Prozess gegen Motassadeq eröffnet

Am vergangenen Dienstag begann vor dem Hamburger Oberlandesgericht die Neuauflage des Prozesses gegen Mounir El-Motassadeq - ohne große Überraschungen und mit nur mäßigem Interesse der Medien

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"Die ist ein Prozess gegen Herrn Motassadeq, der des Terrorismus verdächtigt ist, und kein Terroristenprozess", rückte der Vorsitzende Richter Ernst-Rainer Schudt zu Beginn des ersten Verhandlungstages das Weltbild der anwesenden Medienleute zurecht. "Ob Herr Motassadeq Terrorist ist oder nicht, das wollen wir ja gerade erst feststellen". Der Prozess werde nicht nach den Vorstellungen der Öffentlichkeit und auch nicht nach denen des Auslands geführt, sondern nach den Prinzipien der Strafprozessordnung, so Schudt. Seine ungewöhnliche Einführung war ein deutlicher Seitenhieb auf die Vorverurteilung Motassadeqs in den Medien.

Mounir El-Motassadeq musste sich ab dem 22. Oktober 2002 wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Beihilfe zum Mord in mehr als 3.000 Fällen im Zusammenhang mit dem 11. September 2001 vor dem hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) verantworten. Am 19. Februar 2003 wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt, der Bundesgerichtshof (BGH) hob dieses Urteil am 4. März 2004 jedoch wieder auf und verwies das Verfahren erneut an das Hamburger OLG (Grenzen der Wahrheitsfindung).

Am Abend des 21.Oltober 2002 glich der Platz vor dem Gericht in der Hamburger Innenstadt einem Rummelplatz: Medienleute von nah und fern campierten dort mit ihren Übertragungswagen. Bereits in den frühen Morgenstunden des 22. Oktober 2002 bildeten sich vor dem Presseeingang des OLG lange Schlangen. Manche Kolleginnen und Kollegen mussten in den ersten Verhandlungstagen trotz Frühaufstehens mit Erzählungen aus dem Gerichtssaal vorlieb nehmen, sie hatten keinen Platz auf den Pressebänken mehr ergattern können. Am vergangenen Dienstag waren die Medien so rar vertreten, dass sogar ein komplettes juristische Seminar mühelos im gemeinsamen Presse- und Zuschauersaal Platz fand. Der Aufguss des seinerzeit spektakulärsten Prozesses der Welt scheint nur auf mäßiges Interesse der internationalen Medien zu stoßen.

Und das, obwohl Richter Schudt doch gleich nach seiner Einführung mit einer Überraschung aufwarten konnte: Er hatte Post aus den USA bekommen. Das US-amerikanische Verteidigungsministerium teilte in einem Fax mit, die zuständigen Behörden seien bemüht, dem Ansinnen nach Rechtshilfe des Hamburger Gerichts nachzukommen. Seit Oktober 2002 bemüht das Gericht sich, den von US-Geheimdiensten inhaftierten Ramzi Binalshibh als Zeugen nach Hamburg zu bekommen, bzw. ihn in den USA vernehmen zu dürfen. Oder hilfsweise die Protokolle von dessen Vernehmung durch US-amerikanische Geheimdienstmitarbeiter in das Verfahren einführen zu dürfen.

Binalshibh gilt als Chef-Logistiker des Anschlags vom 11. September 2001. Wie Atta und Motassadeq studierte er in Hamburg. Bislang verweigerten die US-Behörden dessen Vernehmung jedoch. Aufgrund dessen wurde Abdelghani Mzoudi am 5.2.2004 aus Mangel an Bewiesen von demselben Vorwurf wie Motassadeq frei gesprochen (An die Grenzen der Wahrheitsfindung gestoßen) - und das Urteil von Motassadeq vom BGH wieder aufgehoben. Doch auch jetzt sind den Bemühungen des US-Verteidigungsministeriums enge Grenzen gesetzt: Den Vereinigten Staaten sei es nicht möglich, Auskunft darüber zu erteilen, ob sich die genannte Person (Binalshibh) im US-Gewahrsam befände. Es sei nicht möglich, Zugang zu ihm zu gewähren oder "feindlichen Kämpfern" zu gestatten, vor einem Gericht in der BRD auszusagen. Lediglich zusammenfassende Dokumente, die nicht der Geheimhaltung unterlägen, könnten dem OLG zur Verfügung gestellt werden. Schließlich sei US-Gerichten der Zugang zu der genannten Person ebenfalls nicht gestattet worden, auch sie hätten sich mit Ersatzdokumenten begnügen müssen.

Also im Westen nichts Neues: Binalshibh wird nicht nach Hamburg kommen und die Berichte der 9-11-Commission werden nichts zutage fördern, was den Beteiligten am Prozess nicht schon bekannt wäre.

Danach ging das Verfahren vorerst seinen gewohnten Gang: Bundesanwalt Walter Hemberger zeichnete das Bild der "Hamburger Zelle" um Mohammed Atta, die seiner Ansicht nach die Attentate vom 11. September 2001 geplant und durchgeführt habe. Motassadeqs Anwälte Josef Gräßle-Münscher und Udo F. Jacob bestritten dies und verwiesen darauf, dass international als gesichert gelte, dass diese Terrorakte von der al-Qaida geplant und durchgeführt worden seien. In einer sehr langen Ausführung erörterte Gräßle-Münscher, dass seiner Ansicht nach Protokolle der Vernehmung Binalshibhs nicht prozessrelevant seien, da er davon ausginge, dass dessen Aussagen unter Folter zustande gekommen seien. Als Beispiel für die Folterpraktiken der USA führte er Guantanamo Bay und Abu Ghraib an. Binalshibh befände sich seit zwei Jahren an einem unbekannten Ort, ohne anwaltliche Vertretung und ohne Anklageerhebung in CIA-Haft, einem System der absoluten Isolation und der totalen Kontrolle. "In diesem Sumpf der Folter und der Lager kann das Gericht nicht die Wahrheit ermitteln und darf es auch nicht", schloss Grässle-Münscher seinen Vortrag.

Gräßle-Münscher und sein Kollege Jacob beantragten die Einstellung des Verfahrens und die Feststellung der Unschuld ihres Mandanten. Motassadeq habe die ihm zur Last gelegten Vorwürfe stets bestritten und diese Aussage müsse das Gericht als unwiderlegt anerkennen. Die Bundesanwaltschaft protestierte gegen dieses Ansinnen, schließlich einigten sich die Beteiligten einvernehmlich, die Entscheidung über diese Anträge zu vertagen. "Mal sehen, was da aus Amerika kommt", sagte Richter Schudt fast fröhlich.

Unterdessen wird das Gericht jeden Dienstag und Mittwoch versuchen, der Wahrheit auch ohne Binalshibh auf die Spur zu kommen. Am heutigen Mittwoch werden Dokumente verlesen, die sich laut Schudt "mit dem ideologischen Background des Angeklagten befassen".

Anm. der Redaktion: Versehentlich war ein älterer Text gespiegelt worden, der nun durch den aktuellen Text ersetzt wurde.