Putin-Biden-Gipfel: "Keiner zeigte seine Fäuste, die Keulen blieben im Schrank"

Iwan Timofejew analysiert das Treffen der beiden Staatsoberhäupter unaufgeregt. Foto: AhlulBayt News Agency - ABNA / CC BY 4.0

War das Treffen in Genf nur Intermezzo oder Entspannungssignal? - Ein Gespräch mit Iwan Timofejew, Programmdirektor des Russischen Rates für Internationale Beziehungen

Der Genfer Gipfel zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem US-Amtskollegen Joseph Biden am 16. Juni stand zunächst im Zeichen von gegenseitigen Vorwürfen und Eskalation. Die Gipfelagenda selbst umfasste von Unstimmigkeiten geprägte Themenfelder wie Rüstungskontrolle, Zusammenarbeit gegen neue Bedrohungen, regionale Konflikte wie in der Ukraine oder in Syrien, die reduzierten diplomatischen Beziehungen und die Menschenrechte.

Zu den wichtigsten konkreten Ergebnissen des Treffens gehört die geplante Rückkehr der jeweiligen Botschafter nach Moskau und Washington. Trotz vieler verbliebener Differenzen gab der Gipfel Anlass zur Hoffnung - zumindest auf eine erhöhte Berechenbarkeit bei Konflikten von weltweiter Bedeutung. In welchem Zustand befinden sich die Beziehungen zwischen Russland und den USA nach Genf? Gibt es produktive Kooperation auch ohne Vertrauen? Wer konnte beim Gipfel mehr Punkte machen?

Telepolis sprach dazu mit dem russischen Politikwissenschaftler Iwan Timofejew, Programmdirektor des Russischen Rates für Internationale Beziehungen.

Wenn dieses Gipfeltreffen bilanziert wird, ist oft die Rede von "regulierter Konfrontation". Dazu könnte es zwischen Russland und den USA kommen, wenn der Dialog auf diese Weise fortgesetzt wird. Was bedeutet dieses Konzept und was ist neu daran?

Iwan Timofejew: Ich würde es nicht als neu bezeichnen. Versuche, die Rivalität auf die eine oder andere Weise berechenbarer zu machen, haben schon eine lange Vorgeschichte. Es gab sie schon - nicht ohne Erfolg - im Kalten Krieg. Tatsächlich war das Ende des Kalten Krieges ihnen zu verdanken, weil es Erfahrung mit gemeinsamen Aktionen zur Kontrolle der Rivalität gab. Diese Erfahrung ist nun gefragt. Allgemein sind gerade Versuche wie eine Arbeitsgruppe für Rüstungskontrolle oder eine für Cybersicherheit Schritte dazu, Bereiche mit Unsicherheiten in unseren Beziehungen ein bisschen vorhersehbarer zu machen, so dass es wenigstens keine unliebsamen Überraschungen oder Zwischenfälle gibt.

"Es geht darum, für den anderen besser durchschaubar zu sein"

In Sachen Zusammenarbeit bei der Cybersicherheit hatten sich die USA zuvor geweigert, zu kooperieren. Jetzt wurde aber eine entsprechende Initiative von US-Präsident Biden genehmigt. Vorher haben sich die beiden Länder als Hauptgegner wahrgenommen. Gegen wen wollen sie jetzt zusammenarbeiten?
Iwan Timofejew: Ich denke, diese Frage stellt sich nicht. Das Zusammenspiel zu diesem Thema bedeutet keine Suche nach einem gemeinsamen Gegner. Das ist nicht das Ziel. Es geht darum, für den anderen besser durchschaubar zu sein. Wenn wir die Frage nach einem Feind stellen wollen, können wir aber unter anderem über Cyberkriminelle sprechen, die etwa vom Territorium der USA oder Russland aus operieren. Also nicht über staatliche Aktionen etwa im Rahmen der Cybersicherheit, sondern wirklich über organisierte Kriminalität. Hier können tatsächlich die Strafverfolgungsbehörden Russlands und der Vereinigten Staaten beim Ermitteln und Ausschalten rechtlich zusammenarbeiten.
Gibt es denn genug Vertrauen zwischen den beiden Ländern im Bezug auf gegenseitige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen, um so etwas zu bewerkstelligen?
Iwan Timofejew: Es gibt keinerlei Vertrauen, aber das Thema Cyberkriminalität lässt sich vom Thema Einmischung trennen, das sind verschiedene Bereiche. Das Thema Einmischung ist in der Tat akut und ich glaube nicht, dass wir bei ihm in naher Zukunft auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Das ist unwahrscheinlich. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir bei gemeinsamen Herausforderungen des Digitalbereichs nicht zusammenarbeiten können, vor allem bei Cyberkriminalität, Terrorpropaganda oder anderen Themen. Hier haben wir eine gewisse Erfahrung aus dem Bereich der Terrorbekämpfung - und dort nicht ohne Erfolg.
Von früheren US-Präsidenten wurde oft gefordert, bei der Rüstungskontrolle multilaterale Formate zu schaffen und zum Beispiel China und andere Staaten hier einzubeziehen. Warum ist dieses Thema jetzt nicht mehr so aktuell - warum setzt man jetzt wieder auf bilaterale Vereinbarungen?

"Die Einbeziehung Chinas in diese Gleichung ist unmöglich"

Iwan Timofejew: Aus mehreren Gründen. Bidens Amtsvorgänger Trump hat versucht, China in die Rüstungskontrolle einzubeziehen. Die chinesische Seite hat klargemacht, dass sie sich daran nicht beteiligen wird. Auch weil sie von der Unsicherheit profitiert und weil die Zahl ihrer Atomsprengköpfe und Trägersysteme deutlich geringer ist, als die von Russland und den USA. Aus ihrer Sicht ist diese Position verständlich. Die Biden-Regierung hat verstanden, dass die Einbeziehung Chinas in diese Gleichung unmöglich ist. Die russische Seite ist der Meinung, dass das Chinas souveräne Angelegenheit ist, Entscheidungen zu treffen und nicht in russischer Verantwortung liegt. Es gibt jetzt allgemein einen nüchterneren, kühleren und pragmatischeren Ansatz bei diesem Thema.

Vor dem Gipfel kam es von beiden Seiten zu provokanten Aussagen übereinander, zu neuen Sanktionen von Seiten der USA. Warum war das notwendig oder ist das eine Art Strategie?
Iwan Timofejew: Beide Länder sind aus einer Position der Stärke heraus auf diesen Gipfel zugegangen. Die Amerikaner verhängten Sanktionen, die Russen zeigten eine harte rote Linie im Bezug auf die Ukraine. Wir reden hier auch über Militärmanöver, die jedoch auf unserem Territorium durchgeführt wurden und aus völkerrechtlicher Sicht ist das unproblematisch. Aber dennoch waren sie ein symbolisches Signal, dass Russland im Falle einer Zuspitzung der Lage im Donbass bereit wäre, auch harte Maßnahmen zu ergreifen. Beide Seiten haben diese Gipfel, wie gesagt, aus einer Position der Stärke heraus vorbereitet. Aber in gewisser Weise war das auch nützlich. Auf dem Gipfel selbst gab es deshalb keinen Austausch von Drohungen, keiner zeigte seine Fäuste, die Keulen blieben im Schrank und alles verlief im Allgemeinen konstruktiv.
Es scheint, dass einige Aktionen aktuell das politische System ändern, das noch aus dem 20. Jahrhundert kommt. Etwa der Austritt aus dem Open-Skies-Vertrag. Manche sehen so etwas als Weg zu einer globalen Konfrontation. Gibt es hier noch die Möglichkeit auf einen gemeinsamen Nenner?

Iwan Timofejew: Das Open-Skies-Abkommen war von Nutzen und es war eine Initiative der amerikanischen Seite, sich daraus zurückzuziehen. Nach ihrem Ausstieg würden ihre Verbündeten höchstwahrscheinlich Daten, die sie aus Russland erhalten, an die USA übermitteln, ohne dass wir Daten über die Amerikaner bekommen würden. So wurde dieser Vertrag für uns nutzlos und deswegen haben wir ihn im Bezug auf die EU, den europäischen Verbündeten der USA, nicht bewahrt.

Ich glaube nicht, dass sich dadurch die Lage radikal verändert. Es ist eine gewisse Verschlechterung, aber keine entscheidende. Nach meiner Meinung markiert der Open-Skies-Vertrag keine Trennlinie zwischen Konfrontation und Nicht-Konfrontation. All das war nur ein weiter Schritt beim Verlust von Sicherheit. Aber der Gipfel selbst hat die Situation etwas stabilisiert. Wenn auch nur für eine Weile hat er unsere Beziehungen etwas auf ein höheres Niveau gehoben.

"Bidens Aufgabe war schwerer"

Die Presse diskutiert nun intensiv, wer "der Gewinner" dieses Gipfels war und schreibt viel darüber, dass Putin, da seine Pressekonferenz vor Bidens stattfand, die Themen diktieren konnte, über die dann die Journalisten mit Biden reden. Spielt so etwas wirklich eine Rolle - und wer hat auf dem Gipfel mehr Punkte für die eigene Seite und die Bürger seines Landes gemacht?
Iwan Timofejew: Wissen Sie, ich denke, beide Führer sahen gut aus. Wladimir Putin hatte meiner Meinung nach am Vortag ein starkes Treffen mit einem NBC-Journalisten. Er war sehr überzeugend, auch auf der Pressekonferenz. Aber Biden hatte nach meiner Meinung ebenfalls auf der Konferenz einen starken Auftritt. Ja natürlich, in gewisser Weise behandelte er erneut die Positionen, die Putin zum Ausdruck brachte, aber das ist fast unvermeidbar. Ich glaube gar nicht, dass Biden dadurch verloren hat, er konnte seine Agenda, die Agenda der USA nach vorne bringen. Und seine Aufgabe war schwieriger, denn seine Pressekonferenz war noch mehr an ein internes Publikum gerichtet.
Er musste seine Mitbürger davon überzeugen, dass er die Dinge richtig macht. Putin hat hier einen Vertrauensvorsprung innerhalb seines Landes, Biden muss den Widerstand der republikanischen Opposition überwinden. Keinen großen Widerstand, aber immerhin. Und ich denke, Biden hat das recht erfolgreich gemeistert, seine Rede auf der Pressekonferenz war überzeugend. Deswegen würde ich nicht sagen, jemand war dort mehr der Gewinner. Beide Führer schnitten für sich recht gut ab.
Nach dem vorangegangenen Gipfel in Helsinki gibt es sogar die Einschätzung, dass Trump nach seiner Rückkehr in der Heimat vom Kongress mit Russland-Sanktionen als Strafe bedroht wurde, weil er die Position der USA nicht richtig präsentiert hätte. Hatte Biden hier Befürchtungen, war vorsichtiger?
Iwan Timofejew: Tatsächlich gab es eine Reihe von Initiativen. Aber sie wurden nie zu Gesetzen und die Trump-Administration hat sich hier widersetzt und erfolgreich durchgesetzt. In der Tat wurde Trump nach dem Gipfel in Helsinki sehr heftig kritisiert. Generell kann man den Gipfel damals als gescheitert betrachten, auch weil fast alle damals getroffenen Vereinbarungen von Putin und Trump nicht umgesetzt wurden. Der Gipfel fand selbst in einem emotional guten Klima statt, aber zurück in den USA, wurde Trump bloßgestellt - und Biden jetzt nicht, er konnte seine Stellung verbessern. So war er aus innenpolitischer Sicht bei diesem Gipfel erfolgreicher.
Biden sagte auf einem Pressetermin, dass es ernste Konsequenzen geben wird, wenn Alexej Nawalny in russischer Haft etwas passiert. Was bedeutet ein solcher Ausspruch, wie ernst ist eine solche Drohung - oder sind das nur Worte, die er aussprechen musste, um sein eigenes Publikum zu befriedigen?
Iwan Timofejew: Nun, er konnte nicht umhin das zu sagen. Und ich glaube nicht, dass er das nur wegen seines eigenen Publikums gesagt hat, er scheint wirklich so zu denken. Er begann seine Rede damit, dass er das Thema Menschenrechte nicht auslassen kann, da es zu den zentralen Prinzipien der US-Außenpolitik gehört. Er hat sogar gesagt, dass Menschenrechte Teil der DNA der US-Themen seien, also muss er darüber sprechen. Trotzdem wurde dieses Thema nicht so stark nach oben gespielt - das heißt, er hat es erwähnt, alle haben damit schon gerechnet. Und es hatte keinen größeren negativen Effekt.
Bedeutet das die Einführung neuer Sanktionen oder andere Mechanismen?
Iwan Timofejew: Das kann kommen. Die Amerikaner haben keine andere Möglichkeit - Kritik und dann Sanktionen, das war’s. Es gibt hier keinen anderen Weg.

Der Politologe Iwan Timofejew ist Programmdirektor des Russischen Rates für Internationale Angelegenheiten und des Waldaj Clubs. Als solcher ist er für die inhaltliche Arbeit des Rates verantwortlich. Daneben ist er Dozent an der Moskauer Hochschule MGIMO. Er ist Autor von über 80 außenpolitischen Fachveröffentlichungen in Russland und im Ausland.

Der Russische Rat für internationale Angelegenheiten ist ein Thinktank für geopolitische Experten. Er wurde unter anderem von den Russischen Außen- und Bildungsministerien gegründet - Vorsitzender des Aufsichtsrats ist Außenminister Lawrow. Das MGIMO gilt als eine der führenden Universitäten in der Ausbildung von zukünftigen politischen Eliten Russlands, vor allem im diplomatischen Bereich.

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