Präventivstaat in Aktion

Die Polizeirazzia gegen linke und alternative Projekte im Umkreis der G-8-Gegner, die der Bildung einer terroristischen Vereinigung beschuldigt werden, sollte als Warnsignal verstanden werden

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Wenn es um Sicherheit geht, ist von der Staatsmacht im gleichwohl zu einem der sichersten Länder der Erde erklärten Deutschland Panik angesagt. Der G-8 Gipfel in Heiligendamm wurde schon präventiv zum Ereignis erkoren, das den größten Polizeieinsatz der bundesdeutschen Geschichte verdient hat. Und als würde der Veranstaltungsort im Feindesland liegen, hat man um den Veranstaltungsort, der Green Zone in Deutschland, einen Hochsicherheitszaun gebaut. Präventiv wurde nun auch noch kurz vor dem Ereignis eine bundesweite Razzia gegen "Objekte" durchgeführt, die mit den Protesten zu tun haben – und man reiht die vermuteten Planungen zu militanten Protesten in den Terrorzusammenhang (Erinnerung an Genua).

Die Hausdurchsuchungen wurden damit begründet, dass "die dem militanten linksextremistischen Umfeld zugehörigen Beschuldigten" im Verdacht stünden, "eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder Mitglieder einer solchen Vereinigung zu sein, deren Ziel es insbesondere ist, mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern." Zudem wurde die Durchsuchung von 40 Wohnungen, Büros und linken oder alternativen Einrichtungen allerdings auch begründet mit der Aufklärung von Brandanschlägen in Berlin, die der "terroristischen Vereinigung" der "militanten gruppe (mg)“ zu geschrieben werden, während man eine andere Gruppe in Hamburg hinter dort ausgeübten Brandanschläge vermutet.

Inwieweit der Verdacht begründet ist, dass die Hamburger Gruppe und die Berliner "militante gruppe" in Verbindung mit den durchsuchten Einrichtungen und auch hinter allen aufgezählten Brandanschlägen zwischen 2005 und 2007 stehen, muss man ebenso abwarten wie die Bestätigung eines konkreten Tatverdachts der Planung von Anschlägen während des G-8-Gipfels. Festgenommen wurde niemand. Das Problem beim Vorgehen der Bundesanwaltschaft liegt auch nicht darin, mutmaßliche Mitglieder der "mg", die mutmaßlich zusammen Brandanschläge geplant und ausgeführt haben, nach dem Paragraph 129a zu verfolgen. Dieser ist so erweitert worden, dass auch Vereinigungen, die Computersabotage, Zerstörung eines Bauwerks oder von wichtigen Arbeitsmitteln oder eben gemeingefährliche Straftaten wie Brandstiftungen planen, als "terroristische Vereinigungen" gelten können.

Verfolgt werden können auch alle "Mitglieder" einer solchen Vereinigung, "wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann." Bedroht wird angeblich der G-8-Gipfel – ein Staat? eine Behörde? Eine internationale Organisation?

Man weiß, dass Bundesinnenminister Schäuble und Bundesjustizministerin Zypries planen, die zwar schon sehr weiten, aber offenbar für präventive Zwecke noch immer als zu eng empfundenen Fesseln des § 129a zu lockern und auch auf Einzelne zu erweitern. Nach dem Strafgesetzbuch ist auch der Versuch strafbar, etwa Computersabotage zu begehen, mit dem § 129a sind aber auch bereits Planung und Vorbereitung strafbar – sowie "Mitglieder" oder Unterstützer. Die Erweiterung des Paragraphen dient dazu, Präventivmaßnahmen auf Verdacht schneller und umfassender ausführen zu können.

Dazu fällt ein, dass Bundesinnenminister Schäuble sich unlängst bereits Gedanken über die Unschuldsvermutung gemacht hat, die bei der Abwehr drohender Gefahren nicht gelten dürfe. Dem hatte auch Bundesjustizministerin Zypries zugestimmt. Haben wir es bei diesem Fall schon damit zu tun? Geht es nicht ein paar Nummern kleiner? fragt Sonja Kerscher zu Recht in ihrem Kommentar in der Süddeutschen. Natürlich, aber offensichtlich wollte man es so dramatisch und schwerwiegend demonstrieren – das hat nicht nur einen Zweck, sondern ist auch Symptom für die politische Befindlichkeit.

Dass die massive Aktion mit der Beschlagnahmung von Computern und Festplatten und den Kopien mehrerer Verzeichnisse von so36.net, wodurch schnell alle im Umkreis Stehenden in den Terrorverdacht und auf die Antiterrorliste geraten können, kurz vor dem Gipfel nicht nur tatsächliche Mitglieder einer möglichen terroristischen Vereinigung belangen und von mutmaßlichen Anschlägen abhalten soll, sondern auch dem Zweck dient, präventiv die Menschen, die an den zahlreichen Protestaktionen teilnehmen wollen, abzuschrecken, liegt auf der Hand. Jeder soll sich überlegen, ob er um die mit Tausenden von Sicherheitskräften und einer Hightech-Mauer vom bedrohlichen Volk abgeschirmten Regierungschefs, deren Schutz dem deutschen Steuerzahler 100 Millionen Euro kostet, in den Kontext des Terrorismus und der mit ihm einhergehenden Strafen geraten will.

Bedenklicher aber ist, dass nun, was auch schon während der Fußballmeisterschaft deutlich wurde, schleichend der Kampf gegen den Terrorismus, einst gegen den internationalen oder muslimischen Extremismus, erweitert wird. Der Verdacht liegt nach den unermüdlichen Anstrengungen der Sicherheitspolitiker nahe, auch bei nur abstrakter, also nur denkbarer Gefahrenlage, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden immer weiter auszubauen, dass der Terrorismusverdacht ebenfalls ständig erweitert wird und sich bald gegen legitime, wenn auch radikale Protestbewegungen richtet, denen man, ganz nach russischer Position in der "gelenkten Demokratie", Gewaltausübung unterstellt, um sie verfolgen und einschüchtern zu können. Auf dieser Rutschbahn könnte man schnell wieder in einem Deutschen Herbst landen, vor allem aber politische Freiheiten und demokratischen Rechtsstaat gefährden. Die Überwachungsmittel sind schon zur Hand und werden gerade geschaffen, die einem autoritärer werdendem Staat die Werkzeuge in die Hand legt, die nicht technisch, sondern "nur" – und immer weniger – gesetzlich und damit leicht veränderbar in Fesseln gehalten werden.