Die Zukunft des digitalen Entertainments
Anhörung vor dem US-Justizausschuss mit All-Stars-Besetzung zeigt Ungereimtheiten im digitalen Vertriebswesen auf
Der Justizausschuss des amerikanischen Senats beriet mit einem All-Star-Aufgebot über die Auswirkungen der digitalen Revolution auf die Film- und Musikbranche
Tags zuvor hatte Napster-Gründer Shawn Fanning noch hunderte Fans zu einem Teach-In um sich geschart, doch auf der Anhörung des US-Senats unter dem Motto "Online Entertainment and Copyright Law: Coming Soon to a Digital Device Near You" saß er nur noch in der zweiten Reihe - und das nicht nur, weil Alanis Morissette kurzfristig zugesagt hatte. Die Anhörung zeigte, dass die Online-Entertainment-Branche weit komplexere Probleme kennt als Napster.
Als der ehemalige Eagle-Musiker Don Henley das Wort ergriff, nutzte Senator Leahy die Gunst der Stunde: Er zückte seine Kamera und schoss ein paar Fotos zum Andenken. Wer will es ihm verdenken? Schließlich haben selbst Senatoren selten mit so viel Stars auf einmal zu tun. Links neben Henley saß Alanis Morissette, direkt daneben Napster-CEO Hank Barry. Auch Jack Valenti von der Motion Picture Alliance of America, EMI-Records-Chef Ken Berry, RIAA-Präsidentin Hillary Rosen und andere Promis der Entertainmentbranche waren mit von der Partie, als gestern der US-Justizausschuss zur Anhörung über die Zukunft des digitalen Entertainments geladen hatte.
Schon zum zweiten Mal organisierte der Ausschuss eine derartige Anhörung, um zu überprüfen, ob Gesetze wie der DMCA noch Bestand in der sich rasant ändernden Online-Welt haben. Vor einem Jahr hatte an gleicher Stelle Lars Ulrich von Metallica mit Hank Barry über Napsters Rechtmäßigkeit gestritten. Auch gestern waren wieder zahlreiche Fans der Tauschbörse vor Ort. Der Andrang war sogar so groß, dass Senator Healey doppeldeutig witzelte:
"Sie müssen irgend etwas verschenken."
Womit er nicht nur die 1000 T-Shirts gemeint haben wird, die Napster gestern kostenlos an seine Anhänger verteilte. Doch trotz der großen PR-Anstrengungen der Tauschbörse wollte sich nach nach deren Allianz mit Bertelsmann und der letzten Niederlage vor Gericht gestern niemand mehr groß über Filesharing streiten. Hillary Rosen erklärte gar:
"Napster war aufregend. Aber das sind Geschichten von gestern."
Good bye Napster, willkommen Musicnet?
Genug Gesprächsstoff war dennoch vorhanden. Dafür sorgte nicht zuletzt die am Montag angekündigte Gründung der Musicnet-Plattform durch Bertelsmann, AOL Time Warner, die EMI und Real Networks. Musicnet soll die Musik der beteiligten Plattenfirmen an andere Online-Anbieter lizenzieren, damit diese Download- und Streaming Media-Angebote auf Abobasis starten können. Senator Hatch hatte solch einen Schritt bereits mehrfach angemahnt und den Majors mit Sanktionen gedroht, falls sie ihre Inhalte nicht bald online verfügbar machen würden. Dass die Plattenfirmen sich nun so unmittelbar vor der gestrigen Sitzung bewegt haben, beeindruckte auch Napster-CEO Hank Barry:
"Als ich das gestern gehört habe, dachte ich mir: Wir sollten jede Woche so ein Hearing haben."
Richards Parsons von AOL Time Warner nutzte dann auch seine Redezeit, um ordentlich für Musicnet die Werbetrommel zu rühren. Natürlich werde man auch an Napster lizenzieren. Jedenfalls, wenn das zukünftige Modell der Tauschbörse den eigenen Vorstellungen vom Copyright-Schutz gerecht werde. In Abwandlung eines Mottos der Filesharing-Bewegung erklärte er optimistisch:
"Digital Distribution is here to stay."
Allerdings musste Parsons eingestehen, dass sich die Musicnet-Technik noch im Betastadium befindet. Auf beharrliche Nachfrage erklärte er außerdem, dass man voraussichtlich auch nur mit 70 000 Songs starten werde. Um den gesamten Katalog der Labels online verfügbar zu machen, müssten noch Millionen von Copyrights geklärt werden.
Die Crux mit den Lizenzen
Eine Aufgabe, die für Musicnet noch problematisch werden könnte. Die beteiligten Plattenfirmen besitzen in der Regel nur die Rechte an den Aufnahmen der von ihnen vertriebenen CDs, nicht aber an den Kompositionen selbst. Diese müssen sie erst von den jeweiligen Musikverlagen erwerben. Durch Coverversionen, Samples und verschiedene Verträge einzelner Bandmitgleider sind oftmals zahlreiche Verlage in die Produktion eines einzigen Albums involviert.
Diese Schwierigkeiten teilen die Majors mit ihrer Konkurrenz aus dem Internet. MP3.com-Präsident Robin Richards berichtete, dass bei manchem Hip-Hop-Song wegen der Samples bis zu zwanzig solcher Lizenzen einzeln ausgehandelt werden müssten. Ein Problem, an dem der my.mp3.com-Service seiner Firma bis heute krankt. Rund zwei Drittel der bereits ins System eingespeisten CDs könne man nicht freischalten, weil die nötigen Lizenzen dafür nicht zu aufzutreiben seien. Auch Napster-CEO Hank Barry erklärte, die Rechte für tausende jährlich erscheinende neue CDs könne man als Online-Anbieter nicht alle einzeln aushandeln.
In seltener Einigkeit forderte er deswegen gemeinsam mit Richards die Einführung einer obligatorischen Lizenz für digitale Musikangebote. Eine solche Lizenz gibt es bereits in der Welt des analogen Radios. Eine Radiostation kann ihr Programm ohne mühsame Verhandlungen mit den einzelnen Rechteinhabern zusammenstellen und zahlt statt dessen vom Justizausschuss festgelegte Beträge an die Verwertungsgesellschaften. Für die Ausstrahlung von Radioprogrammen im Internet ist ähnliches geplant. Doch die großen Labels wollen solche pauschalen Lizenzen nicht auf den Bereich der digitalen Distribution ausweiten, sondern lieber weiter ihre Verträge einzeln aushandeln.
Musiker fordern einen Platz am Verhandlungstisch
Den Grund dafür lieferte Don Henley, der vor dem Ausschuss als Mitgründer der Recording Artists Coalition auftrat. Bei pauschalen Lizenzen erhalten Musiker einen größeren Teil des Kuchens - was logischerweise eine geringere Gewinnspanne für die Plattenfirmen bedeutet. Außerdem können diese bisher die Einnahmen aus Downloads und interaktiven Internet-Angeboten mit den von ihnen gezahlten Vorschüssen verrechnen. Eine Praxis, die schon bei den Einnahmen aus Plattenverkäufen zu bizarren Situationen führt, wie Henley erklärte:
"Ein Musiker kann 500 000 Platten verkaufen und keinen einzigen Dollar zu Gesicht bekommen."
Gemeinsam mit Alanis Morissette forderte er mehr Einfluss der Musiker auf die Gestaltung der Online-Distributionswege. Die großen Plattenfirmen hätten in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nicht die Interessen der Musiker verfolgten. Um fair bezahlt zu werden, forderten beide für Musiker einen "Platz am Verhandlungstisch". Alanis Morissette hatte sich als eine der ersten bekannten Musiker für MP3.com begeistert, sich von den unrentablen Aktien des Konzerns aber bald wieder getrennt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen erklärte sie, bisher sei der traditionelle Vertrieb noch der beste Weg für Musiker zum Erreichen eines breiten Publikums. Doch wenn sich dies ändere, gäbe es keinen Grund, den Status quo beizubehalten.
Digital Rights Management als Weg zum Vertriebsmonopol
Eine deutliche Warnung an die Plattenfirmen. Längst sind die Fronten nicht mehr so klar verteilt wie noch im Streit um Napster. Musiker beäugen die Aktivitäten ihrer Plattenfirmen im Netz zunehmend kritisch. Anbieter wie MP3.com und Napster stehen plötzlich vor den gleichen Lizenz-Problemen wie AOL Time Warner oder die EMI. Die Majors wiederum mussten sich gestern einige kritische Nachfragen zu ihrem Musicnet-Konglomerat gefallen lassen: Wird es wirklich allen Anbietern zu gleichen Bedingungen Lizenzen verkaufen? Steve Gottlieb vom Indie-Label TVT Records äußerte die Befürchtung, dass mit Musicnet Subscription-Angebote von den großen Plattenfirmen beherrscht werden könnten.
Mike Farrace vom CD-Händler Tower Records beschwerte sich nicht nur über fehlende Lizenzen, sondern auch über die Form, in der die Inhalte von den Labels zur Verfügung gestellt würden. So verlangten einige Firmen persönliche Registrierungen der Nutzer, andere sammelten über proprietäre Software unbemerkt Userdaten. Letztlich sei Digital Rights Management nichts anderes als der Versuch, über die Kontrolle des legitimen Nutzens von Musik ein Vertriebsmonopol aufzubauen und Retailer aus dem Geschäft zu verdrängen.
Ganz der Alte geblieben ist nur Jack Valenti von der MPAA. Ehrlich empört wetterte er dagegen, dass täglich rund 350 000 Videos aus dem Internet heruntergeladen werden. Innerhalb eines Jahres könnten es eine Million sein. Empört war schließlich auch Gerry Kearby, seines Zeichens Mitbegründer von Liquid Audio. Seine Firma hat sich über Jahre hinweg redlich bemüht und trotzdem erst die Rechte für den Vertrieb von 14 000 Musikern erworben. Beleidigt stellte er fest, dass andere offenbar erfolgreicher sind:
"Jetzt mit Napster zu verhandeln ist eine Belohnung für jahrelanges illegales Verhalten."
Senator Hatch deutete gegen Ende des vier Stunden langen Mammut-Events schließlich an, dass man vielleicht doch über Gesetzesänderungen in den Markt eingreifen könne. Wie diese aussehen könnten, ließ er jedoch offen. Auf jeden Fall werde man weiterhin ähnliche Anhörungen veranstalten - und das sicher nicht nur, damit Leahy noch ein paar nette Fotos machen kann. Die Zukunft des digitalen Entertainments zu gestalten wird keine leichte Aufgabe, das weiß auch Hatch. Dafür aber eine um so wichtigere. Weitsichtig erklärte er:
"Wir sollten sehr interessiert an der Zukunft sein, denn wir haben dort den Rest unseres Lebens zu verbringen."