Putin gefährdet die russische Wirtschaft
Putins jüngste Kritik an der Verkaufspolitik des Kohle- und Montankonzerns Mechel erinnerte viele russische und ausländische Beobachter an den Fall Yukos
Auch wenn es einige rhetorische Parallelen zwischen Mechel und Yukos gibt, Michail Chodorkowski und Mechel-Eigner Igor Sjusin kann man nicht in einen Topf werfen. Während die Aktivitäten des Ex-Oligarchen Chodorkowski dem ehemaligen Präsidenten ein Dorn im Auge waren, nutzte Putin lediglich die Beschwerden einiger Stahlunternehmen an der Verkaufspolitik Mechels und anderer Konzerne, um seine Macht zu demonstrieren – mit negativen Folgen für die russische Wirtschaft.
Den 24. Juli widmete der russische Ministerpräsident Wladimir Putin ganz der heimischen Schwerindustrie. Rund um die mittelalterliche Stadt Nischni Novgorod besuchte der ehemalige Präsident einige Montanbetriebe, wo er sich über deren Produktion und ihre wirtschaftlichen Probleme informieren ließ. Und selbst am Abend gönnte sich der alte und neue starke Mann der russischen Politik keine Ruhe, obwohl die Stadt an der Wolga einige Sehenswürdigkeiten zu bieten hat. Nein, Putin traf sich lieber mit einigen geladenen Industriellen, um mit ihnen über die russische Wirtschaft zu diskutieren. Wie von Wladimir Putin von Beginn seiner Präsidentschaft an gerne praktiziert, wurde auch dieses Treffen vom Staatsfernsehen live übertragen. In der russischen Politik schon ein kleines Indiz dafür, dass etwas Nachhaltiges geschehen könnte.
Und so war es auch vergangene Woche. Doch die Folgen dieser TV-Übertragung hatten nicht gerade positive Auswirkungen für die russische Wirtschaft, die Wladimir Putin mit seinem im Februar vorgestellten "Entwicklungsplan bis 2020" ankurbeln möchte (Der nimmermüde Putin). Um 6 Prozentpunkte fielen am 25. Juli die Werte an der Moskauer Börse, die sich selbst vergangene Woche noch nicht von diesem Sturz erholte.
Der Grund für diesen Börseneinbruch liegt in der heftigen Kritik, die Putin an der Verkaufspolitik des Kohle- und Montankonzerns Mechel geäußert hat. Dem Ministerpräsidenten missfällt, dass das Unternehmen seine Erzeugnisse ins Ausland um die Hälfte billiger verkauft als innerhalb Russlands. „Das Kartellamt und die Staatsanwaltschaft sollten sich damit mal befassen“, sagte Putin in Nischni Nowgorod vor laufenden Kameras.
Der Hauptaktionär von Mechel, Igor Sjusin, muss ähnliches schon befürchtet haben. Am Dienstag, den 22. Juli, erhielt Sjusin eine Einladung nach Nischni Novgorod, die er jedoch wegen einer Erkrankung nicht annahm. Seit dem 23. Juli liegt der Milliardär, dem 70 Prozent des Montankonzerns gehören, in einer kardiologischen Fachklinik in Moskau. Die russische Presse spekuliert nun, ob Sjusin sich nur aus Angst vorsorglich in die Klinik einweisen ließ, oder ob er tatsächlich gesundheitliche Probleme hat. Spekulationen jedoch, mit denen sich Wladimir Putin nicht befasst. „Wir haben den Chef und Eigentümer eingeladen, und er meldet sich sofort krank. Natürlich, Krankheit bleibt Krankheit. Aber ich denke, dass Igor Wladimirowitsch (Sjusin) schnellstmöglich genesen sollte. Sonst werden wir einen Doktor zu ihm schicken müssen, der dann alle Probleme lösen wird“, sagte Putin in der an der Wolga gelegenen Stadt.
Es sind Worte, die dem Genesungsprozess eines Herzpatienten nicht gerade förderlich sind. Der Gesundheit Sjusins wenig dienlich war aber auch die Entwicklung an den Börsen. Vom Krankenbett aus konnte Sjusin beobachten, wie die Aktien seines Konzerns an Wert verloren. Einen Tag nach der Kritik Putins fielen die Mechel-Aktien an der Moskauer Börse um mehr als 30 Prozent. Selbst im fernen New York, wo das Unternehmen ebenfalls notiert ist, musste Mechel Kursverluste um fast 40 Prozent hinnehmen. Für den sechstgrößten Stahlhersteller Russlands bedeutet dies einen Wertverlust von 15 auf 10 Milliarden Dollar.
Yukos und Mechel lassen sich nicht miteinander vergleichen
Bei der aktuellen Kritik Putins an Mechel fühlen sich viele russische und ausländische Beobachter an den Fall Yukos erinnert. Im Oktober 2003 wurde der russische Milliardär und Eigner des Ölkonzerns, Michail Chodorkowski, wegen angeblicher Steuerhinterziehung und planmäßigen Betrugs verhaftet und im Mai 2005 zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Februar 2007 erhob die russische Staatsanwaltschaft zudem gegen Chodorkowski, der in einem Arbeitslager in der Nähe der russisch-chinesischen Grenze seine Haft absitzt, eine weitere Anklage wegen Geldwäsche. Der Konzern Yukos dagegen wurde zerschlagen und gehört seit 2006 offiziell der Geschichte an.
Doch trotz aller Parallelen, die vor allem in der Rhetorik Putins vorzufinden sind, kann man Yukos und Mechel nicht miteinander vergleichen. Während Michail Chodorkowski seine Ausflüge in die Politik zum Verhängnis wurden, hat sich Igor Sjusin gegenüber dem Kreml bisher mehr als nur loyal verhalten. Über 2 Millionen Euro jährlich soll der Oligarch an die Kreml-Partei Einiges Russland gespendet haben, zudem hat er sich angeblich auch in karitativen Bereichen, die von der Partei getragen werden, finanziell sehr großzügig gezeigt.
Die Spendenbereitschaft hat Igor Sjusin jedoch nichts genutzt. Obwohl der Konzern sofort auf die Kritik Putins reagierte und am 25. Juli eine Erklärung veröffentlichte, in der er sich zu seinen Fehlern bekannte und eine Veränderung seiner Verkaufspolitik ankündigte, zeigte sich der Ministerpräsident nicht beschwichtigt. Gleich zur Beginn vergangener Woche verstärkte Wladimir Putin seine Kritik an Mechel und warf dem Unternehmen sogar Steuerhinterziehung vor – von TV-Kameras natürlich direkt in die russischen Wohnzimmerstuben übertragen.
Wie sich jedoch zeigte, geht es Putin aber nicht allein um eine Maßregelung Mechels. Neben Mechel sind auch die Konzerne Evraz und Raspadskaya in das Visier des Kartellamts geraten. Auch ihnen wird vorgeworfen, ihre Monopolstellung missbraucht und ihre Produkte in Russland überteuert verkauft zu haben.
Zivilisiert auf dem russischen Markt handeln
Die erste Kritik an den Kohle- und Stahlkonzernen wurde schon vor einiger Zeit laut. Bereits vor drei Monaten begann das russische Kartellamt sich mit der Verkaufspolitik der Konzerne zu befassen. Grund dafür waren Beschwerden der russischen Stahlindustrie an den hohen Binnenmarktpreisen. Bei Wladimir Putin, den Verfechter einer starken Staatsindustrie, stießen sie dabei auf offene Ohren. Nun wird gemutmaßt, ob Mechel nicht einfach nur ein Bauernopfer ist, um der „Branche die neuen Spielregeln in der russischen Wirtschaft zu erklären“. Eine These, die von Aussagen aus dem Kreml bekräftigt wird. „Nicht nur Mechel, sondern auch alle großen, mittelgroßen und weitere Unternehmen vom russischen Markt ziehen hoffentlich ihre Lehren aus dem Geschehenen, und wir handeln dann alle möglichst zivilisiert auf dem Markt“, mahnte Arkadi Dworkowitsch, Assistent des neuen russischen Präsidenten, am Montag vergangener Woche.
Die Mahnung von Dworkowitsch ist jedoch nicht nur an die russische Industrie gerichtet. Mit dem „Wir“ zielt die Kritik von Medwedews Assistenten auch auf die russische Politik, die sich in die Wirtschaft immer wieder einmischt. Auch Dworkowitsch, stellvertretend für die neue Führungsriege im Kreml, dürfte Zweifel haben, ob die Kritik Putins an Mechel und den anderen Konzernen berechtigt ist. Mechel scheint sich, wie von der russischen Presse immer wieder erwähnt, mit seiner Verkaufspolitik nur an langfristige Verträge gehalten zu haben, die der Kohle- und Montankonzern mit seinen ausländischen Partnern abschloss. Dabei sind auch langfristige Verträge, die Mechel beim Kauf anderer Unternehmen übernommen hat. Bei den Vorwürfen gegen Evraz fragen sich Analysten dagegen, in welchen Bereichen der Konzern eine Monopolstellung haben soll.
Sorgenfalten dürften den neuen Herren im Kreml auch die negativen Folgen solch einer Einmischung der Politik in die Wirtschaft bereiten. In den letzten Tagen warnten Experten immer wieder davor, dass sich ausländische Investoren verstärkt aus der russischen Wirtschaft zurückziehen könnten, wenn sich in der russischen Politik nicht etwas ändert. Als Negativbeispiel führen die Fachleute nicht nur Mechel an, sondern auch die Querelen rund um das russisch-britische Joint Venture TNK-BP. Dort üben Staatsbehörden und Moskauer Oligarchen, die 50 Prozent an Russlands drittgrößten Ölförderer halten, enormen Druck auf die britischen Investoren aus. Der bisherige Höhepunkt dieses Streits war die Flucht des amerikanischen TNK-BP-Chefs Robert Dudley aus Moskau.
Auch Präsident Medwedew scheint solche Sorgen zu haben. In den nächsten Jahren würde Medwedew Moskau gerne in der Riege der wichtigsten globalen Finanzzentren sehen. Ein Ziel, welches auch Putin in seinem "Entwicklungsplan bis 2020" geäußert hat. Aber auch dem Ziehsohn Putins ist bewusst, dass eine Wirtschaftspolitik a la Putin dieses Vorhaben enorm erschwert, es vielleicht sogar unmöglich macht. Deshalb kritisierte der russische Präsident selber am 31. Juli die russische Politik, da sie unternehmerische Tätigkeit oft zu einem „Alptraum“ macht.
Es ist eine Kritik, die auch an seinen Vorgänger und Wunschkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten gerichtet ist. Für seine heftigen Attacken musste Putin auch von der ansonsten regierungsfreundlichen russischen Presse Kritik einstecken. Doch sie dürfte an Putin abprallen, denn mit seinem Angriff auf den Mechel-Konzern hat er wohl sein eigentliches Ziel erreicht. Auf Kosten der russischen Wirtschaft bewies Putin, dass er immer noch der starke und in Russland alles entscheidende Mann ist, auch wenn er nur das Amt des Ministerpräsidenten innehat.