Die Wiedergeburt der Sowjetunion

Das System Putin mit der Einheitspartei "Einiges Russland" und der neuen macht der Zentralgewalt weist politische Parallelen zum kommunistischen Regime der Vergangenheit auf

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Die Putin treuergebene Partei "Einiges Russland" hat mit 64,1 Prozent der Stimmen die russischen Parlamentswahlen gewonnen, was der Kremlpartei für die nächsten Jahre eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit in der Duma eingebracht hat. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten und Manipulationen, die von der OECD und fast allen westlichen Regierungen kritisiert werden, hat das Ergebnis jedoch einen faden Beigeschmack. Dabei hätten Putin und seine Gefolgsleute diese Einflussnahme auf den Wahlausgang gar nicht nötig gehabt. Die Sympathiewerte für den russischen Präsidenten sind hoch, was sich in dem Wahlergebnis auch widerspiegelt, und das System Putin ist aufgrund der eingeschränkten Pressefreiheit in dem Land fest verankert. So zum Beispiel in der westsibirischen Oblast Kemerowo, wo schon vor dem 2. Dezember vieles an die Zeiten der Sowjetunion erinnerte.

Nur vier Flugstunden trennen Moskau von Kemerowo. Eigentlich keine große Entfernung für das flächenmäßig größte Land der Erde. Dennoch könnten die Eindrücke zwischen Moskau und der Stadt im Kuzbass, dem Schwerindustriezentrum Westsibiriens, nicht größer sein. Während die russische Hauptstadt ein Moloch ist, auf dessen historischen Fundament sich das neue Russland ein glanzvolles Denkmal errichtet, scheinen in Kemerowo die alten Symbole der Sowjetunion den neuen Zeiten zu trotzen.

Lenin, wie in so vielen Städten der GUS, weist auf seinem Sockel immer noch den Weg vorwärts, und die Gebäude der Innenstadt mit ihrer stalinistischen Zuckerbäckerarchitektur scheinen die Kulissen eines Propagandafilms zu sein, den der große "Voschd" persönlich in Auftrag gegeben hat. Ein Eindruck, der gar nicht so falsch ist. Nach dem Großen Vaterländischen Krieg errichteten deutsche Kriegsgefangene die mit Sternen, Hämmern und Sicheln verzierten Gebäude, weshalb diese Häuser, trotz Mercedes oder BMW, im Kuzbass bis heute für „deutsche Wertarbeit“ stehen – eine Wertarbeit, die ihren Preis hat und somit für die meisten Bürger der Stadt unerreichbar bleibt.

Doch nicht nur äußerlich erinnert Kemerowo an die alten Sowjetzeiten. Auch politisch erlebten die alten Strukturen in den letzten Jahren eine Renaissance, was Kemerowo zu einer ganz gewöhnlichen russischen Stadt der Ära Putin macht, die perfekt aufzeigt, wie die „lupenreine Demokratie“ in Russland funktioniert.

So wie früher die KPdSU die alles dominierende politische Kraft war, ist es heute die in den Kremlmauern geklonte Partei Einiges Russland, die sich schon vor den Parlamentswahlen wie einst die KP aufführte. Dieser Meinung ist jedenfalls Leonid N. Lopatin, der in den Jahren der Perestrojka die Arbeiterbewegung im Kuzbass organisierte und darüber auch einige Bücher schrieb.

Wenn man sich die Ziele von "Einiges Russland" anschaut, kann man die Meinung des ehemaligen Bürgerrechtlers, der heute nur noch ein kritischer Beobachter der politischen Entwicklung ist, nachvollziehen, auch wenn "Einiges Russland" im Gegensatz zu der KPdSU jegliche Ideologie fehlt. Doch durch die Propagierung einer starken Zentralgewalt und die Treue zum Kreml lassen sich politische Parallelen durchaus erkennen, die vor allem eine Schwächung der Demokratie in der russischen Provinz zur Folge hatten.

Die Unterwerfung der Provinzen unter die Zentralgewalt

Besonders bemerkbar macht sich dies bei den Gouverneuren. In der Jelzin-Ära wurden die Gouverneure, die vergleichbar sind mit den deutschen Ministerpräsidenten, von der Bevölkerung noch frei gewählt. Doch von Beginn seiner Amtszeit an unternahm Putin einiges, um die mächtigen Gouverneure zu schwächen. Zuerst reformierte er das Föderationssystem, seit 2005 bestimmt er allein, wer sich auf den Gouverneurssessel setzen darf. Dies stärkt die Position des Präsidenten, denn politische Kritiker und Querköpfe können sich in der Provinz nicht mehr als fähige Staatsmänner profilieren, wie es zum Beispiel einst der bei einem Hubschrauberabsturz umgekommene Alexander Lebed getan hat. Gleichzeitig macht der Präsident die Gouverneure von sich abhängig.

Wie weit diese Abhängigkeit gehen kann, zeigt der Gouverneur der Oblast Kemerowo, Aman M. Tulejew. 1997 wurde dieser noch in sein Amt gewählt und führte eine selbstständige Regionalpolitik, die bei der Bevölkerung gut ankam. Dies machte ihn so selbstbewusst, dass er im Jahr 2000 sogar bei den Präsidentschaftswahlen gegen Putin antrat und dabei mit dem vierten Platz einen Achtungserfolg erzielte. Doch von diesem Mut und Selbstbewusstein ist nicht mehr viel übrig geblieben. Heute ist Tulejew ein treuer Anhänger Putins, der die Politik des Kremlherrschers im Kuzbass bedinungslos in die Tat umsetzt. Persönlich profitiert Tulejew von dieser treuen Gefolgschaft – seine Macht ist gesichert und seine Umfragewerte, trotz häufiger Bergbauunglücke, von denen die Oblast häufig heimgesucht wird, sind hoch.

Es fehlen die Opposition und die Freiheit des Wortes

Es sind Umfragewerte, die fast mit denen von Putin mithalten können und auf Tulejew, bzw. die anderen Gouverneure abfärben. Der russische Präsident ist in Russland sehr beliebt – vier von fünf Russen beurteilen den Präsidenten positiv, aus einem simplen Grund: Putin schenkte den Russen die soziale Sicherheit, die sie unter Jelzin nicht kannten. Die Gehälter und Renten werden pünktlich ausgezahlt, und hinzu ist man in der Welt auch wieder wer. Dank Gasprom und einer selbstbewussten Außenpolitik, kann man sich wieder wie eine Großmacht fühlen.

Unter diesen Voraussetzungen hat es die Opposition schwer, gegen Putin anzukommen. Viele Russen beobachten ihre Tätigkeit aber auch skeptisch. Doch es sind nicht nur gewöhnliche Russen, die der Oppositionsbewegung kritisch gegenüber stehen. Auch Lopatin betrachtet die russische Oppositionsbewegung nicht gerade mit Wohlwollen. Doch seine Kritik hat andere Gründe, als die der einfachen Bevölkerung.

Die liberalen Parteien SPS und Jabloko, die auch bei den Parlamentswahlen angetreten sind, sind nach Meinung Lopatins nicht unabhängig genug vom Kreml, und das im Westen oft erwähnte Oppositionsbündnis "Anderes Russland" von Garri Kasparow, welches hier als das Symbol für die in Russland unterdrückte Demokratie gilt, kann der Bürgerrechtler einfach nicht ernst nehmen. „Das ist bloß Theater“, kommentiert Lopatin die medienwirksamen Demonstrationen der Oppositionsbewegung und begründet seine Meinung unter anderem mit den undemokratischen Zielen der Nationalbolschewiki, die dem Bündnis Kasparows mit angehören (Kein Schach dem Kreml). „Russland braucht nicht solch eine Opposition.“

Für Lopatin mangelt es an anderen elementaren Grundwerten einer freien Gesellschaft. „Es fehlt die Freiheit des Wortes“, sagt er. Und wie eingeschränkt in Russland die Presse- und Meinungsfreiheit ist, lässt sich wunderbar in Kemerowo aufzeigen. „Jede Informationsquelle, die wir hier haben, ist von der Regierung gesteuert“, erzählt Lopatin und verweist auf die staatlichen TV-Sender und die vom Kreml kontrollierten Zeitungen, die in der Oblast die einzigen meinungsbildenden Medien sind.

In den ersten Jahren der Putin-Ära sah es noch anders aus. Damals existierte in der Oblast, in der über 3 Millionen Menschen leben, noch eine unabhängige Tageszeitung, die über die landesweite und regionale Politik berichtete. Doch mit dem Tod des Chefredakteurs verschwand auch die Zeitung vom Markt, da sich kein couragierter Nachfolger für den Chefredakteursposten und auch kein risikobereiter Investor finden ließen. Das Ergebnis ist für Lopatin erschreckend, in erster Linie aber auch ein enormer Rückschritt bei der Bildung einer Zivilgesellschaft. „In den letzten Jahren der Sowjetunion war es einfacher und ungefährlicher als heute, seine eigene Meinung zu äußern.“

Und Lopatin ist das beste Argument für solch eine Behauptung. Während der Perestrojka demonstrierten tausende Arbeiter mit ihm für mehr Freiheit und bessere Lebensbedingungen – und bekamen dabei auch Zugang zu den Massenmedien. Heute ist er nur eine einzelne Stimme.