Propaganda und Demokratie

Was nach dem Ersten Weltkrieg in Sachen PR gelernt wurde. Das Beispiel von Walter Lippmann.

Walter Lippmann ist vermutlich der einflussreichste politische Journalist in den USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sich mit ihm zu beschäftigen, ist aktuell von Wert. Denn Lippmann thematisierte nach dem Ersten Weltkrieg den Zusammenhang von Demokratie und Propaganda.

So hat das damals noch geheißen, heute spricht man von Werbung, politischen Spin und Public Relations (PR). Die USA hatten im Ersten Weltkrieg erfolgreich im großen Maßstab mit vom Staat betriebenen Propagandamethoden experimentiert und damit eine Tradition begründet, die bis heute anhält.

Auch in Deutschland findet Lippmann seit einiger Zeit wieder Beachtung. Unter anderem hat ihn Noam Chomsky auf Telepolis erwähnt, jetzt nimmt Thomas Barth auf Lippmann Bezug.

Barth kritisiert die Deutung, die wir einer Neuübersetzung von Lippmanns Liberty and the News aus dem Jahre 1920 gegeben haben. Er folgt dabei einem Narrativ, das oft zu hören ist und Lippmann ursächlich mit den US-Propagandamaßnahmen in den Jahren 1917 und 1918 in Verbindung bringt, leider spricht das auch der von uns geschätzte Noam Chomsky an. Im längeren Vorwort zu Lippmanns Public Opinion haben wir versucht, dieses Narrativ mit Hinblick auf die uns bekannte Quellenlage zurechtzurücken. Hier einige Präzisierungen.

Lippmann war niemals, wie Barth schreibt "Propagandaberater" des US-Präsidenten Woodrow Wilson, schon gar nicht "für seine Wiederwahl 1916". Richtig ist, dass Lippmann ehrgeizig war, die politische Nähe zur Macht anzustreben, er hat das bis zu seinem Tode im Jahre 1974 bei insgesamt zehn Präsidenten versucht. Bei Wilson ist ihm das nur punktuell gelungen. In der Öffentlichkeit galt er 1919 als dessen einflussreicher Berater, faktisch war er es nicht.

"Propagandaberater" in Aktion

Barth schreibt: Lippmann "organisiert [nach dem Kriegseintritt der USA in den Ersten Weltkrieg am 6. April 1917] eine beispiellose Propaganda-Kampagne" und verweist auf "das auf Initiative Lippmanns installierte Committee on Public Information (CPI)". Es ist richtig, das Lippmann dem damaligen Präsidenten Woodrow Wilson nach dem Beitritt der USA in den Ersten Weltkrieg vorgeschlagen hat, eine Informationsbehörde zu errichten, und zwar in einem Brief am 6. Februar 1917.

Walter Lippmann, um 1920. Bild Public Domain

Zusätzlich hat ihn der Chefberater von Wilson, Colonel House, aufgefordert, einen Plan dazu zu entwickeln, Lippmann war mit House seit längerem befreundet. Diesen Plan hat Lippmann am 12. April 1917 vorgelegt. Aber es gab mindestens noch zwei andere Pläne: einen von dem Journalisten David Lawrence; den zweiten, der auch auf Aufforderung von House zustande kam, von dem Auslandskorrespondenten Arthur Bullard. Letzterer wurde von Wilson genommen, Bullards Intention war eine "Elektrifizierung der öffentlichen Meinung".

Dazu passte auch, dass der Journalist George Creel zum Chef der CPI, bestellt wurde, das CPI wurde bereits am 14. April 1917 eingerichtet. Creel war ein loyaler Gefolgsmann von Wilson, er hatte schon 1916 als Berater für Wilson fungiert und mehrmals demonstriert, dass er bedingungslos jeden Schwenk von Wilson mitmacht. Zudem war Creel, wie sein Biograph Axelrod schreibt, von einer Kreuzzugmentalität besessen, das machte ihn für diese Aufgabe geeignet.

Lippmann hatte für die neue Behörde andere Intentionen und sprach sich wiederholt gegen Creel aus. Lippmann war auch gegen die bald einsetzende Zensur. Ihn mit dem Espionage Act, der in einer ersten Fassung bereits am 5. Februar 1917 im Senat und im Repräsentantenhaus eingebracht wurde, in Verbindung zu bringen, ist nicht belegt.


Lippmann, Walter:
Die Illusion von Wahrheit oder die Erfindung der Fake News


Hg. Walter Otto Ötsch, Silja Graupe
Edition Buchkomplizen, 79 Seiten,
ISBN 978-3946778356, 12 Euro


Lippmann war auch kein "Drahtzieher der Unterdrücker sozialer Bewegungen", wie Barth schreibt. Barth unterstellt Lippmann, er hätte noch 1920 die Inhaftierung des US-amerikanischen Sozialisten Eugen V. Debs gerechtfertigt, er dreht dabei das, was Lippmann in Liberty and The News sagt, in das Gegenteil um.

Intervention für Pressefreiheit

Lippmann war nicht nur in diesem Fall gegen diese Maßnahmen. Am 8. Oktober 1917 hat er zum Beispiel einen Brief an Louis Brandeis, seit 1916 Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten, geschrieben und ihn ersucht, seinen Einfluss auf Wilson geltend zu machen, dass die sozialistische Zeitung Call und der Jewish Daily Forward nicht verboten würden – zu dieser Intervention war Lippmann von dem Gewerkschafter Sydney Hillman aufgefordert worden. (Hillmann war damals Führer der Amalgamated Clothing Workers of America und wurde später Präsident des großen Gewerkschaftsverbands Congress of Industrial Organizations, CIO.)

Walter Lippmann hatte die damals herrschende Kriegshysterie in den USA nicht mitgemacht. Er hat auch niemals am CPI mitgearbeitet. Bald nach dem Kriegseintritt wurde er Assistent beim Kriegsminister Newton Baker. Fünf Monate später wurde er in das Geheimprojekt "The Inquiry" einberufen, bei dem Unterlagen für den kommenden Friedensvertrag ausgearbeitet wurden. Im Juni 1918 wird Lippmann nach London, dann nach Paris beordert, um eine eigene Propagandastelle für deutsche und österreichische Soldaten zu schaffen.

In diese Phase fallen die einzigen uns bekannten organisatorischen Propagandamaßnahmen von Lippmann im Ersten Weltkrieg: Lippmann verfasste Flugblätter, die deutsche und österreichische Soldaten zur Kapitulation auffordern. Seine Stellung hat er auch zum Anlass genommen, die Aktivitäten des CPI in Europa als ineffizient zu kritisieren, was House dem Präsidenten mitteilte, der darüber nicht erfreut war und Lippmann weitere Berichte verbot.

Neben dem Verfassen von Flugblättern befragte Lippmann auch deutsche Kriegsgefangene, um die Auswirkungen der Propaganda auf sie zu beurteilen, wobei er feststellte, dass nur wenige Gefangene die Ursachen des Krieges oder die deutschen Kriegsziele benennen konnten. Lippmann war von der Tatsache beeindruckt, dass Kämpfer bereit waren, ihr Leben für eine Sache zu riskieren, die sie augenscheinlich nicht zu verstehen schienen.

Diese Erfahrung war für Lippmann mit ein Anlass, 1922 in Public Opinion das Konzept einer von der realen Handlungswelt abgekoppelten Pseudoumwelt, zu entwickeln, die durch Propaganda beeinflusst werden kann.

Ab dem März 1919 publiziert Lippmann seine Bedenken über die Zensur und die Kriegspropaganda, unter anderem in dem kleinen Buch The Political Scene. An Essay on the Victory of 1918 (1920), eine Sammlung von Artikeln in der Zeitschrift The New Republic. Die von Barth besprochenen Artikel in Die Illusion von Wahrheit oder die Erfindung der Fake News (erschienen bei Edition Buchkomplizen) darunter Liberty and the News, deuten wir als Vorarbeiten von Lippmann zu dem erwähnten Hauptwerk 1922.

Sein Tenor ist, die erfolgreiche Kriegspropaganda aus einer liberalen Perspektive als Problem für die Demokratie und die Krise der Demokratie vor allem als Krise des Journalismus zu verstehen. Lippmann wird damit, wie Cury Jansen im Oxford Handbook on Propaganda Studies schreibt, in dieser Zeit zum prominentesten Kritiker der Kriegspropagandamaschine der USA.

Demgegenüber stellt Barth Lippmann als Verteidiger der Propaganda in Kontrast zu dem sozialkritischen Schriftsteller Upton Sinclair dar, vor allem zu dessen Studie The Brass Check (1919).

Barth mutmaßt, ob und wie Lippmann diese Studie gekannt und darauf Bezug genommen hat. Lippmann kennt spätestens seit Dezember 1910 Upton Sinclair, sie hatten sich bei der Tagung der Intercollegiate Socialist Society getroffen.

Distanzierung von antikapitalistischer Presse

1914 distanziert sich Lippmann von radikalen linken Ideen und trennt sich von Sinclair im Streit. Ob und wie Lippmann 1919 unmittelbar auf Sinclairs Studie reagiert hat, ist uns nicht bekannt. Sie wird jedenfalls in Public Opinion zweimal angesprochen und länger kommentiert (S. 289ff. und 305ff.).

Lippmann wirft Sinclair vor, er würde ein Konzept einer absoluten Wahrheit vertreten, die durch "die Finanzwelt" mehr oder weniger bewusst unterdrückt werde. Aber so meint Lippmann, auch die "antikapitalistische Presse" enthalte "Beispiele von Unfairness und Lügenhaftigkeit": Sinclair könne "niemanden, nicht einmal sich selbst davon überzeugen, dass die antikapitalistische Presse das Heilmittel für die kapitalistische Presse ist." (290)

Es geht es uns in diesem Beitrag nicht darum, Lippmann zu verteidigen, schon gar nicht seine Argumente oder seine theoretischen Positionen. Lippmann ist eine schillernde Figur. In seinen tausenden Artikeln wechselt er seinen ideologischen und politischen Standpunkt oftmals, manchmal sogar im Rhythmus von Wochen.

Lippmann propagiert zum Beispiel zeitweise die Theorien von John Maynard Keynes. Er hatte ihn in Paris bei den Verhandlungen zum Vertrag von Versailles kennengelernt und blieb mit ihm lebenslang in Freundschaft verbunden. Lippmann unterstützt auch Roosevelts New Deal und spricht sich dann wieder heftig dagegen aus – den Schwenk von einer Begeisterung für einen Präsidenten bis zu dessen Verdammnis hat er mehrmals gemacht. In den 1930er-Jahren kann Lippmann zudem als früher Neoliberaler gesehen werden. Sein Buch The Good Society aus 1937 wird von Friedrich Hayek und führenden deutschen Ordoliberalen geschätzt.

Aus Anlass der Hochzeitsreise von Lippmann lädt das Netzwerk um Hayek im August 1938 den berühmten US-Kolumnisten zu einer Konferenz in Paris ein: das Colloque Walter Lippmann, das als eine der Geburtsstunden des Neoliberalismus gilt. Aber Lippmann hat sich nicht vereinnahmen lassen, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges distanziert er sich und unterstützt auch wieder Roosevelt.

1944 lehnt er es ab, ein Vorwort für Hayeks Road to Serfdom zu schreiben. Bei der Errichtung der Mont Pèlerin Gesellschaft gilt Lippmann in neoliberalen Kreisen als unsicherer Kantonist und wird zur Gründungsversammlung im April 1947 nicht mehr eingeladen.

Methoden bis heute weiterentwickelt

Unabhängig von der Interpretation von Lippmann bleibt die diskutierte Problematik: die Tatsache, dass in den USA beim Kriegseintritt mit Methoden experimentiert wurde, mit denen es möglich war, von Staats wegen praktisch jeden Lebensbereich mit einer hetzerischen Propaganda zu beeinflussen. Diese Kenntnisse haben sich seither weiterentwickelt und werden permanent angewandt.

Als Ökonom:innen, die sich mit der Geschichte ihres Faches befassen, interessiert uns auch der Beitrag der Ökonomie: Die Theorie hat das Konzept eines Individuums mit Bewusstsein und Imagination aufgegeben – mit der Konsequenz, dass sie selbst zur unbewussten und nicht reflektierten Quelle von Propaganda und Manipulation geworden ist.

Beispiele sind die Vorstellung, die Bevölkerung könne technokratisch mit "Nudges" gesteuert werden oder der neoliberale Marktbegriff, der ohne Diskussion in den Lehrbüchern der Mikroökonomie eingeführt wird und in der aktuellen politischen Debatte immer noch Wirkung besitzt.

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