Programme von der Pharmaindustrie

Gesundheitsreform: Manipulatives Marketing von Pharmafirmen, die Macht der Lobbygruppen und "legale Korruption". Interview mit Professor Karl Lauterbach

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Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach ist einer der bekanntesten Gesundheitspolitiker Deutschlands. 2005 errang er ein Bundestags-Direktmandat, unterlag aber bei der Wahl zum Sprecher der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Fraktion der Pharma-Referentin Carola Reimann.

Im Jahrbuch Korruption 2006 hat Transparency International festgestellt dass im deutschen Gesundheitswesen medizinische Studien manipuliert, Behörden beeinflusst, Risiken verschwiegen und Selbsthilfegruppen wie der Deutsche Diabetiker Bund unterwandert werden.

Als Hauptverantwortlichen nennt Transparency International die Pharmaindustrie. Dies führt dazu, dass das deutsche Gesundheitssystem für die dritthöchsten Gesundheitskosten weltweit nur mittelmäßige Leistungen bietet. Rumänien erhielt von Transparency International eine ähnliche Bewertung seines Gesundheitssystems und musste dafür seinen EU-Beitritt nach hinten verschieben. Was unternimmt die Bundesregierung dagegen?

Karl Lauterbach: Momentan laufen Verhandlungen zu einer Gesundheitsreform, an denen auch ich beteiligt bin. Ich bitte um Verständnis, wenn ich mich zum Verhandlungsstand nicht äußern kann. Allerdings ist neben der Verschwendung der Gelder durch Korruption sowie gleichzeitiger Über-, Unter-, und Fehlversorgung - als Beispiel sei hier nur die weltweit einzigartige Vorhaltung einer fachärztlichen Doppelstruktur im Krankenhaus und in der ambulanten Praxis genannt - vor allem die wenig effiziente Gesamtstruktur des Systems zu reformieren.

Durch die Risikoselektion der privaten Krankenversicherung bei Gutverdienenden, die selbst die Wahl zwischen Egoismus und Solidarität treffen können, zugleich jedoch ein deutlich niedrigeres Krankheitsrisiko aufweisen, ergibt sich ein erheblicher Beitragsverlust für die gesetzliche Krankenversicherung. Dadurch steht weniger Geld für die medizinische Versorgung einkommensschwächerer gesetzlich Versicherter zur Verfügung. Diese unsolidarische und ungleiche Versicherung und medizinische Versorgung ist durch nichts zu begründen. Ohne den massiven Druck der Lobbygruppen auf alle Parteien könnten diese Ungerechtigkeiten und Unwirtschaftlichkeiten wesentlich einfacher beseitigt werden.

Manipulatives Marketing durch Praxissoftware

Ein konkretes Problem: Ärzte bekommen Software von Pharmafirmen kostenlos zur Verfügung gestellt. Entsprechend weit verbreitet sind diese Programme. Der Haken: Die Software zeigt bei einer Diagnoseeingabe als erstes die teuren Medikamente der Herstellerfirma an. Nur mit Mühe ist es möglich, auch die preisgünstigeren Medikamente anderer Hersteller aufzurufen. Direkte Preisvergleiche sind nicht möglich. Der Arzt verschreibt also alleine aus Zeit- und Geduldsgründen ganz überwiegend die überteuerten Medikamente. Wieso wird dieses System auf Kosten der Versicherten geduldet?

Karl Lauterbach: Das manipulative Marketing durch die Praxissoftware wird mittlerweile auch von einigen Ärzten als Zumutung empfunden, die deshalb fordern, diese Funktionen zumindest ausschalten zu können. Ich bin der Meinung, dass dies nicht ausreicht.

Kassenärztliche Vereinigungen und Kassen sollten den Ärzten werbefreie Software zur Verfügung stellen. Die Mehrkosten, die dabei entstünden, könnten durch eine rationale Arzneiverordnung wieder eingespielt werden. Werbefreie Software müsste eigentlich vorgeschrieben sein. Die Industrie wehrt sich aber immer wieder erfolgreich.

Laut Transparency gab es mindestens einen Fall, in dem ein Softwareentwickler, der an der Gesundheitskarte arbeitete, von der Pharmaindustrie bestochen wurde. Warum wird die Entwicklung nicht im Open Source Verfahren betrieben, um sich vor so etwas zu schützen?

Karl Lauterbach: Wenn eine werbefreie Open-Source-Software vorliegt, wäre diese auch eine ausgezeichnete Datengrundlage für die Gesundheitskarte. Die Gesundheitskarte ist grundsätzlich sehr wichtig für mehr Transparenz im Gesundheitswesen. Darüber hinaus bietet sie mit dem elektronischen Rezept den Vorteil, dass sie ein wesentlich genaueres Prüfwesen ermöglicht, als es mit dem derzeitigen Papierrezept der Fall ist. Daher kommt es immer wieder zu Verzögerungen bei der Einführung der Gesundheitskarte..

Datenweitergabe an Pharmaunternehmen

Apotheken liefern Daten aus den Rezepten an Pharmaunternehmen, die damit feststellen welche Ärzte "zu billige" Präparate von Konkurrenten verschreiben. Diese Ärzte werden dann gezielt mit Besuchen von Pharmavertretern bombardiert. Warum schiebt der Datenschutz dieser Praxis nicht einen Riegel vor?

Karl Lauterbach: Hier muss eine Regelung getroffen werden, die es den Apothekenrechenzentren untersagt, die Verordnungsdaten an Marketingdienstleister der Pharmaindustrie weiterzugeben. Es ist absurd, dass die Krankenkassen die Apothekenrechenzentren bezahlen, diese aber gleichzeitig ihre Daten an die Pharmaindustrie verkaufen, zum Schaden der gesetzlichen Krankenversicherung.

Transparency International empfiehlt unter anderem die Pflicht zur Offenlegungspflicht von Finanzierungen und Beziehungen zu Sponsoren, die Registrierung klinischer Studien, eine wesentlich härtere Strafverfolgung und Berufsverbote für korrupte Ärzte. Welche dieser Maßnahmen wird die Bundesregierung umsetzen?

Karl Lauterbach: An der Reform arbeiten wir gerade. In einer großen Koalition ist es nicht immer leicht, eine Einigung zu finden.

Ruft man sich die Programme und Wahlkampfäußerungen der Parteien in Erinnerung, sollte es doch eigentlich eine Ausschussmehrheit zu schärferen Maßnahmen gegen den Missbrauch geben. Wer stimmt denn hier dagegen?

Karl Lauterbach: Bisher gab es im Gesundheitsausschuss noch gar keine Vorlage dazu. In der letzten Legislaturperiode gab es im Rahmen der mit der Union ausgehandelten Gesundheitsreform 2003 Initiativen der damaligen rot-grünen Bundesregierung Korruption schärfer zu bekämpfen. Dies hat die Union aber abgelehnt.

"Legale Korruption"

Der "Verband Forschender Arzneimittelhersteller" VfA betreibt in Berlin ein Büro mit 60 Lobbyisten. Hauptgeschäftsführerin ist Cornelia Yzer, von 1994 bis 1997 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium. Der Verfassungsrechtler von Hans Herbert von Arnim hat für solche Phänomene den Begriff "legale Korruption" geprägt. Muss nicht erst dieses System der "legalen Korruption" reformiert werden, bevor eine Reform des Gesundheitswesens überhaupt möglich wird?

Karl Lauterbach: Solche Jobs sollten deutlich weniger attraktiv gemacht werden, indem die Politik sich weniger von den Lobbygruppen beeinflussen lässt. Entscheidend ist nicht, dass es zu viele Lobbygruppen gibt, sondern dass sie so großen Einfluss haben. Lobbyisten würden von den Firmen gefeuert, wenn wir sie ignorieren würden.

Um gut informiert zu sein, braucht die Politik eigentlich keine Lobbyisten. In den laufenden Verhandlungen zur Gesundheitsreform haben wir uns z.B. die Probleme der privaten Krankenversicherung vom Verbandslobbyisten erklären lassen. Ein einigermaßen unabhängiger Wissenschaftler wäre wahrscheinlich interessanter gewesen.

Als weitere Gründe für die Korruption im Gesundheitswesen nennt Transparency International neben der Pharmaindustrie die undurchsichtigen und verkrusteten Strukturen der öffentlich-rechtlichen Körperschaften des Gesundheitswesens. Sie erlauben ohne großen Betrugsaufwand überhöhte und sogar fingierte Abrechnungen. Ärzte versuchen sich als vorgeschriebene Fortbildungsveranstaltungen Seminare zu Schamanismus, Geistheilung und zur Gesundheitspolitik der FDP genehmigen zu lassen. Hat man mit den kassenärztlichen Vereinigungen und Kammern des Gesundheitswesens nicht den Bock zum Gärtner gemacht?

Karl Lauterbach: Die kassenärztlichen Vereinigungen sind ein Problem für den Wettbewerb, die Transparenz und die Qualität in unserem Gesundheitswesen. Die gesundheitspolitischen Vorschläge der Kammern unterstützen oft die Zwei-Klassen-Medizin und behindern Wettbewerb und Transparenz.

Scheininnovationen und echte Forschungsarbeit

Der Transparency-Experte Peter Schönhöfer kritisierte, dass lediglich sieben der etwa 450 seit 1990 auf den Markt gebrachten "neuen" Medikamente echte Innovationen seien. 25 seien Schrittinnovationen, der Rest ohne relevanten therapeutischen Mehrwert. Läuft in der Förderung medizinischer Forschung bei solchen Ergebnissen nicht etwas grob falsch?

Karl Lauterbach: Die Anreize für die Industrie sind falsch gesetzt. Wir sollten echte Forschung unterstützen - freie Preise für echte Innovationen, Festbeträge für Scheininnovationen. Forschung zu Marketingzwecken darf jedoch meines Erachtens nicht auch noch staatlich gefördert werden, da sie jegliche Bestrebungen zu mehr Qualität und Wirtschaftlichkeit ad absurdum führen.

Bemühungen der Pharmaindustrie, mit Scheininnovationen Patentlaufzeiten zu verlängern, Generika mit einer vorgetäuschten Nutzenargumentation an den Rand zu drängen und auch Ängste und Unsicherheiten bei Ärzten und Patienten zu schüren, müssen unterbunden werden.

Das Argument der Befürworter einer breiten Patentierbarkeit von Medikamenten lautet, dass Pharmakonzerne nur durch hohe Monopolgewinne die notwendige Forschung betreiben konnten, um innovative Medikamente wie das von Glaxo-Welcome patentierte Anti-Aids-Medikament AZT herstellen konnten. Tatsächlich beweist aber gerade die Geschichte dieses Medikaments das Gegenteil: Jerome Horowitz synthetisierte es bereits 1964 mit einem Forschungsstipendium der staatlichen National Institutes of Health.

Eine Glaxo-Tochter kaufte ihm die Formel ab um sie als Medikament für Katzen einzusetzen. 1984 wurde der HIV-Virus in einem Labor der National Institutes of Health entdeckt. Das staatliche Labor startete einen Rundruf an alle Pharmafirmen, damit diese Proben ihrer Anti-Retrovirus-Medikamente abgeben sollten und investierte einige Millionen in Tests mit diesen Medikamenten. Nachdem erste Tests viel versprechende Ergebnisse mit AZT ergeben hatten, forderte das National Institute of Health Glaxo auf, das Medikament weiter zu testen - doch der Pharmakonzern weigerte sich.

Jetzt führte Hiroaki Mitsuyama am National Institute of Health mit einer Menge öffentlicher Gelder die Tests zuende. Als das National Institute of Health schließlich Glaxo Wirksamkeit des Medikaments bei Aids mitteilte, reagierte der Konzern und meldete ein Patent auf das Medikament an - ohne die Arbeit der Regierungsstellen überhaupt nur zu erwähnen. Anfang des 21. Jahrhunderts verkaufte Glaxo das Medikament für das zwölffache der Herstellungskosten.

Nach öffentlichen Protesten ließ sich der Konzern dazu herab das Medikament in Afrika "nur" für das dreifache der Herstellungskosten zu verkaufen - der gleiche Preis zu dem auch brasilianische Generika-Hersteller das Medikament anboten. Der Bericht einer Sonderkommission der WHO von Anfang April stellte fest, dass Patentmonopole nicht nur den Zugang zu existierenden, sondern auch die Entwicklung neuer Medikamente erschweren können. Untersuchungen aus dem USA ergaben dass eine breitere Patentierbarkeit nicht zu einem Ausbau der Forschungsabteilungen, sondern zu einer Vergrößerung der Rechtsabteilungen führt. Es wird nicht mehr Geld für Forschung, sondern mehr für Rechtsstreitigkeiten aufgewendet. Wäre es nicht sinnvoller, die Forschung an Universitäten betreiben zu lassen und dafür im Patentwesen wesentlich strengere Maßstäbe anzulegen?

Karl Lauterbach: Zum Fall AZT hätte ich einiges zu sagen, das würde hier aber den Rahmen sprengen. Auf jeden Fall war es ein Fehler der Kohl-Regierung in den frühen 80er Jahren, die staatliche Förderung klinischer Studien zurückzufahren, um der Pharmaindustrie besseren Zugriff auf Probanden für ihre Studien zu ermöglichen.

Die Anreize für die Industrie, echte Forschung zu betreiben, müssen wieder gestärkt werden. Die staatliche Forschung sollte wieder ausgebaut werden. Gegenwärtig wird der Entwicklung von Präparaten mit höherem Marktpotenzial in den Hauptabsatzmärkten USA, Europa und Japan Vorrang vor denjenigen Produkten gegeben, die gegen Massenerkrankungen wie Tuberkulose oder Malaria wirksam wären, für die jedoch nur ein niedrigerer Preis erhoben werden kann, da diese Krankheiten verstärkt in Osteuropa und in Afrika auftreten.

Viele Spezialisten haben für den gesetzlich Versicherten gar keine Zeit

Der freie Wechsel zwischen privaten Krankenversicherungen ist wegen der diskriminierenden Beitragsstaffelung nur sehr bedingt möglich. Dies hat zur Folge, dass die Opportunitätskosten für Versicherte so hoch sind, dass ein Preiswettbewerb nicht stattfindet. Auswege böten eine Aufnahmepflicht für private Versicherungen und ein Diskriminierungsverbot nach Alter, Geschlecht oder körperlichen Prädispositionen. Sie sind - auch im Hinblick auf künftig mögliche Gentests - Voraussetzung für einen Wettbewerb, der nicht über Ausschluss, sondern über Effizienz ausgetragen wird. Doch nach solchen Schutzvorschriften sucht man im vor kurzem verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetz vergebens. Warum wurden die privaten Krankenkassen vom Diskriminierungverbot ausgenommen?

Karl Lauterbach: Wir brauchen keine privaten Krankenversicherung, die nur Gesunde und gut Verdienende versichert. Leider sind die Lobbygruppen der privaten Krankenversicherung genauso stark wie die der Pharmaindustrie.

Ärztefunktionär Martin Eulitz nennt als Beispiel, bei dem ein Arzt bei privat Versicherten den 3,5-fachen Satz verlangen kann, einen "nervösen Patienten". Das private Abrechnungssystem stellt so einen Anreiz für Ärzte und Zahnärzte dar, ihre Patienten bei der Behandlung zu verunsichern, um so für die gleiche Leistung deutlich mehr abrechnen zu können. Abgesehen von dieser Nervosität des Patienten darf jeder Arzt laut Gebührenordnung gleich viel verlangen - egal wie gut oder schlecht er arbeitet. Wird hier nicht mit der Rhetorik des Wettbewerbs fröhlich einem Sozialismus der Standeskartelle gefrönt?

Karl Lauterbach: Gegenwärtig wird bei der ambulanten ärztlichen Versorgung auf zwei verschiedene Arten abgerechnet. Für Privatversicherte erhält der Arzt ein Honorar nach Gebührenordnung, wobei er bis zum 3,5 fachen Satz abrechnet. Bei gesetzlich Versicherten überweisen die Krankenkassen quartalsweise den Kassenärztlichen Vereinigungen eine vorher vereinbarte Summe, die diese nach einem Punktesystem auf die Ärzte verteilen. Für die gleiche Leistung erhält der Arzt bei einem Privatpatienten deutlich mehr Geld. Dies führt für den gesetzlich Versicherten zu deutlich höheren Wartezeiten.

Viele Spezialisten haben für den gesetzlich Versicherten gar keine Zeit. Dieses zweigeteilte, ungerechte Vergütungssystem sollte dringend reformiert werden. Dabei sollte eine unabhängige Institution ein unbürokratisches System mit festen Preisen entwickeln, das gleichermaßen für gesetzlich wie privat Versicherte, sowie für ambulante Leistungen im Krankenhaus und in der niedergelassenen Praxis gilt. Die Honorarsumme insgesamt sollte beibehalten werden und gegebenenfalls. noch um einen Qualitätszuschlag erhöht werden, von dem Ärzte, die gute Qualität liefern, profitieren könnten.

Damit wäre ein einheitliches System etabliert, das transparent ist und eine Leistungskomponente enthält. Ehrliche Ärzte, die keine Zwei-Klassen-Medizin betreiben wollen, würden profitieren. Leider wird auch dieser Vorschlag von Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Ärztekammern, privaten Krankenversicherern und VfA abgelehnt. Bei dieser entscheidenden Frage finden fast alle Lobbygruppen den Schulterschluss.

Qualitätsprüfung ducrh Patienten

Die Qualität einer Behandlung kann ein Patient nur mit erheblichen Schwierigkeiten prüfen. Diese Informationsasymmetrie verhindert einen Preiswettbewerb. Die Folgen: Bei sinkender Qualität steigen die Preise. Ein Ausweg hieraus wäre, das Honorar stufenweise auszahlen - etwa bei der Zahnbehandlung, je nachdem wie lange die Zähne halten. Warum erzeugt die Bundesregierung hier nicht einen Preiswettbewerb über neutrale Gutachterstellen oder eine Stärkung der Patientenrechte?

Karl Lauterbach: Wie oben schon erwähnt, sollten wir einen Wettbewerb um die beste Qualität der Behandlung der Versicherten erzeugen. Das geeignete Instrument dazu ist der Vertragswettbewerb bei Kassen und Leistungserbringern. Die gesetzliche Verpflichtung, für die Kassen Verträge mit Niedergelassenen und Krankenhäusern nur einheitlich und gemeinsam abzuschließen, sollte gelockert werden. Dadurch würde mehr Kreativität sowohl bei Kassen als auch bei Leistungserbringern frei, um mehr integrierte, sektorübergreifende Versorgungsformen anzubieten.

Dass dies zum Nutzen der Patienten wäre, zeigen die Erfolge der Disease Management Programme. Studien belegen eindeutig, dass sich beispielsweise der Gesundheitszustand von Diabetikern durch die Teilnahme an Disease Management Programmen deutlich verbessert.

Privatversicherung für Selbstständige: An den hohen Beiträgen kann man verarmen

Arbeitsmarktpolitisch wird die Förderung von Selbständigkeit propagiert. Tatsächlich ist der Verlust der Krankenversicherung aber ein sehr reales Risiko des Schritts in die Selbständigkeit. Was wird unternommen um Personen, die Ihre Krankenversicherung verloren haben, zu helfen?

Karl Lauterbach: SPD und Union haben sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, dass niemand ohne Versicherungsschutz bleiben soll und solchen Versicherten, die den Schutz verloren haben, eine Rückkehrmöglichkeit zur jeweiligen Versicherung angeboten wird. Die Umsetzung dieser Vorgabe ist Gegenstand der laufenden Verhandlungen. Selbstständige in die private Krankenversicherung zu zwingen, hielte ich für falsch. An den hohen Beiträgen kann man verarmen, gerade wenn Vorerkrankungen vorliegen.

Wäre die Künstlersozialkasse nicht ein Modell für ein Krankenversicherungssystem in einer Zeit veränderter ökonomischer Grundlagen? Der Versicherte zahlt zwar nach Einkommen gestaffelt, ist aber auch ohne festes Arbeitsverhältnis versichert. Warum wird dieses Modell nicht auf andere Bereiche ausgedehnt?

Karl Lauterbach: Die gesetzlichen Krankenkassen funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip. Bei Arbeitnehmern werden im Abzugsverfahren Beiträge zu einem von der Kasse festgelegten Prozentsatz erhoben. Der Gutverdiener zahlt somit für den weniger Verdienenden mit. In Zeiten der Arbeitslosigkeit wird der Beitrag von der Bundesagentur für Arbeit übernommen. Selbständige zahlen ihre Beiträge nach ihrer Leistungsfähigkeit unter der Berücksichtigung von Mindestbeiträgen.

Durch einen wesentlich höheren Steueranteil bei der Finanzierung, wie er jetzt im Gespräch ist, kann ein ähnlicher Effekt erzielt werden, wie bei der zur Hälfte aus Steuern und Abgaben gespeisten Künstlersozialversicherung. Dadurch können die Beitragssätze in der Gesetzlichen Krankenversicherung gesenkt werden.