Der nimmermüde Putin

Der zukünftige Ministerpräsident Russlands hat noch viel vor und will Russland zum Land mit dem höchsten Lebensstandard machen

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Am 7. Mai übernimmt Dimitrij Medwedew offiziell die Amtsgeschäfte von Wladimir Putin. Mit über 70 Prozent der Stimmen gaben die russischen Wähler dem Wunschnachfolger des bisherigen Präsidenten ihren Segen. Doch Putin selber scheint keine Lust auf einen Abschied von der Macht zu haben. Dies bewies er in den letzten Wochen immer wieder aufs Neue. Statt von seiner persönlichen Zukunft zu sprechen, wies er mit dem "Entwicklungsplan bis ins Jahr 2020" Russlands zukünftigen politischen Weg. Wer Russland auf diesem Weg anführt machte Putin auch deutlich – der zukünftige Ministerpräsident namens Wladimir Putin.

Der künftige Präsident Dimitrij Medwedew und der künftige Ministerpräsident Wladimir Putin. Bild: Kreml

Acht Jahre ist der Mann, den Altkanzler Schröder einst einen „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete und den das amerikanische Time-Magazin zur "Person des Jahres 2007" wählte, schon russischer Präsident. Doch Wladimir Putin, der 1999 bereits einige Monate als Premierminister fungierte, scheint trotz nähernder Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Dimitrij Medwedew alles andere als amtsmüde zu sein. Dies zeigte er schon eindrucksvoll bei den letzten großen Auftritte als russisches Staatsoberhaupt. Während die meisten anderen Politiker solche Gelegenheiten dazu nutzen, um ihre Amtszeit zu glorifizieren, war Putins Blick immer in die Zukunft gerichtet. Und nicht mal als Angela Merkel ihren Kurzbesuch in Moskau machte, wollte er von einem letzten Treffen oder gar Abschied sprechen. „Das ist mein letztes Treffen als Präsident“ sagte der Noch-Präsident der Kanzlerin und kündigte ihr an, auch in der Zukunft mit ihm rechnen zu müssen.

Bereits am 8. Februar, als er vor dem Staatsrat seine letzte große Rede hielt, machte Putin deutlich, dass er sich mehr Gedanken um den zukünftigen Weg Russlands macht als um die jüngste Vergangenheit. Lediglich zu Beginn seines Vortrags ging der scheidende Präsident auf die Jahre seiner Amtszeit ein, indem er an das innenpolitische und wirtschaftliche Chaos erinnerte, das damals in dem Land herrschte. Heute gehört Russland „zu einer der sieben größten Volkswirtschaften der Welt“, sagte Putin nicht ohne Stolz und nannte Zahlen, welche die positive Entwicklung der letzten Jahre nur unterstreichen.

Doch dann war auch Schluss mit der Selbstbeweihräucherung. „Wir können uns noch nicht auf den Lorbeeren ausruhen“, mahnte Putin und schlug Töne an, die einer Regierungserklärung glichen, mit einem langfristig ehrgeizigen Ziel: „Russland muss das Land mit dem höchsten Lebensstandard werden.“ Dass dies möglich ist, daran zweifelt Putin nicht. „Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen können“, sagte er, vor allem dann, wenn man „Tag für Tag dafür arbeitet“.

Und wie viel Arbeit seinem Nachfolger, dessen Mitarbeitern, seinen Zuhörern – politischen Schwergewichten aus der Duma, dem Senat und den Regionen –, aber auch ihm selber, dem Wunschkandidaten Medwedews für das Amt des Ministerpräsidenten, brachte Putin in seiner "Entwicklungsstrategie bis ins Jahr 2020“ auch klar zum Ausdruck.

Bildungsoffensive für die menschliche Ressource

Bis zum Jahr 2020 soll Russlands Wirtschaft nicht mehr nur von Gas und Öl abhängig sein. Vielmehr soll zukünftig in die „menschlichen Ressourcen“ investiert werden, damit Russland zu einem Hochtechnologiestandort und einem der wichtigsten globalen Finanzzentren wird. Wenn das Land dies nicht tut, dann „wird Russland hinter den Weltwirtschaftmächten hinterherhinken, ja könnte sogar seine Großmachtrolle verlieren“, mahnte Putin an. Und wie diese Strukturwandel innerhalb der russischen Wirtschaft realisiert werden soll, sagte Putin auch gleich – mit einer Bildungsoffensive und Stärkung der russischen Wissenschaft.

Nicht leer soll auch die „menschliche Ressource“ ausgehen. Die Arbeitsproduktivität der Russen soll zwar zukünftig um ein Vierfaches anwachsen, doch sie sollen auch teilhaben dürfen an den wirtschaftlichen Erfolgen. Bis 2020 sollen 60 bis 70 Prozent der russischen Bevölkerung der Mittelschicht angehören, kündigte Putin vor dem Staatsrat an. Bis dahin soll diese neu entstandene Mittelschicht auch ein reformiertes Steuersystem genießen dürfen.

Doch um dieses Ziel zu erreichen, muss sich noch einiges ändern im flächenmäßig größten Land der Erde. Dies weiß Putin und nennt die Übel auch beim Namen – und übt dabei auch so etwas wie Selbstkritik. So prangerte ausgerechnet der Präsident, der in Russland eine straffe Zentralgewalt nach sowjetischem Muster wieder belebte (Die Wiedergeburt der Sowjetunion), den Zentralismus an. „Der Staatsapparat ist bürokratisiert, korrumpiert und nicht effizient genug. Das Hauptproblem ist der Zentralismus", sagte Putin im Georgijev-Saal des Kreml.

Russisches Tandem als Führungsspitze

An diesem Tag war dem letzten Zweifler in Russland klar, dass es Putin ernst meint mit seiner Ankündigung, unter Dimitrij Medwedew auch als Ministerpräsident dienen zu wollen. Ein Amt, welches nach Putins Meinung ihm genügend Handlungsspielraum gibt. „Die höchste Exekutivmacht gehört der Regierung“, sagte Putin auf seiner letzten Jahrespressekonferenz als Präsident, knapp eine Woche nach seinem Auftritt vor dem Staatsrat. „Die Verfassung bietet überaus große Möglichkeiten“, sagte er weiter und zerstreute auch Bedenken um zukünftig mögliche Kompetenzgerangel zwischen Medwedew und ihm. „Ich kann ihnen versichern, dass es hier keine Probleme geben wird.“

Von der Richtigkeit dieser Ankündigung konnte sich der russische Wähler schon während des Wahlkampfs vergewissern. „Wir entscheiden gemeinsam“, stand auf Medwedews Wahlplakaten, auf denen auch Putin zu sehen war, mit einem fast schon väterlichen Blick auf seinen Nachfolger schauend. Und auch der gemeinsame Auftritt auf dem Roten Platz nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses, als sich Medwedew und Putin von der kremltreuen Jugendorganisation Nashi feiern ließen, zeigte, dass Russland keinen neuen Präsidenten, sondern ein Tandem gewählt hat, welches von Putin gelenkt wird.

Und als solch ein Tandem treten die beiden "Präsidenten" jetzt auch auf. So auch am 11. März, als sie sich mit den Vorsitzenden der in der Duma vertretenen Parteien trafen. Natürlich war Putins "Entwicklungsstrategie bis ins Jahr 2020" das wichtigste Thema bei diesem Zusammentreffen mit Grizlov, Schirinowski, Sjuganow und Co. Putin forderte diese auf, eigene Initiativen und Vorschläge zu erarbeiten, um die Wirtschaft und den Staat effektiver zu machen – und dabei auch gegen das größte Übel der russischen Bürokratie vorzugehen, nämlich die Korruption. Und ein rabiates Mittel gegen jegliche Art von Bestechung hätte Putin auch schon parat: „Es wäre gut, wenn man die Hand die nach dem Geld greift, wie im Mittelalter abhaken würde.“ Solche Sätze sagt nur jemand, der in Russland politisch noch viel bewegen will.