Washington bereitet sich auf den Napster-Tag vor
Future of Music Coalition: "Amerikas Musikindustrie ist gescheitert."
Aufregung in Washington: Die katholische Hochschule lud Shawn Fanning und sein Teach-In-Team kurzfristig wieder aus - angeblich auf Druck der RIAA. Musiker befürchten nun, dass durch solche Konflikte die eigentlich entscheidenden Aspekte des morgigen Tages untergehen könnten.
Eigentlich hätte alles so schön sein können: Tausende von Napster-Fans werden schon heute in Washington erwartet. Gegen Abend wollte man ihnen an der katholischen Hochschule in bester Bürgerrechts-Tradition ein Teach-In mit Napster-Gründer Shawn Fanning bieten, um dann morgen bei der Sitzung des Justizausschusses des US-Senats massiv Präsenz zu zeigen. Auch wenn nicht klar ist, wie viele Filesharing-User sich tatsächlich für Senatsangelegenheiten interessieren, brachte der "Marsch auf Washington" der Tauschbörse bereits wunderbare Publicity.
Nun machte die katholische Hochschule Napster einen Strich durch die Rechnung. Auf ihrem Gelände wird es kein Teach-In geben. Offizielle Begründung dafür: Die Regeln der Hochschule verlangen bei solchen Veranstaltungen eine ausgewogene Darstellung. Napster hatte aber offenbar kein Interesse daran, jemanden von der Musikindustrie zu Wort kommen zu lassen. Napster-Fans wollen sich damit allerdings nicht abfinden und glauben, die Recording Industry Association of America höchstpersönlich habe die Hochschulleitung unter Druck gesetzt, um das Event zu verhindern. Damit Shawn Fannings Fans trotzdem nicht auf die Worte ihres Lieblingsnerds verzichten müssen, mietete Napster jetzt kurzerhand das Ronald Reagan Trade Center an.
"Amerikas Musikindustrie ist gescheitert."
Wie viel an der erzwungenen Ausladung wirklich dran ist, lässt sich nur schwer beurteilen. Fest steht, dass Napster damit einmal mehr die Schlagzeilen beherrscht. Eigentlich ist für den morgigen Tag eine Anhörung des Justizausschusses unter dem schönen Titel "Online Entertainment and Copyright Law: Coming Soon to a Digital Device Near You" angesetzt, um rechtliche Rahmenbedingungen wie den Digital Millennium Copyright Act auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und später gegebenenfalls anzupassen. Doch daraus ist längst ein Napster-Event geworden. Auch der Tauschbörse freundlich gesinnten Musikern ist dieser Effekt nicht ganz geheuer. Sie befürchten, dass die Komplexität der Materie auf zu wenige Personen und Programme reduziert wird.
Nach Auffassung der Future of Music Coalition wird dies noch durch den Umstand begünstigt, dass Schwarz-Weiß-Malerei im heutigen Musikbusiness oft tatsächlich gar nicht so weit von der Realität entfernt ist. In einem vorläufigen Statement zur morgigen Anhörung erklärt die Musikervereinigung:
"Jede ernsthafte Untersuchung der digitalen Zukunft downloadbarer Musik muss die Tatsache berücksichtigen, dass Amerikas Musikindustrie im Wesentlichen gescheitert ist."
Nur von einem Prozent der bei den großen Plattenfirmen veröffentlichten Alben werden mehr als 10 000 Stück verkauft. Die meisten Musiker blieben damit unterhalb der Gewinngrenze und sähen sich gezwungen, die ihnen ausgehändigten Vorschüsse zurückzuzahlen und mühsam abzuarbeiten. Doch diese bittere Realität tauge vielen als Entschuldigung dafür, Musiker auch in den neuen Medien nicht angemessen zu entlohnen:
"Wenn der durchschnittliche Teenager glaubt, dass seine Lieblingsband keine Vergütung für ihre Leistungen bekommt, bietet dies ihm eine Entschuldigung für das Nutzen von Filesharing-Angeboten, die überhaupt keinen Mechanismus besitzen, um Musiker zu bezahlen."
Musikerverband Opfer des Napster-Effekts
Die Future of Music Coalition ruft deshalb den Gesetzgeber zur Wachsamkeit auf: Jedes Gerichtsurteil, jeder Geschäftsabschluss müsse auf seine Auswirkungen auf die Musiker überprüft werden. Um ihnen neue Einnahmequellen zu sichern, sollten Musiker das Recht haben, ihre nicht mehr erhältlichen Platten im Internet auf eigene Faust neu aufzulegen. Außerdem fordert die Future of Music Coalition eine faire Verteilung der bei Streaming-Media-Angeboten anfallenden Tantiemen. Diese dürften auf keinen Fall durch eine von den Plattenfirmen kontrollierte Organisation wie Sound Exchange eingesammelt werden (siehe auch: Exchange Sound Exchange). Schließlich müsse es bei Lizenzgebühren Ausnahmeregelungen für nicht-kommerzielle Internetangebote geben, damit nicht auch das Netz allein von Formatradio-Stationen bestimmt werde.
So wichtig diese Forderungen sein mögen: Die Future of Music Coalition wird morgen offenbar selbst ein Opfer des Napster-Effekts. Die Musiker des Verbandes werden keine Gelegenheit haben, diese Forderungen persönlich vorzutragen. Derzeit sieht alles danach aus, als hätte der dem Ausschuss vorsitzende Senator Orrin G. Hatch eher ein All-Star-Aufgebot für die Anhörung geplant. Auftreten werden unter anderem der Napster-CEO Hank Barry, EMI Records-Chef Ken Berry, Don Henley als Gründungsmitglied der Recording Artists Coalition, Liquid-Audio-CEO Gerry Kearby, der ehemalige Time-Warner-Präsident und jetzige AOLTW-COO Richard Parsons, Michael Robertson von MP3.com, RIAA-Präsidentin Hillary Rosen und Jack Valenti als Chef der Motion Picture Association of America.
Schon im letzten Jahr hatte Hatch eine ähnliche Anhörung mit Starbesetzung organisiert. Damals standen sich zum ersten Mal die Kontrahenten von Napster, der RIAA und Metallica direkt gegenüber.