sinn für Symbolik müsste dabei eigentlich die Luft weggeblieben sein. Die Rückseite des Great Seal schmückt übrigens das Allsehende Auge, ein Symbol für Gott. Das wäre auch eine Möglichkeit gewesen, doch eine Geliebte, die sich direkt über das göttliche Auge stellt, damit ihr der Allmächtige unter den Rock schauen kann, war vermutlich doch zu unverschämt.

Gabriel Over the White House

Stattdessen sind es die Augen des Sekretärs, die nun den Körper der jungen Frau abtasten. Wir teilen seinen Blick, wenn die Kamera von den Füßen über die Beine und die Taille hoch zum Kopf der Dame schwenkt, die da in der Mitte des Großen Siegels steht. Sie stellt sich als Miss Pendola Molloy vor und möchte den Präsidenten sprechen. "In welcher Angelegenheit?", fragt Beekman. "In der Angelegenheit Miss Pendola Molloy", antwortet sie und legt die Hand in den Nacken, was wieder eine Geste der Verlegenheit sein könnte und doch nur wie eine aufreizende Pose wirkt.

Der Sekretär überbringt die Visitenkarte der jungen Frau dem Präsidenten und erfährt, dass sie eine Person ist, die Tag und Nacht vorgelassen werden soll. Beekman führt Pendie zu Hammonds Privaträumen. "Sie sind meine erste offizielle Aufgabe", sagt er ironisch. Die Geliebte mag ihn, obwohl er ihr zu steif ist. Im Weißen Haus pflegt man einen eher lockeren Umgang, denn noch hat der Erzengel Gabriel den Präsidenten nicht besucht. Darum darf der Sekretär Miss Molloy "Pendie" nennen und Hammond "Major", und die beiden sagen "Beek" zu ihm.

Gabriel Over the White House

Man wünscht sich eine gute Nacht, dann macht Beek die Tür zur Präsidentenwohnung hinter sich zu. Ehe er das Weiße Haus verlässt entdeckt er auf dem Großen Siegel eine Haarnadel, die Pendie dort verloren hat. Er hebt sie auf, damit uns die Kamera den Weißkopfseeadler zeigen kann, das Wappentier der Vereinigten Staaten, und den Spruch, der damals noch das Motto des Landes war: "E pluribus unum" (1956 ersetzt durch "In God We Trust"). 1782, als das Great Seal entstand, bezog sich der Wahlspruch "Aus vielen eines" auf die einzelnen Bundesstaaten, die zusammen die USA bildeten. Hier vereinigt sich der Präsident gerade mit seinem Volk, in Gestalt von Miss Pendola Molloy, als der Sekretär das Weiße Haus verlässt.

Gabriel Over the White House

Viel frecher kann man das eigentlich nicht inszenieren. Es macht Lust, mehr von Gregory LaCava zu sehen, der eine ganz eigene Art hatte, Melodramatisches und Komisches zu verbinden und wie nebenbei noch ein paar elegant in Szene gesetzte Respektlosigkeiten einzubauen. Es wäre an der Zeit, ihn wiederzuentdecken. Bei Gabriel Over the White House nützte er geschickt aus, dass die Kämpfer gegen Schund und Schmutz auf sündhafte Dialoge fixiert waren, seit mit der Einführung des Tonfilms eine Schockwelle durch das Lager der Moralapostel gegangen war. Pendie sagt nicht ein unanständiges Wort und durfte daher weiter auf dem Großen Siegel stehen.

Der dritte (und letzte) Teil wird Aufschluss darüber geben, wie man den Kongress in die Wüste schickt, wie man sich als Populist die Medien zum Freund macht, was die Ein-Tropfen-Regel ist und wie man sich das Problem mit den kriminellen Ausländern ein für allemal vom Hals schafft.

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