Privatisierung des amerikanischen Rechtssystems schreitet voran
In den USA unterliegen immer mehr Gesetzesnormen auf verschiedenen staatlichen Ebenen dem Copyright privater Urheberorganisationen
In Deutschland ist es (noch) nicht vorstellbar, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten schon seit Jahrzehnten Realität. Gesetzesvorschriften aus verschiedenen Rechtsgebieten gehören anstatt der Allgemeinheit der Bürger zunehmend privatrechtlichen Organisationen. Die nicht genehmigte Reproduktion etwa im Internet wird daher geahndet, für eine Kopie der Normen werden Bürger wie Staat kräftig zur Kasse gebeten. Gegner dieser Entwicklung wollen jetzt eine Grundsatzentscheidung durch das Oberste US-Bundesgericht erwirken.
Angenommen, man würde eine juristische Examensfrage einmal so stellen: wem gehört der Wortlaut von § 42 aus dem Bayerischen Baugesetzbuch? Wäre natürlich viel zu leicht. Jeder angehende Jurist weiß, dass deutsche Gesetzesnormen dem Staatsvolk, der Allgemeinheit der Bürger gehören. In den Vereinigten Staaten wäre die Antwort auf eine entsprechende Frage überhaupt nicht so einfach, da gibt es durchaus wesentliche Ausnahmen. Und diese Ausnahmen nehmen bereits erheblichen Einfluss auf die amerikanische Rechtsprechung, was das Online-Copyright betrifft. Peter Veeck, ein ehemaliger Pilot aus der Kleinstadt Denison in Texas, hatte vor drei Jahren einen dicken Stein ins Rollen gebracht, als er plante, ein heruntergekommenes Gebäude in seiner Heimatstadt zu renovieren. Für dieses Vorhaben kaufte er sich eine Kopie der einschlägigen Gesetzesvorschriften in seinem Gebiet, des sogenannten "Building Code". Die etwa 1000 Seiten, die bis ins Detail festlegen, wie ein Gebäude konstruiert sein muss, kosteten Veeck 300 Dollar. Um anderen Leuten solche Bauvorhaben zu erleichtern, stellte er das Gesetzeswerk auf seiner Homepage ins Web. Kurz darauf erlebte er eine böse Überraschung. Ein Anwalt schickte Veeck eine Email mit der Androhung, ihn wegen Copyrightverletzung zu verklagen. Der Jurist gab an, die Interessen einer gemeinnützigen Organisation namens Southern Building Code Congress International Inc., SBCCI, zu vertreten, die Veeck mit der Veröffentlichung im Netz verletzt habe. Veeck fiel aus allen Wolken, dachte er doch einst in der Schule gelernt zu haben, dass das Recht öffentlicher Besitz aller Bürger sei.
Das ist aber in den Vereinigten Staaten schon seit den späten 20er Jahren nicht mehr generell so. Damals hatten Bauunternehmer und Architekten beschlossen, gemeinnützige Organisationen wie die SBCCI zu gründen. Sie wollten sich damit der Weiterentwicklung technischer Sicherheitsstandards beim Bau von Gebäuden und ihrer gesetzlichen Normierung annehmen, weil sie befürchteten, dass der Staat dieser Aufgabe nicht mehr richtig gerecht wurde. Kommunale und bundesstaatliche Organe nahmen die für sie erstellten Normen gerne an, es kostete sie ja auch nichts. Das Copyright am Gesetzestext behielten aber die privaten Organisationen. Jede Reproduktion kostet seitdem eine erkleckliche Summe - auch den Staat als eigentlichen Hüter der Gesetze. Außer im Baurecht gibt es in den USA weiteres privates Copyright beispielsweise bei der ärztlichen Gebührenordnung, die als Bundesgesetz der American Medical Association gehört. Beim Umgang mit Elektrizität normiert The National Fire Protection Association einschlägige Vorschriften zur Brandverhütung, außerhalb des amerikanischen Staatsgebiets auch in Guam und Puerto Rico.
Der Veeck-Fall hat unter amerikanischen Juristen eine heftige Diskussion um die Rechtmäßigkeit privater Urheberrechte an Gesetzesnormen angestoßen. Peter Veeck selbst erhob eine Normenkontrollklage wegen der angeblichen Urheberrechtsverletzung, die gegenwärtig bei der Fünften Kammer des Appellationsgerichts anhängig ist. Verschiedene angesehene Rechtsprofessoren bestreiten entgegen der in bisher zwei Instanzen ergangenen Urteile, dass es ein Copyright am Gesetz überhaupt geben kann und ergreifen für Veecks Anliegen Partei. Robert Veal, Anwalt des "Southern Building Code Congress International Inc.", stellt dagegen Analogien zum langwierigen Konflikt der Musiktauschbörse Napster (Vgl. Die Zukunft des digitalen Entertainments) mit der Musikindustrie her. Auch Organisationen wie die von ihm vertretene SBCCI hätten das Recht, so Veal, sich gegen eine nicht genehmigte Verwendung der von ihnen geschaffenen Werke zu wehren. Mark Johnson von der Organisation International Conference of Building Officials , die in Kalifornien das Copyright an Baurechtsnormen besitzt, weist auf die positive Wirkung hin, die die Arbeit seiner Gesellschaft ja schließlich für die Allgemeinheit habe. Die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsstandards beim Hausbau hätten die Sicherheit vor schweren Schäden im überdurchschnittlich stark von Erdbeben bedrohten Sonnenstaat stark erhöht.
Abgesehen von solch noblen Zielen bedeutet die Wahrnehmung der Urheberrechte an Gesetzestexten für die Firmen aber vor allem ein äußerst lukratives Geschäft. Der vollständige Building Code kostet in Kalifornien als Kopie 738 Dollar (!). Die "Southern Building Code Congress International Inc." schätzt selbst, wie sie in einer Prozessschrift mitteilt, dass sie in den kommenden zehn Jahren etwa 6,7 Millionen Dollar mit dem Verkauf von Baurechtstexten verdienen wird. Und von der Bush-Regierung ist wohl nicht zu erwarten, dass das republikanische Dogma "Zurückdrängen des Staates aus der Gesellschaft" selbst bei einem für eine Demokratie so sensiblen Thema wie privatem Urheberrecht an Gesetzen außer Kraft gesetzt werden wird. Der amerikanische Bürger zahlt also zweimal: erst mit seinen Steuern für die Gesetze, die er als treuer Untertan ohnehin befolgen muss, dann noch einmal für eine Kopie der Normen. Da fällt einem doch der alte Protestsänger und Ami-Hasser Paul Weller wieder ein, der einst röhrte: "The Law`s made for and by the Rich"...