Puigdemont-Auslieferung: Nicht so einfach, wie die ARD meint

Seite 2: Extensive Auslegungspraxis

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Dass im Fall Piugdemont eine extensive Auslegungspraxis vorliegt, sieht García durch die Argumentation des spanischen Richters Pablo Llarenas gegeben, der den bloßen "Umstand, dass die katalanische Regierung das [Unabhängigkeits-]Referendum nicht absagte, sondern an ihm festhielt und die bürgerschaftlichen Kräfte zu seiner Durchführung und die Bürger zur Teilnahme an ihm aufrief" zu "Gewalt" umdefiniert und so faktisch "einen neuen Straftatbestand erfindet":

[Puigdemont] beschloss, sich die Macht der Masse zunutze zu machen, um sich mit ihr dem Polizeihandeln entgegenzustellen, das, wie [die Separatisten] wussten, das Referendum verhindern sollte, so dass die Abstimmung durchgeführt werden könnte und so der Weg gebahnt würde nicht nur dazu, dass das Ergebnis des Referendums die Ausrufung der Unabhängigkeit erlauben würde [...], sondern auch, dass der Staat der gewaltsamen Entschlossenheit eines Teils der Bevölkerung, die sich auszubreiten drohte, nachgeben würde.

(Pablo Llarenas)

"Tathandlung", so García über diesen Kunstgriff, "soll dem Beschluss zufolge nicht erst Gewaltausübung oder zumindest Steuerung von Gewaltausübung sein, sondern bereits zurechenbare Gewaltgefahrschaffung". "Eine solche extensive Interpretation ist" seiner Meinung nach weder "mit der Garantiefunktion des geschriebenen Tatbestands" noch mit der Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes zum Gewaltbegriff vereinbar. Und selbst dann, wenn das Oberlandesgericht Schleswig das anders sehen würde, könnte einer Auslieferung Puigdemonts die Erwartung einer "unerträglich harten Strafe" entgegenstehen, zu der die Richter möglicherweise den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg konsultieren müssten.

Will die spanische Justiz überhaupt eine Auslieferung wegen des Vorwurfs Haushaltsuntreue?

Einfacher wäre eine Auslieferung wegen des Vorwurfs Haushaltsuntreue nach Artikel 432 CP, der dem deutschen § 266 StGB entspricht. Wegen des Spezialitätsgrundsatzes in Artikel 27 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten (RbEuHb) dürfte Puigdemonts dann aber lediglich dafür bestraft werden. Ob spanische Gerichte die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Angeklagten tatsächlich wollen, ist fraglich, weshalb es García für gut möglich hält, dass die dortige Justiz den europäischen Haftbefehl lieber erneut außer Kraft setzt, wie sie das nach entsprechenden Signalen aus Belgien bereits am 5. Dezember machte.

Im Beschluss dazu heißt es wörtlich:

[…] Da es möglich ist, dass der ersuchte Staat in Anwendung der Artikel 3 und 5 des Rahmenbeschlusses teilweise die Vollstreckung der Haftbefehle verweigert, ergibt sich die Möglichkeit, dass die Verfolgbarkeit für die flüchtigen Beschuldigten eine Einschränkung erfährt, wodurch die einheitliche Sachbehandlung erschwert würde, welche die Verfahrensverbindung vor diesem Gerichtshof erst gerechtfertigt hatte; dies würde auch eine erhebliche Verzerrung der Verteidigungsposition derjenigen Beschuldigten mit sich bringen, die sich diesem Untersuchungsrichter zur Verfügung gestellt haben, weil gegen sie das Verfahren wegen aller vom Untersuchungsrichter bejahten Delikte geführt werden könnte und sie dadurch in 'schlechteres Recht' gestellt würden gegenüber den Flüchtigen. Deswegen sieht dieser Untersuchungsrichter in Abwägung alle Gesichtspunkte und Interessen hinreichende Gründe für die Rücknahme der hier gegenständlichen Haftbefehle und den Verzicht auf das mit ihnen verbundene Rechtshilfeersuchen.

(Übersetzung: Oliver García)

Seibert: Bundesregierung unterstützt "klare Haltung der spanischen Regierung"

Abseits dieser juristischen Gegebenheiten gibt es im politischen Fall Puigdemont auch noch eine direkt politische Ebene. Die muss der Einschätzung des von der Zeit konsultierten Kölner Strafrechtsexperten Nikolaos Gazeas nach die Festnahme Puigdemonts in Deutschland "zumindest gebilligt" haben: "Das Bundesjustizministerium", so Gazeas, das "Auswärtige Amt und Bundesinnenministerium müssten […] informiert gewesen sein".

Eine Stellungnahme dazu gibt es bislang nur von Regierungssprecher Steffen Seibert, der verlautbarte, Spanien sei "ein demokratischer Rechtsstaat" und die Bundesregierung der "Überzeugung, dass der Katalonien-Konflikt innerhalb der spanischen Rechts- und Verfassungsordnung gelöst werden" müsse, weshalb sie "die klare Haltung der spanischen Regierung zur Gewährleistung dieser Rechts- und Verfassungsordnung unterstütz[e]".

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