"Priesterlicher Geist", "echtes Soldatentum" und der Teufel in Russland

Seite 3: Leseprobe

Die nachfolgende Leseprobe (theologische Kommentierung) ist der Neu-Edition der Dokumentation Heinrich Missallas entnommen:

Heinrich Missalla: "Der problematische Gehorsam"

Es ist bekannt, dass Staatstreue und Gehorsam gegenüber den Vorgesetzten in Kirche und Staat seit eh und je zu den besonders gepflegten christlichen Tugenden gehörten und im christlichen Erziehungsprogramm eine wichtige Rolle spielten, gemäß der traditionellen Interpretation der Forderung des Apostels Paulus in seinem Brief an die Römer, dass jeder sich der obrigkeitlichen Gewalt unterwerfen solle, da sie von Gott komme. "Wer demnach sich der (obrigkeitlichen) Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes; und die sich (dieser) widersetzen, ziehen sich selbst die Verdammnis zu" (Römerbrief 13,1 f., alte "Vulgata-Übersetzung").

"Verdammnis!" – dieses nur allzu bekannte, mit Angst und Schrecken verbundene Wort aus christlicher Predigt und Erziehung verbannte jeden Gedanken an Ungehorsam. Die Katholiken hatten in ihrem Religionsunterricht gelernt und in den Predigten gehört: "Befehle der Obrigkeit sind Befehle Gottes", sie sei "Gottes Stellvertreterin" (Volks-Katechismus, 4. Aufl. Trautenau 1898; Apologetisches Taschenlexikon 1921).

Die Verpflichtung zum Gehorsam kannte nur eine Grenze: den Verstoß einer staatlichen Anordnung gegen Gottes Gebot. Im Zweifelsfall aber galt, dass die Obrigkeit über die bessere Erkenntnis und Einsicht verfüge als der einfache Bürger, man also auch in diesem Fall zu gehorchen habe.

Der Dominikaner Dominikus Maria Prümmer schrieb in seinem Lehrbuch der katholischen Moraltheologie (4. Auflage 1898): "In unseren Zeiten und Gebieten ist es nicht mehr Sache des einzelnen Soldaten oder der unteren Beamten, über die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit eines Krieges zu urteilen; es ist nämlich für einen Privatmann völlig unmöglich, alle Motive zu durchschauen, welche die so genannte nationale Diplomatie dazu brachten, einen Krieg zu beginnen. Daher sind die Soldaten nicht mehr frei, ja, sie würden mit dem Tod bestraft, wenn sie sich weigern würden zu kämpfen."

Angesichts der durch das Konkordat festgeschriebenen Rechtslage und bedingt durch das vorherrschende Verständnis von Staat, Vaterland und staatsbürgerlichen Pflichten haben die deutschen Bischöfe sowohl bei Beginn des Krieges 1939 als auch während seines Verlaufs die Gläubigen wiederholt und z.T. unter ausdrücklicher Berufung auf ihre Amtsautorität zur "Pflichterfüllung" und Tapferkeit, zur Opferbereitschaft und zum Gehorsam gegenüber der Staatsführung bis zur Hingabe des eigenen Lebens aufgerufen. Damit haben sie den Gläubigen die aktive Teilnahme an Hitlers Krieg zur Gewissenspflicht gemacht. Das führte in den Predigten folgerichtig zum Glauben an eine "Pflicht gegenüber Volk und Glauben" und zu "bedingungsloser Einsatzwilligkeit" im "Dienst an Gottes Wille zu Gottes Reich".

Heinz Hürten kommt in seinem Buch "Deutsche Katholiken" (1992) zu dem Ergebnis: "Die Frage nach der Gerechtigkeit dieses Krieges als Voraussetzung für die Bejahung dieser Pflicht ist anscheinend nicht oft gestellt worden, vielleicht im Bewusstsein, sie nicht entscheiden zu können und darum die Verantwortung dafür bei denen lassen zu müssen, die ihn führten." Bis auf den Feldbischof Rarkowski hat meines Wissens kein Bischof den Krieg Deutschlands ausdrücklich als "gerecht" bezeichnet.

Doch: Wenn die Bischöfe der Überzeugung waren, dass die Katholiken als Staatsbürger – traditioneller Morallehre gemäß – zur Teilnahme am von der Obrigkeit verordneten Krieg verpflichtet seien, müssen sie die Kriegführung für rechtens gehalten haben. Anderes anzunehmen hieße, den Bischöfen zu unterstellen, sie hätten wissentlich über Jahre hin die Gläubigen dazu verpflichtet, an einem ungerechten Krieg teilzunehmen.

Dass sie damit nicht – wie es ihre Absicht war – für das Vaterland sich eingesetzt haben, sondern Hitlers Krieg unterstützten und "de facto für die Erhaltung und Ausbreitung des NS-Regimes kämpften" (Thomas Breuer), scheinen sie durchweg nicht erkannt zu haben. Und es darf wohl als tragisch bezeichnet werden, dass ausgerechnet jene Menschen Hitler bei der Durchführung seiner Pläne unterstützt haben, die zu den entschiedensten Gegnern der nationalsozialistischen Ideologie gehörten.

Das Festhalten katholischer Theologen und Amtsträger an der behaupteten Gehorsamsverpflichtung gegenüber der Reichsregierung und dem "Führer" bis zum bitteren Ende des Krieges ist umso rätselhafter, als das damals gültige Kirchliche Gesetzbuch (Codex juris Canonici von 1917) in den Canones 1316 bis 1321 klar umschrieben hat, wie ein Eid bindet und unter welchen Umständen er nicht mehr verpflichtet. Nach katholischer Tradition sind Versprechen und Eid nichtig, "wenn die übernommene Verbindlichkeit Dritten zum Schaden gereicht, dem öffentlichen Wohl oder dem ewigen Heil abträglich ist".

Außerdem ist jeder Eid "strikte zu interpretieren, und zwar so, dass der Schwörende nicht beabsichtigte, eine mit dem Recht in Widerspruch stehende Verbindlichkeit einzugehen" (Eduard Eichmann, 1930). Während kirchliche Behörden ansonsten sehr gewandt mit den Vorschriften des Codex umzugehen verstehen und sie zumindest gegenüber den Untergebenen zur Geltung bringen, haben sie während der Zeit des "Dritten Reiches" auf die Anwendung der im Codex genannten Kriterien verzichtet.

Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen über seine Rolle als Feldgeneralvikar der Deutschen Wehrmacht schrieb Georg Werthmann am 12. April 1959 an M.K.: "Ich habe als Priester bei meiner Priesterweihe Gehorsam versprochen und mich in den 35 Jahren meiner priesterlichen Tätigkeit grundsätzlich immer nur im Gehorsam rufen und damit berufen lassen." Sein ganzes Leben hat Georg Werthmann sich an dieses Gehorsamsversprechen gehalten, und es sieht aus, als habe er auch eigene bessere Einsichten zugunsten des Gehorsams zurückgestellt.

1935 hatte er ein Büchlein herausgegeben "Wir wollen dienen!" mit dem Leitspruch: "Glaubenskraft als Quelle der Wehrkraft!" und mit der Widmung: "Der wehrfähigen Mannschaft des deutschen Volkes als Ruf und Vermächtnis der Gefallenen". Die einzelnen Kapitel sind militärisch-markig überschrieben: "Soldatenehre" (Gehorsam; Pflicht; Kameradschaft; Treue), "Soldatentugend" (Manneszucht; Mut; Kraft; Wahrhaftigkeit) und "Soldatenfrömmigkeit" (Gotteserlebnis; Gottesfurcht; Gotteshilfe; Gottesnähe). Im Nachwort "Soldatenseelsorge" schrieb Werthmann: "Gesundes religiöses Glaubensleben gibt der soldatischen Haltung ein Fundament, das tiefer verankert ist als jedes andere …"

Im Ersten Weltkrieg habe die Feldseelsorge "Vorbildliches im Dienste von Volk und Vaterland" geleistet. "Ohne diese Pflege des religiösen Geistes wäre die Disziplin des Heeres kaum so lange und so straff zu halten gewesen. Religiöse Haltung trieb zur Pflichterfüllung bis zum Opfertode und zum Durchhalten über alles Versagen der Nerven hinaus."

Im Kapitel über den Gehorsam als "Angelpunkt des Soldatentums" ist zu lesen: "Ob ein Mensch gehorchen kann oder nicht, ist entscheidend für seine Brauchbarkeit im Leben. Ob eine Truppe gehorchen kann oder nicht, ist entscheidend für ihre Brauchbarkeit im Frieden wie im Kriege. So ist Gehorsam die erste Soldatentugend, innerste Voraussetzung für wahres Soldatentum. Ihn befiehlt das eherne Soldatengesetz, ihn schützt die Autorität des vierten Gebotes … Es ist nicht Soldatenart, sich erst in endlosen Debatten darüber auszusprechen, ob dieses oder jenes unternommen werden soll."

Beim Beginn des Krieges hatte der Feldgeneralvikar gefordert, dass die Arbeit der Wehrmachtsseelsorge und der Kirchlichen Kriegshilfe "im Dienste des deutschen Siegeswillens" stehen müsse. Wenige Wochen nach dem Ende des Krieges schrieb er während seiner Internierung in einer fiktiven Ansprache an die gefallenen Mitbrüder: "Ihr habt Euch geirrt wie Wir; Ihr habt Eure Soldatenpflicht aufgewandt für Phantome, die Euch vorgespiegelt waren. Aber Ihr habt geirrt in bestem Glauben und in reiner Meinung.

Wir dagegen müssen noch geläutert werden, und mit der aufdämmernden Erkenntnis von einigen Tagen und Wochen ist es da nicht getan; in harten Entbehrungen müssen wir die Armut im Geiste wieder lernen …" (28. Juni 1945). Und am 19. Juli 1945 notierte er: "Wir haben alle Deutungen der allein Gott zustehenden Hoheit des Gerichts an uns zu reißen versucht und gingen in vermessener Selbstgerechtigkeit an die äußere Vernichtung des Bolschewismus.

Mit den Waffen wollten wir ein Gericht abhalten über die Macht im Osten und haben dabei alle bolschewistischen Methoden bejaht, dadurch – was noch schlimmer ist – alle antibolschewistischen Glaubensinhalte – Christentum, Volk, Persönlichkeit, Freiheit – den Dämonen des bolschewistischen Weltempfindens ausgeliefert und eben damit den Bolschewismus noch in jener Höhenlage bejaht, von der aus er allein wirksam bekämpft werden kann."

Ende der Leseprobe